CO2-Grenzwerte – ein IASS-Vorschlag

CO2-Emissionsgrenzwerte für Kraftwerke – Ausgestaltungsansätze und Bewertung einer möglichen Einführung auf nationaler Ebene

Das Potsdamer IASS (Institute for Advanced Sustainability Studies) hat am 30.04.2014 eine Überlegung vorgestellt, wie Grenzwerte für Kraftwerke eingeführt werden könnten, damit sie „klare Signale an Kraftwerksinvestoren geben, dass Investitionen in emissionsintensive Erzeugungstechnologien mit der deutschen Klimapolitik nicht vereinbar sind“ – und zwar für neue auf jeden Fall, aber auch für Bestandskraftwerke. Gleichzeitig sollen aber „in der Vergangenheit getätigte Investitionen in Kraftwerke bestmöglich geschützt werden“.

Dominik Schäuble, IASS – Foto © Gerhard Hofmann, Agentur Zukunft

Vattenfall-Kraftwerk Reuter Berlin (laut UBA jährlich 2,6 Mio. Tonnen CO2) – Foto © Gerhard Hofmann, Agentur Zukunft

Treibhausgas-Emissionen in Mio t CO2-Äquivalent – Quelle © Bundesregierung

Ausgangspunkt für Leitautor Dominik Schäuble vom IASS ist die Tatsache, dass laut Umweltbundesamt die deutschen Treibhausgas-Emissionen (THG) 2013 um 1,2 % höher als 2012 lagen. Damit habe sich die Entwicklung der Jahre 2011/2012 fortgesetzt. Hauptgründe für den steigenden Klimagasausstoß: Die relativ kalten Winter, zunehmende Stromexporte und die Verschiebung im Strommix von Erdgas zu Kohle. Über einen längeren Zeitraum betrachtet, nähmen die deutschen THG-Emissionen zwar ab, würde die mittlere Emissions-Minderungsrate von 2000 bis 2013 aber fortgeschrieben, werde Deutschland sein 2020er Klimaziel (minus 40 % gegenüber 1990) verfehlen.

 

Doppelt so viele Zertifikate wie KW-Emissionen

Die THG-Emissionen der für den Anstieg mitverantwortlichen deutschen Kraftwerke werden im Rahmen des EU-Emissionshandels reguliert. Allerdings seien gegenwärtig doppelt so viel CO2-Zertifikate im Handel wie die tatsächlichen jährlichen Emissionen der umfassten Anlagen mit dem Ergebnis eines CO2-Preises von 5,00 €/t. Derzeit bestimme folglich die Differenz zwischen Gas- und Steinkohlepreis die Emissionen der deutschen Stromerzeugung und nicht – wie eigentlich gewünscht – der Emissionshandel. Relativ hohe Gas- und sinkende Kohlepreise hätten seit 2011 die Kohleverstromung zunehmen lassen.

Anteile der Energieträger an der Bruttostromerzeugung – Mittlere Brennstoffnutzungsgrade und mittlere Emissionsfaktoren des deutschen Kraftwerksparks im Jahr 2010. – CO2-Emissionsfaktoren moderner Kraftwerke im Jahr 2009 in Deutschland. Quellen: AG Energiebilanzen – Umweltbundesamt.

Der Rückgang des Atomstroms sei dagegen durch den Ausbau der erneuerbaren Energien völlig kompensiert worden. Zum Abbau des Zertifikatsüberschusses sei zwar ein Backloading beschlossen worden, und weitere Reformen würden diskutiert. Dadurch könne der CO2-Preis zwar leicht steigen, aber die bislang beschlossenen Maßnahmen würden kaum dazu führen, dass der CO2-Preis nennenswerten Einfluss auf die deutsche Stromerzeugung haben werde. Deshalb würden international CO2-Emissionsgrenzwerte für Kraftwerke bereits vielfach eingesetzt. Den Beispielen USA, Großbritannien und Kanada ist dann ein eigenes Kapitel gewidmet.

Emissionsgrenzwerte könnten, so die Studie „Investitionen in emissionsintensive Neu- und Bestandsanlagen verhindern und so einer Verfestigung der bestehenden Kraftwerksstruktur mit potenziell negativer Rückwirkung auf die Klimapolitik vorbeugen“. Wir dokumentieren aus dem entscheidenden Kapitel „Mögliche Umsetzung in Deutschland“.

Ausgestaltungsansätze in Deutschland

„Das Ziel einer Einführung von CO2-Emissionsgrenzwerten in Deutschland ist die kontrollierte Verminderung der CO2-Emissionen der deutschen Kraftwerke als Beitrag zum Erreichen der gesetzten Klimaziele.

Mast und Kamin am Heizkraftwerk Mainz - Foto © Dieter Fichtner_Agentur Zukunft

Mast und Kamin am Heizkraftwerk Mainz – Foto © Dieter Fichtner_Agentur Zukunft

Durch den derzeit großen Überschuss an CO2-Zertifikaten im Emissionshandel und den daraus resultierenden niedrigen CO2-Preis sollen die CO2-Emissionsgrenzwerte vor allem kurz- und mittelfristig ihre Wirkung entfalten. Die Unsicherheit über die weitere Entwicklung des Emissionshandels legt allerdings nahe, die Emissionsgrenzwerte so auszugestalten, dass sie klare Signale an Kraftwerksinvestoren geben, dass Investitionen in emissionsintensive Erzeugungstechnologien mit der deutschen Klimapolitik nicht vereinbar sind.“

CO2-Emissionsgrenzwerte für neue und Bestands-Kraftwerke

„CO2-Emissionsgrenzwerte für neue Kraftwerke sind zwingend geboten, da diese mit Nutzungsdauern von mindestens 30 bis 40 Jahren potenziell bis in die Mitte des Jahrhunderts Strom produzieren werden. Emissionsgrenzwerte ausschließlich für neue Kraftwerke bergen die Gefahr der Verzögerung von Investitionen in neue Anlagen.48 Die Integration des Bestandes in die Emissionsgrenzwerteregelung beugt diesem Effekt vor. Eine signifikante zeitnahe Verminderung der CO2-Emissionen der Stromerzeugung ist ohnehin nur möglich, wenn auch Bestandskraftwerke in die Emissionsgrenzwerteregelung integriert werden.

Aus ökologischer Sicht ist es effizient, die Kraftwerke mit den höchsten spezifischen Emissionen in eine solche Regelung miteinzubeziehen. Eine mehrheitsfähige Regelung muss allerdings dem Umstand Rechnung tragen, dass die Braunkohle bei der Verstromung zwar zu den höchsten spezifischen Emissionen führt, sie allerdings auch die mit Abstand größten Vorkommen in Deutschland aufweist und am kostengünstigsten ist.“

Investitionen bestmöglich schützen

Rauchentwicklung bei Bitterfeld 4 - Foto © Gerhard Hofmann

Rauchentwicklung bei Bitterfeld – Foto © Gerhard Hofmann

„Der Zugriff auf den Bestand ist aus ökologischer Sicht zwar nicht zu vermeiden. In der Vergangenheit getätigte Investitionen in Kraftwerke sollten dennoch bestmöglich geschützt werden, indem primär amortisierte Anlagen durch die Emissionsgrenzwerte reguliert werden.

Auf Basis der internationalen Beispiele und der angestellten Grundüberlegungen könnten Emissionsgrenzwerte für deutsche Kraftwerke folgendermaßen ausgestaltet werden:

Das Altersstufenmodell

  • Strikter Grenzwert für spezifische Emissionen (in g/kWh, Jahresmittel) von neuen Kraftwerken, der sich an den Emissionen moderner hocheffizienter Gas- und Dampfkraftwerke orientiert. Die Unsicherheit der langfristigen Entwicklung des CO2– Preises lässt den Neubau von Kohlekraftwerken als Möglichkeit zumindest offen. Emissionsgrenzwerte sind insoweit als Sicherheitsnetz sinnvoll.
  • Jahresemissionsgrenzwerte (in t/(MW Jahr)) für Kraftwerke, die 40 Jahre oder älter sind. Der Grenzwert soll den Jahresemissionen eines durchschnittlich effizienten Gas- und Dampfkraftwerks (400 – 450 g/kWh) mit einer Auslastung von 80 – 90 % entsprechen. Durch die derzeitige Überkapazität in der Stromerzeugung und die regulatorische Unsicherheit hinsichtlich zukünftiger Kapazitätszahlungen werden im Moment keine Investitionsentscheidungen für neue Kraftwerke getroffen. Emissionsminderungen in der Stromerzeugung werden vor allem dadurch erzielt, dass die Betriebszeiten bestehender Kraftwerke mit unterschiedlichen Energieträgern verändert werden. Die Altersstruktur des deutschen Kraftwerksparks offenbart ein beträchtliches Potenzial einer Regelung für Altanlagen.

Altersstruktur der in Betrieb, in saisonaler Konservierung oder in Reserve befindlichen deutschen Kraftwerke mit fossilen oder radioaktiven Brennstoffen. Quelle: Bundesnetzagentur, Kraftwerksliste, Stand: 02. April 2014.

Das Flottenmodell

  • Strikter Grenzwert für spezifische Emissionen (in g/kWh, Jahresmittel) von neuen Kraftwerken, der sich an den Emissionen moderner hocheffizienter Gas- und Dampfkraftwerke orientiert.
  • Einführung eines spezifischen CO2-Emissionsgrenzwerts, der für jedes Stromerzeugungsunternehmen gilt. Dieser Grenzwert wäre über einen Top-down-Ansatz relativ einfach zu bestimmen. Die Unternehmen hätten die Möglichkeit, die Stromerzeugung innerhalb ihres Portfolios auf Kraftwerke mit geringeren spezifischen Emissionen zu verlagern. Die Erzeugung würde sich tendenziell von älteren zu jüngeren und von Kohle- zu Gaskraftwerken verschieben.
  • Der Jahresgrenzwert für Altanlagen (>40 Jahre) könnte auf Bestandskraftwerke erweitert werden, indem für weitere Altersstufen (>25 Jahre, >30 Jahre, >35 Jahre) Jahresgrenzwerte (in t/(MW Jahr)) gesetzt werden. Um die Auslastung der relativ emissionsintensiven alten Kraftwerke zu reduzieren und gleichzeitig Modernisierungsmaßnahmen anzureizen, sollten die Jahresgrenzwerte mit zunehmendem Alter strikter werden. Eine solche Regelung ermöglicht eine fließende Reduktion der Emissionen durch den Braun- und Steinkohlebestand. Die durch die Emissionsgrenzwerte unterbundene Stromerzeugung durch alte Anlagen wird dabei auf moderne Kohle- und Gaskraftwerke verlagert.
  • Alternativ könnte statt eines spezifischen Emissionsgrenzwerts ein Jahresemissionsgrenzwert (in t/(MW Jahr)) definiert werden, der wiederum für jedes Erzeugungsunternehmen gälte. Auch dieser Jahresemissionsgrenzwert würde über einen Topdown- Ansatz bestimmt. Ausgangspunkt wäre das angestrebte jährliche Emissionsbudget der gesamten konventionellen Stromerzeugung. Dieser Wert würde durch die installierte Leistung dividiert.Wie im Absatz zum Altersstufenmodell erwähnt, ermöglicht ein Jahresgrenzwert einzelnen Anlagen den Grenzwert zu erfüllen, indem die Erzeugung reduziert wird. Jahresgrenzwerte würden kleinen Unternehmen mit wenigen emissionsintensiven Kraftwerken im Portfolio Zeit zur Umstrukturierung ihres Portfolios verschaffen.“

Ansatzpunkte

„Die hier vorgeschlagenen Modelle sind als Ansatzpunkte zu verstehen. Vor einer Einführung von CO2– Emissionsgrenzwerten für Kraftwerke wären etliche Detailfragen zu klären, wie z. B.:

  • Ab welcher Anlagengröße sollen die Emissionsgrenzwerte gelten?
  • Wie wird die ausgekoppelte Wärme bei KWKAnlagen 51 berücksichtigt?
  • Wie wird ein Zufeuern von Biomasse oder Abfallstoffen berücksichtigt?
  • Inwieweit ändern sich die spezifischen Emissionen von Grundlastkraftwerken, wenn sie durch die Emissionsgrenzwerte zu Teillastbetrieb gezwungen werden?
  • Sind die Emissionsgrenzwerte in vollem Umfang auf Industriekraftwerke anwendbar?

Die Auswirkungen verschieden ausgestalteter Emissionsgrenzwerte auf die Entwicklung der Stromerzeugung, der installierten Kraftwerksleistung und der Struktur der Erzeugungsunternehmen muss in jedem Fall mit Hilfe umfassender Modellsimulationen untersucht werden. Die genannten Zahlenwerte sind als mögliche Ausgangspunkte für Sensitivitätsstudien zu betrachten. Die eigentliche Zielgröße, welche die Höhe der Emissionsgrenzwerte bestimmt, ist die gewünschte CO2-Emissionsreduktion im Stromerzeugungssektor.“

Es folgt eine ausführliche Diskussion möglicher Nebenwirkungen sowie die Untersuchung der rechtlichen Umsetzbarkeit. Schließlich ziehen Schäuble und Co. dieses Fazit:

Fazit der Studie

Kraftwerk Reuter West, Berlin - Foto © Gerhard Hofmann_Agentur Zukunft

Kraftwerk Reuter West, Berlin – Foto © Gerhard Hofmann_Agentur Zukunft

„Die Energiewende hat zum Ziel, die mit der Energieversorgung verbundenen CO2-Emissionen bis 2050 um mindestens 80 % gegenüber 1990 zu reduzieren. Der große Anteil der Stromerzeugung an den energiebedingten CO2-Emissionen und die im Lauf der Energiewende zunehmende Elektrifizierung von Wärme- und Transportsektor bedingen eine starke Reduktion der CO2-Emissionen in der Stromerzeugung.

Durch die ausbleibende Verringerung der CO2-Emissionen der letzten Jahre, für die neben witterungsbedingten Einflüssen die Zunahme der Kohleverstromung verantwortlich war, wird sowohl die Akzeptanz der Energiewende im Inland als auch der internationale Vorbildcharakter der Energiewende gefährdet. Kurz- und mittelfristige Erfolge bei der Minderung derCO2-Emissionen sind deshalb wichtig und für das Erreichen der deutschen Klimaziele für 2020 unerlässlich. CO2-Emissionsgrenzwerte für Kraftwerke sollten als zielführendes Instrument in Erwägung gezogen werden, auch wenn die Einführung aus rechtlicher Sicht nicht unproblematisch wäre. Intelligent ausgestaltete Emissionsgrenzwerte erlauben eine graduelle Verminderung der Stromerzeugung aus Kohle. Sie können dazu beitragen, einen Kohlekonsens – eine Übereinkunft zwischen den entscheidenden Akteursgruppen über eine kohärente Übergangsstrategie für den Kohlesektor – zu erreichen.

Neben der in diesem Beitrag im Fokus stehenden Stromerzeugung verdient die Verbrauchsseite in Zukunft größere Aufmerksamkeit. Die Potenziale des Lastmanagement zur Flexibilisierung des Stromsystems müssen weiter gefördert werden. Zusätzlich sind stärkere Anreize zur Steigerung der Energieeffizienz im Gebäudesektor zu setzen, um das beträchtliche Emissionsminderungspotenzial des Gebäudebestandes zu heben.“
->Quelle: IASS-Working Paper CO2-Emissioinsgrenzwerte (Schäuble, Volkert, Jakobs, Töpfer)