„Es muss bei 2038 bleiben“

Anhörung zum Kohleausstieg

Schlechtes Image, falsche Signale aus Berlin und ein massiver Fachkräftemangel: Der Wirtschaftsausschuss des Bundestages hat sich in einer öffentlichen Anhörung am 13.12.2023 mit dem Strukturwandel in den ostdeutschen Kohleregionen beschäftigt. Die sechs geladenen Sachverständigen zeigten auf, wo aus ihrer Sicht die größten Hürden beim Ausstieg aus der Kohleindustrie bis zum Jahr 2038 liegen. Die Anhörung war – so der parlamentseigene Pressedienst heute im bundestag – auf Grundlage eines Antrags (20/9141) der CDU/CSU-Fraktion und einer Unterrichtung (20/8117) der Bundesregierung zur Evaluierung des Investitionsgesetzes Kohleregionen angesetzt worden. In dem Antrag fordert die Unionsfraktion, die finanzielle Absicherung des gesetzlich verankerten Kohleausstiegs sicherzustellen. Gefordert wird außerdem, „die Verunsicherung der Menschen in den Regionen durch widersprüchliche politische Signale innerhalb der Bundesregierung zu beenden, die auf einen überhasteten Kohleausstieg in Ostdeutschland abzielen“.

Riesenkohlebrocken in Ausstellung Zollverein, Essen, 2020 – Foto © Gerhard Hofmann, Agentur Zukunft

In der Unterrichtung heißt es, der befürchtete Abbau von Beschäftigung im Zuge des Strukturwandels sei bisher ausgeblieben. Allerdings ließen sich aus den Befunden zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch keine Ursache-Wirkungs-Beziehungen ableiten: „Der Kohleausstieg (negativer Schock) und die Maßnahmen des Investitionsgesetzes Kohleregionen (positiver Schock) laufen parallel, und zukünftige Analysen müssen versuchen, diese beiden Effekte voneinander zu isolieren“, heißt es weiter in der Unterrichtung.

Frederik Moch, DGB-Bundesvorstand und Leiter der Abteilung Struktur-, Industrie-, Dienstleistungspolitik stimmte den Ergebnissen der Evaluierung zu, dass man noch am Anfang der Bewertung stehe. „Doch der Investitionsbericht hat bereits erste Wegmarken gesetzt“, sagte Moch, der auf Einladung der SPD-Fraktion vor dem Ausschuss sprach. „Ich würde sagen, dass Glas ist beim Thema Strukturwandel halb voll“, so Moch, es gebe aber an einigen Stellen Nachbesserungsbedarf. Was der Bericht zum Beispiel nicht widerspiegele, sei die Bewertung der Qualität von Arbeit. Außerdem müsse daran gearbeitet werden, den Lohndurchschnitt zu erhöhen; dieser liegt laut Moch in den Ostregionen etwa 1.000 Euro unter dem Bundesdurchschnitt.

Jan Schnellenbach, Inhaber des Lehrstuhls Volkswirtschaftslehre an der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus-Senftenberg, sagte auf Einladung der FDP in der Anhörung, es gebe kein Arbeitsplatzproblem im engeren Sinne. Um genügend Fachkräfte zu gewinnen brauche es aber auch Arbeitsplätze mit „höherem Produktivitätsniveau“, so Schnellenbach. In Bezug auf die Förderpolitik in der Region sei es nachhaltiger, die Lebensqualität für die Menschen nicht nur in den Städten, sondern auch in der Fläche zu verbessern. Zudem hält es der Wissenschaftler für sinnvoller, Forschungseinrichtungen in den Strukturwandelregionen anzusiedeln, in der Hoffnung, dass sich die passenden Unternehmen dort dann auch niederließen.

Christine Herntier, Bürgermeisterin der Stadt Spremberg und Sprecherin der Brandenburger Kommunen in der Lausitzrunde, betonte, dass der Kohleausstieg und der damit verbundene Strukturwandel „zweifelsohne“ eine Chance für die Lausitz sei, die nicht kaputtgemacht werden dürfe. „Es hat viel Kraft, Nerven und für einige von uns auch Stimmen gekostet, bei dem Thema in der Bevölkerung für Akzeptanz zu sorgen“, sagte Herntier, die auf Einladung der CDU/CSU-Fraktion vor dem Ausschuss sprach. Wenn nun von einem vorgezogenen Ausstieg 2030 gesprochen werde, führe das zu einer Verunsicherung, „die wir uns nicht erlauben können“. Es müsse beim Ausstieg 2038 bleiben.

Fred Mahro, Bürgermeister vont Guben, stimmte seiner Kollegin zu. Was die Zukunft der Strukturwandelregionen angeht, sieht er beim Thema Fachkäftemangel insbesondere ein Problem beim Nachwuchs. „Es geht darum, die jungen Lausitzer in der Lausitz zu halten“, sagte Mahro, der ebenfalls auf Vorschlag der Unionsfraktion zu der Anhörung geladen war. So müsse man beispielsweise darauf vorbereitet zu sein, künftig Lehrlinge in innovativen Berufen auszubilden, „die es vielleicht in der Bundesrepublik so noch gar nicht gibt“. Darüber hinaus warb er für mehr Mobilität für Arbeitnehmer aus dem europäischen Nachbarländern wie Polen und Tschechien.

Ariane Derks, Geschäftsführerin Lausitz Science Park an der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus-Senftenberg, kritisierte, dass in der Presse häufig wenig positiv über die Lausitz berichtet werde. Das sei schlecht für das Image und schade der Möglichkeit der Region, Fachkräfte von außerhalb anzuziehen. „Die Lausitz kann wirklich eine Modellregion werden, das kann nur mit einem guten Image passieren“, sagte die auf Einladung der SPD-Fraktion erschienene Derks. Die Personen, die mit vollem Engagement den Wandel voranbringen, bräuchten eine bessere Bühne, forderte sie.

Stefan Zundel, aus dem Fachgebiet Allgemeine Volkswirtschaftslehre mit dem Schwerpunkt Energie- und Umweltökonomik an der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus-Senftenberg, stellte fest, dass insbesondere die brandenburgische Lausitz sehr stark von der Ansiedlung des US-amerikanischen Elektroauto-Herstellers Tesla profitiert habe. Die sich auftuenden Möglichkeiten in der Region seien rechnerisch „ziemlich locker ausreichend, um wegfallende Arbeitsplätze zu kompensieren“, sagte Zundel, der von der Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen eingeladen worden war. „Doch das Problem ist zugegebenermaßen nur auf dem Papier schon gelöst.“ Ob es sich auch so umsetzen lasse, müsse sich noch zeigen. Bis 2028 werden laut Zundel in Brandenburg etwa 60.000 und in Sachsen etwa 40.000 Arbeitskräfte fehlen. „Das kann man nicht mit den Leuten vor Ort ausgleichen“, sagte der Wirtschaftswissenschaftler und warb für eine „offensive Anwerbepolitik im Ausland“. (hib/EMU)

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