„Dieses Buch will ‚entschwindeln'“

„Zieht euch warm an, es wird heiß!“ – Sven Plöger mit neuem Buch

“Der Klimawandel ist wie ein Asteroideneinschlag in Super-Zeitlupe. Und deshalb ist er eine riesige psychologische Herausforderung: Wir verdrängen ihn wegen seiner Langsamkeit“, sagte Hans-Joachim zu Beginn des Pariser Klimagipfels COP21 (siehe solarify.eu/asteroideneinschlag-in-zeitlupe). Die Abläufe haben sich inzwischen beschleunigt – da kommt ein Buch wie das des ARD-Meteorologen Sven Plöger wie gerufen: „Zieht euch warm an, es wird heiß! – Wie wir noch verhindern können, dass unser Wetter immer extremer wird“ heißt es. „Sven Plöger macht keine heiße Luft, sondern bewahrt angesichts der größten Herausforderung der Menschheit einen kühlen Kopf und seinen Humor. Der Meteorologe meines Vertrauens,“ sagt Scientists for Future-Mitgründer Eckart von Hirschhausen, der selbst einen Beitrag für das Buch geschrieben hat.

Trockenheit, Waldschäden und Waldbrände, dann wieder Platzregen mit Hagel und Sturmböen – auch die Coronakrise kann nicht verdecken, dass sich unser Klima immer schneller verändert. Um die 1,5-Grad-Grenze nicht zu überschreiten, müsste soviel CO2 eingespart werden wie durch den Shutdown. Plöger ist sich sicher. „Genau das aber wäre möglich! Dazu müssen wir die Gier, die im jetzigen System steckt, in den Umbau der Wirtschaft lenken. Damit der Wohlstand bleibt, muss der Green Deal kommen.“

Plöger: „Klimawandel bedeutet nicht mehr, dass irgendwann irgendwo irgendwem auf dieser Welt irgendetwas meist Unerfreuliches passiert, sondern er ist eine Tatsache, mit der wir hier und jetzt konfrontiert sind. Die Häufung extremer Ereignisse ist dabei kein Widerspruch dazu, dass es natürlich auch früher mitunter schon extremes Wetter gab. Das ist logisch, bekannt und nicht verblüffend. Die Veränderung liegt genau in dieser Häufung und im Auftreten neuer Extrema, die es bisher noch nicht gab.“

„Kann uns die Coronakrise beim Umgang mit dem Klimawandel helfen?“ fragt Plöger und stellt fest: „Corona donnert als eine regelrechte Schockwelle über unseren Planeten und die Frage ist nun, ob diese den Fortgang unserer modernen Zeit erheblich hemmen oder kräftig beschleunigen wird. Die Wahl steht uns offen: Wenn wir einsehen, dass wir durch die zu große Einmischung in weltweite Ökosysteme die Sicherheit unserer Gemeinschaftsgüter und damit viele Bereiche von unserer Gesundheit bis hin zu einem in für uns notwendigem Rahmen stabilen Klima gefährden, dann wächst auch die Bereitschaft, wirtschafts- und sozialpolitische Fehler unseres Systems ernsthaft zu korrigieren.“

1,5-Grad-Grenze – Foto © Gerhard Hofmann, Agentur Zukunft

Nicht die Erderwärmung (um durchschnittlich ein Grad in 100 Jahren), „sondern extreme, oft tragische Wetterereignisse sind es, die uns nachdenklich auf das blicken lassen, was um uns herum geschieht. Wenn man so will, ‚weckt‘ uns die Atmosphäre gerade auf. Und wenn wir weiterschlafen wollen, dann wird sie immer neue Einfälle haben, uns aus unserem Schlummer wachzurütteln. In dieser Phase fragen wir uns, ob wir noch auf einem vernünftigen Kurs segeln oder ob wir längst auf ziemlich gefährliche Klippen zusteuern. Ängste auf der einen und innere Abwehrmechanismen zum Selbstschutz auf der anderen Seite ringen in uns allen miteinander und so gelangen wir in der ganzen Dynamik der täglichen und intensiven Berichterstattung schnell in einen Strudel aus ‚Für und Wider‘, in dem wir gehörig herumgewirbelt werden, bis uns ziemlich schwindlig ist. Dieses Buch will deshalb ‚entschwindeln‘ – ein in jeder Hinsicht schönes Wort, auch wenn es nicht im Duden steht.“

Der Klimawandel sei „für unser Gefühl derart schleichend langsam, dass wir eigentlich alle Zeit der Welt hätten, um Einfluss auf ihn zu nehmen“. Das Bedauerliche sei aber, dass dieser große Zeitvorteil „zum Nachteil für uns wird, denn unsere Spezies ist nicht besonders begabt im Umgang mit sehr langen Zeiträumen. Haben wir viel Zeit, dann schieben wir einfach alles vor uns her. Dafür ist die Evolution verantwortlich, die dem Hier und Jetzt aus damals vernünftigen ­Erwägungen heraus stets den Vorrang vor der Zukunft gab. ­Nähert sich der Säbelzahntiger, ist es nämlich besser, eiligst davonzulaufen, als zum Beispiel unbeirrt mit dem Bau einer Behausung fortzufahren, die einen in den kommenden Jahren besser vor Regen und Wind schützen wird. Je weiter ein Ereignis in der Zukunft liegt und je weniger es damit für uns unmittelbar zu spüren ist, desto schlechter können wir ein solches Problem erkennen.“ Die jüngsten Krisen, alles Krisen der Nachhaltigkeit, sind nicht zuletzt Krisen des kurzfristigen Denkens. „Wenn es Spaß machen würde, mit dem Hammer auf den Daumen zu hauen, und der Schmerz träte erst Jahre später ein – wir täten’s unentwegt“, hat Ex-Zeit-Feuilletonist Dieter E. Zimmer einmal geschrieben.

„Impfstoff gegen Klimawandel – erneuerbare Energien“

Der Unterschied zwischen der Coronakrise und dem Klimawandel sei, dass Corona „auf unserer Zeitskala“ stattfinde. Die Bedrohung sei unmittelbar und konkret, und es gehe um Wochen und Monate. Wir hoffen, dass wir diese Krise in einer überschaubaren Zeit bewältigen können. „Beim Klima stimmt die Zeitskala für unser Empfinden nicht. Die Bedrohung ist deshalb abstrakt und diffus. Hier geht es um Jahre oder Jahrzehnte und darum funktioniert der Begriff ‚Krise‘ auch nicht mehr, dem sprachlich ein eher kürzerer Zeitraum zugeordnet wird. Wir haben es beim Klima mit einem fundamentalen Wandel zu tun, dem wir nur durch eine Transformation in vielen Bereichen unserer Gesellschaft erfolgreich begegnen können.“

„Flatten the curve“ gelte für Corona und den Klimawandel gleichermaßen, so Plöger. In beiden Fällen müssten wir mit aller Kraft versuchen, eine Überbelastung des Systems zu ­vermeiden: Bei Corona die Gesundheitssysteme nicht über ihre Kapazitätsgrenze hinaus belasten – beim Klimawandel die Anpassungsfähigkeit von Fauna, Flora und Menschen nicht überstrapazieren. Doch bei aller Vergleichbarkeit: „Einen großen Unterschied gibt es derzeit aber schon: Nach einem Impfstoff gegen Corona suchen wir noch fieberhaft, einen gegen den Klimawandel haben wir schon: die erneuerbaren Energien!“

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