Blick zurück: Grüne Fußball-WM? Leider nein!

Der CO2-Abdruck des Fußballs

Die „umweltfreundlichste Fußball-Weltmeisterschaft seit je“ hatte die FIFA vollmundig propagiert – leider Fehlanzeige: Während der vier Wochen zwischen dem 12. Juni und 14. Juli 2014 wurde fast doppelt so viel CO2 ausgestoßen wie bei der WM 2010 in Südafrika (und 13mal so viel wie in Deutschland 2006), nach FIFA-Schätzungen. Und das, obwohl Brasilien nach Einschätzung von Experten einiges geleistet hat, um den schädlichen Klimaeffekt zu verringern.

Die Chefin des UN-Klimasekretariats Cristiana Figueres war seinerzeit voll des Lobes: „Jede Veranstaltung, ob groß oder klein, sollte in Zukunft dasselbe tun.“ Und die die brasilianische Umweltministerin Izabella Teixeira sekundierte: „Es ist das erste Mal, dass eine Weltmeisterschaft so nachhaltig veranstaltet wird“, sagte sie stolz vor den Medien. Und am 10.07.2014 verkündete Teixeir , dass „schon mehr als 545.500 Tonnen“ durch ein Kreditsystem mit registrierten Unternehmen ausgeglichen worden seien.

FIFA: 2,72 Millionen Tonnen CO2 – andere: 3 Mio. t – „alles in allem“ 11 Mio.

Triebwerk – Foto © Gerhard Hofmann Agentur Zukunft

Nach Schätzungen der FIFA wurden aber tatsächlich während der WM 2,72 Millionen Tonnen CO2 freigesetzt, andere Schätzungen rechnen mit mehr als 3 Mio. t (die brasilianische Firma Personal CO2 Zero). 2010 in Südafrika waren es noch 1,62 Mio. t. Mehr als drei Viertel gingen nach Mitteilung der einen auf das Konto von Autos (aber: In Brasilien beträgt der Bioethanol-Anteil am Kraftstoffverbrauch fast 70%) – andere sagen: die Flüge waren es. Aus den Nachbarländern Argentinien und Chile waren viele Fans über tausende von Kilometern mit Auto oder Bus angereist, aber auch die Brasilianer legten große Distanzen in ihrem riesigen Land zurück. Die Spielorte lagen zwischen 250 und 3100 Kilometer auseinander. WM-Besucher fuhren in CO2-schleudernden Taxis zu den Stadien, weil das öffentliche Verkehrsnetz nicht richtig funktioniert. Wegen Komplikationen beim Bau wurde die Magnet-Bahn vom Flughafen São Paulo ins Stadtzentrum nicht rechtzeitig fertig (s.u.). Sie hätte die WM-Besucher schnell und klimafreundlich transportieren sollen. So viel CO2 wie in den vier WM-Wochen stoßen 534.000 Autos während eines ganzen Jahres aus.

Nach Angaben des brasilianischen Umweltministeriums wurden während der WM 1.406.430 Tonnen CO2 ausgestoßen, 87,1 % davon resultierten aus Flügen der Fans nach Brasilien; 9,2 % davon Inlandsflüge; 1,8 % Übernachtungen; 1,4 % auf Geschäftsverkehr und 0,5 % aus Bauarbeiten. (ecoticias.com)

Bemühungen der FIFA

Die FIFA hatte bei der RIO+20-Konferenz der UN vor zwei Jahren zwar einen Plan für ökologisch gebaute Stadien, für CO2-Kompensation und Recycling; die Proteste rund um die WM kamen dort jedoch nicht einmal thematisch an – sie beklagten in erster Linie die fehlende soziale Nachhaltigkeit.  Das Problem: Die Maßnahmen der FIFA beschränkten sich auf die Stadien und ihr Umfeld. Zu wenig, um wirklich umwelttechnisch und sozial nachhaltig zu sein. Denn schon an notwendigen Investitionen in Infrastruktur und Transportwesen der WM-Städte mangelte es, was den öffentlichen Aufschrei provoziert hatte.

Die FIFA wollte die Emissionen aus dem internationalen Flugverkehr mit einer Kompensationskampagne für Ticketkäufer neutralisieren. Diese meldeten sich per Internet an. Ein CO2-Rechner schätzte die individuellen Emissionen, und die FIFA übernahm jeweils die Kosten der Kompensations-Zertifikate.

Der Bankangestellte Elton dos Santos Oliveira war der große Gewinner der CO2-Kompensationskampagne der FIFA Fussball-Weltmeisterschaft Brasilien 2014™. Der aus Rio Grande do Sul stammende Banker hatte Eintrittskarten für die Partie der Republik Korea gegen Algerien in Porto Alegre gekauft, sich für das Programm angemeldet und hat nun eine schöne Belohnung dafür erhalten: Er hatte Losglück und gewann zwei Eintrittskarten für das Finale zwischen Deutschland und Argentinien im Maracanã, inklusive Flügen nach Rio de Janeiro und Unterkunft. (FIFA-Mitteilung)

In Salvador gab es zudem das Programm “Grünes Tor”. Für jedes der 31 im Stadium Fonte Nova gefallenen Tore sollen 1.111 Bäume gepflanzt werden, was 34.441 Bäume ergab. In Manaus konnten sich Touristen über ein Projekt direkt am Ausgleich des durch ihre Reise erzeugten CO2-Ausstoßes beteiligen.

Arena Fonte Nova in Salvador de Bahia-März 2013 – Foto © Wikimemdia Commons – CC BR-SA 3.0

Die Arena Fonte Nova, offiziell Complexo Esportivo Cultural Professor Octávio Mangabeira in Salvador da Bahia, Brasilien, bietet Platz für rund 55.000 Zuschauer. Sie steht auf dem Grund des Estádio Fonte Nova, das im Jahr 2010 für den Neubau abgerissen wurde. Entsprechend der Empfehlung der FIFA wird das Stadion in Salvador nach LEED Leadership in Energy and Environmental Design zertifiziert. Unter anderem wird hierzu der Wasserverbrauch durch die Verwendung von Regenwasser reduziert, Beton des abgebrochenen Stadions wiederverwendet, der Energieverbrauch des Stadions optimiert, der Bauablauf nachhaltig organisiert und der Primärenergieverbrauch der einzelnen Materialien bewertet. Quelle:Wikipedia – Foto: „Arena Fonte Nova view from lake (zoom)“ von Faquini Produção Fotográfica; Fotógrafo David Campbell. Lizenziert unter Creative Commons Attribution 3.0-BR über Wikimedia Commons

Stadien-Bauten trotz Wohnungsnot

Die FIFA pries die Solaranlagen, lobte Wasserverwertung und Müllreduzierung, die zum Beispiel ins neue 420 Millionen Dollar teuren Stadion von São Paulo und während der 500 Millionen Dollar schweren Renovierung des Maracanã-Stadions in Rio eingebaut worden waren. Auf der anderen Seite verloren tausende Favela-Bewohner in Rio ihre Behausungen, und in São Paulo prangerte ein 5,000 Quadratmeter großes Protest-Camp die Wohnungsnot in der Millionenmetropole an.

Neo Química Arena „Itaquerao“, São Paulo – Foto © aboutsaopaulo.com

Das Stadion in Manaus wurde als ökologisch verkauft, es verfügt zwar über die neueste Heiz- und Kühltechnik, aber aus Zeitgründen wurde der Plan gestrichen, das Stadion ganz mit Sonnenenergie zu betreiben. Was kritische Brasilianer jedoch am meisten stört, sind die Baukosten von 300 Millionen Dollar und die Tatsache, dass in dem Großstadion der weit entfernten Stadt mitten im Amazonasgebiet wahrscheinlich nie wieder ein vergleichbares Großereignis stattfinden wird.

Ein bisschen Biokerosin

Flugzeuge in Berlin-Tegel – Foto © Gerhard Hofmann Agentur Zukunft

Einen nicht bezifferten, mindestens umstrittenen –  Anteil (s.o.) machten die zahlreichen Flüge aus – Zivil- und Regierungsreisen. Allerdings gab es auch ökologische Bemühungen. Latina Press meldete: Die Billigfluggesellschaft Gol Transportes Aéreos mit Sitz in São Paulo unterstützte die Nationale Agentur für Zivilluftfahrt Brasiliens (Agência Nacional de Aviação Civil – ANAC) bei ihren Bemühungen um ökoeffiziente Lösungen und führte während der Fußball-WM mehr als 200 kommerzielle Biokraftstoff-Flüge durch. Nach Angaben eines Sprechers von “Gol” wurden dabei mehr als 69 t nachwachsende Brennstoffe verflogen, wodurch die Atmosphäre mit 218 Tonnen CO2 weniger belastet worden sein soll.

GOL_Boeing_737-800_PR-GUP – Foto © BriYYZ from Toronto, Canada, CC BY-SA 2.0, commons.wikimedia.org

Die mit CFM-56-Triebwerken ausgestatteten Boeing 737-800 von GOL Airlines fliegen mit einer Mischung von 4% Biokerosin, das speziell für die Luftfahrt entwickelt wurde. Biokraftstoff und herkömmliches Kerosin erzeugen bei der Verbrennung fast identische Mengen an CO2. Der wesentliche Vorteil gegenüber fossilem Kerosin liegt allerdings im CO2-Kreislauf: Pflanzen entziehen durch Photosynthese der Atmosphäre CO2. Bei der Verbrennung von bio-synthetischen Flugkraftstoffen wird CO2 jedoch freigesetzt. Gegenüber fossilen Flugkraftstoffen beträgt dadurch dieCO2-Einsparung rund 50 Prozent.

Fragwürdige Emissionsberechnungen

Julia Ziesche von der Heinrich-Böll-Stiftung äußerte sich skeptisch über diese Form von Umweltschutz: „Die Emissionsberechnungen sind fragwürdig“, sagte die Ethnologin dem Schweizer Tagesanzeiger. Tatsächlich variieren die Zahlen enorm, je nachdem welche Studie und Rechenmethode als Basis genommen wird. Die brasilianische Firma Personal CO2 Zero zum Beispiel schätzt die Emissionen während der WM weit höher als die brasilianische ­Regierung – auf rund 3 Millionen Tonnen. Hinzu kommt: Wird der Bau und die Renovierung der Stadien sowie die zusätzlich erstellte Infrastruktur dazugerechnet, erhöhen sich die Emissionen gemäss Personal CO2 Zero auf mehr als 11 Millionen Tonnen. Zum Vergleich gibt der Tagesspiegel an: Die Schweiz stößt in einem ganzen Jahr rund 39 Millionen Tonnen CO2 aus.

Keine CO2-neutrale Weltmeisterschaft

Schätzungen hin oder her – eines steht fest: Die Emissionen der Fußball-WM in Brasilien waren um ein Mehrfaches höher als die derjenigen in Deutschland 2006 (möglicherweise 13x so hoch, s.o.), wo die Stadien per Zug erreichbar waren. Brasilien war von einer CO2-neutralen Weltmeisterschaft weit entfernt.

Busschnellstrecke BRT-transcarioca – Foto © Tânia Rêgo/agenciabrasil.ebc.com.br, Wikimedia Commons – CC-BY-3.0-br

Zudem drückten die Behörden laut Tagesanzeiger in Sachen Umwelt vielerorts beide Augen zu. Die Organisation National Coalition of Local Committees for a ­People’s World Cup and Olympics habe eine Reihe von Umweltrechts-Verletzungen aufgedeckt: In Rio de Janeiro etwa sei für den Bau der 26 Kilometer langen Busschnellstrecke BRT Transcarioca nur eine vereinfachte Umweltprüfung mit niedrigen Schutzanforderungen verlangt worden.

In Porto Alegre sei der ursprünglich mithilfe der Bevölkerung konzipierte Masterplan für das Zentrum nachträglich verändert worden – zugunsten von Hotelprojekten und Sportanlagen. Der Tagesanzeiger zitiert Raquel Rolink, UN-Sonderberichterstatterin für sicheres und würdiges Wohnen: „Was in Porto Alegre geschah, zeigt, dass die Weltmeisterschaft in Brasilien ein Vorwand war, um die Städteplanung zu verändern ohne Verträglichkeits­studien und ohne Beteiligung der Bevöl­kerung.“

->Text: Gerhard Hofmann u.a. aus folgenden Quellen: