Hat Kapitalismus eine Zukunft?

von Irene Schöne

Ein Buch über „The Future of Capitalism – Facing the New Anxieties“ weckt große Hoffnungen beim Leser, weil er erwartet, dass die Probleme unserer heutigen Wirtschaftsweise benannt, ihre Ursachen analysiert und Lösungen vorgeschlagen werden, besonders wenn es von einem renommierten britischen Ökonomen wie Paul Collier stammt. Mit diesen Hoffnungen beginnt man die Lektüre.

Um es vorwegzusagen: Diese Hoffnungen werden enttäuscht. Colliers Buch hätte lieber einen Titel wie „Die Zukunft von Globalisierungsverlierern“ tragen sollen, anstelle „Die Zukunft des Kapitalismus“. Er befasst sich nur mit einem Ausschnitt unserer heutigen Probleme und ihren Folgewirkungen, nämlich mit der Frage, was eine Regierung tun kann, um die regionalen Verlierer der Globalisierung, u. a. seinen Geburtsort Sheffield, wieder zum Erblühen zu bringen. Neue Vorschläge zu machen, wie man den Verlust von Alt-Industrien ersetzen und Regionen wieder beleben kann, wäre ein Buch wert, vor allem wenn diese über die bisher bekannten hinausgingen, also über die öffentliche Förderung von Unternehmens-Neuansiedlungen und Start-ups. Globalisierungsverlierer gibt es zudem nicht nur in Großbritannien, sondern auch in den früher Autos produzierenden Regionen der USA sowie in deutschen Stahl- und Schiffbauregionen.

Wenn Collier wirklich vorhatte, ein Buch über die „Zukunft des Kapitalismus“ zu schreiben, dann wäre auch zu erwarten, dass er sich mit noch viel existenzielleren Fragen auseinandersetzt angesichts von Klimakatastrophe, Artensterben, Vermüllung der Meere und Ausbeutung endlicher Ressourcen. Er würde diskutieren, ob diese Wirtschaftsweise überhaupt eine Zukunft hat.

Collier stellt jedoch bereits auf den ersten Seiten seines Buches fest, dass Klimakatastrophe und Umweltschäden keineswegs inhärente Auswirkungen unserer heutigen Wirtschaftsweise sind, sondern natürliche Ursachen hätten. Er schreibt: „Periodically, society will be hit by shocks: a natural one like climate change, or an intellectual one like the emergence of a new religion.“ (S. 44). Und damit hat er die Notwendigkeit, sich damit zu auseinanderzusetzen, auch schon erledigt. Und dies obgleich Naturwissenschaftler wie Michael E. Mann von der Pennsylvania State University zum Beispiel bereits 1998 nachgewiesen haben, dass die Erderwärmung seit Beginn der Industrialisierung deutlich angestiegen ist und heute bereits höher liegt als in den letzten zehntausend Jahren[1]. Der weitere Anstieg wird eine von uns selbst produzierte Katastrophe auslösen. Jüngere Menschen scheinen das eher zu realisieren, als es ältere wahrhaben wollen.

Solch eine Sichtweise findet sich nun nicht nur bei Collier, sondern sie wird auch von vielen anderen Ökonomen geteilt. Klimakatastrophe und Umweltschädigungen seien natürliche Phänomene. Damit müssten sich Naturwissenschaftler beschäftigen, aber nicht die Wirtschaftstheorie. Unsere kulturell entwickelte Wirtschaftsweise und ihre Legitimation durch Theorie hätten damit nichts zu tun. Dies würde bedeuten, die kapitalistische Wirtschaftsform auch weiterhin für eine natürliche, einzig richtige Wirtschaftsweise zu halten, die schon immer so gewesen sei und auch in Zukunft fortgesetzt werden könnte. Wie geschichtsvergessen!

Dass es in der Vergangenheit andere Formen des Umgangs mit unserer natürlichen MitWelt (Klaus-Michael Meyer-Abich) gegeben hat, kann außer Acht gelassen werden, und damit selbstverständlich auch, dass es in Zukunft auch eine andere Wirtschaftsform geben kann. Es wird stattdessen davon ausgegangen, dass alle Annahmen, die der heutigen Wirtschaftweise zugrunde liegen, ein auf ewig richtiges, ein realitätsgerechtes Bild von der Wirklichkeit darstellen. Deshalb ist es wichtig, darauf einzugehen.

Wie man heute noch eine solche Überzeugung aufrecht halten kann, ist eine Frage, die man nur zu gern an Collier (und andere) richten würde. Es ist doch bekannt, dass die Modellannahmen der Mainstream-Theorie aus dem 18. Jahrhundert stammen. 300 Jahre später sind wir aber gezwungen, diese Annahmen fortzuschreiben, weil uns ihre Auswirkungen bewusst geworden sind.

Vergleichen wir dieses Festhalten an überholten Annahmen und Modellen einmal mit den heutigen Erkenntnissen der Naturwissenschaften, z. B. über das Universum. Könnten wir dann immer noch argumentieren, Newtons Erkenntnisse wären allein ausreichend  – oder sind Physik und Biologie nicht längst darüber hinausgegangen und haben das frühere statisch-mechanistische Verständnis von Natur weiter entwickelt zu Natur als einem selbstorganisierten, dynamischen Wechselprozess, in dem die anorganische Natur Leben und dann bewusstes Leben hervorgebracht hat. Warum erkennen wir nicht an, dass nicht nur der Mensch, sondern auch die Natur entwickelt, arbeitet, schrieb doch Adam Smith bereits vor 240 Jahren und 100 Jahre vor Charles Darwin, dass „nature labours along with man.“[2] Und dass wir Menschen als natürliche und mit Bewußtsein ausgestattete Lebewesen in ständiger Wechselwirkung mit der uns äußeren Natur stehen? Natur ist die Basis allen Lebens, von Natur hängt unser Leben ab. Wenn wir durch unsere Wirtschaftsweise die Lebendigkeit der uns externen Natur schädigen, machen wir den Evolutionsprozess rückgängig. Warum soll das rational sein? Sind wir wirklich bereit, unser Lebens auf Spiel zu setzen, nur um ein überholtes Denkmodell beizubehalten? Warum?

Als Wissenschaftler sind wir in der Lage, drei unterschiedliche Formen des Wirtschaftens zu benennen:

  1. Form 1 = der direkte, unmittelbare und unvermittelte Austausch, von Aristoteles mit oeconomia, dem Gesetz des ganzen Hauses bezeichnet, auch Naturökonomie genannt (Charles Darwin, Alexander von Humboldt). Adam Smith, der sogenannte „Vater“ der Wirtschaftstheorie, sah exchange, also den Austausch, als das Basisprinzip des Wirtschaftens an.
  2. Form 2 = der indirekt gemachte und vermittelte Tausch mit Hilfe des vor rund 7.000 Jahren erfun-denen Tauschmittels Geld, die Kulturökonomie (Peter Bendixen), und
  3. Form 3 = die Zweck-Mittel-Vertauschung, in der das Tauschmittel Geld zum alleinigen Ziel des Austausches gemacht wird, der Ökonomiekult (Irene Schöne).

Aristoteles nannte diese Form chrematistike (von chrema = Geld) und kennzeichnete sie als „nicht-natürlich“. Richtig. Sie ist eine kulturelle Erfindung. Nur in einer Gesellschaft, die sich der letzteren Form verschrieben hat, wird es als irrationales Handeln angesehen, wenn Kapital verschwendet und nicht auf die bestmögliche Rendite geachtet werden würde. Es ist gesetzlich vorgeschrieben, dass Unternehmen jährlich eine finanzielle Bilanz vorlegen. Und dieselbe Sichtweise nehmen Arbeitnehmer ein, wenn sie eine möglichst gut bezahlte Tätigkeit anstreben, sowie Verbraucher, wenn sie möglichst wenig Geld für die Sicherung des Lebensunterhaltes ausgegeben. Wir unterwerfen alle unsere Entscheidungen der Kapitalrationalität. Und deshalb nennen wir unsere Wirtschaftsweise, d. h. die Vertauschung des Wirtschaftsmittels mit dem Wirtschaftsziel, Kapitalismus.

Dabei ist darauf hinzuweisen, dass diese Theorie sich nur auf die Warenproduktion bezieht. Sie endet mit dem Verkauf der hergestellten Güter, denn nur durch Verkauf lässt sich ein Gewinn realisieren. Was dann beim Konsum geschieht und was als Abfall übrig bleibt, ist nicht ihr Thema. Damit ist festzuhalten, dass die Mainstream-Theorie lediglich eine Theorie der Produktion ist und dass sie ihre Aussagen nur aus der Sichtweise eines Unternehmens trifft. Eine der Folge dieser verengten Denkweise ist, dass im privaten Haushalt nicht gearbeitet und nicht produziert wird, sondern dass diese Zeit, in der wir frei und selbständig wirtschaften können, nur die Reproduktionssphäre sei – und auch hier wird zunehmend die Aufwendung von Arbeit durch die Nutzung von Gütern ersetzt.

So kann man zwar vorgehen, das aber als exakte und objektive Wissenschaft zu legitimieren, als das Modell, wie wir auch in Zukunft wirtschaften sollen, ist zumindest fragebedürftig. Wenn es um die Modernisierung dieser bisher verengten Wirtschaftstheorie geht, dann ist es vielmehr notwendig, erstens einen ganzheitlichen Arbeitsbegriff zu definieren[3] und einzuführen, zweitens die Frage aufzuwerfen, wie eine Bewegung in Gang gesetzt werden könnte, die es den bisher abhängig Beschäftigen erlauben würde, auch in ihrer beruflichen Arbeit selbständig handelnde und kooperierende Subjekten zu sein, und drittens die Frage zu diskutieren, was Politik tun könnte, um diesen Emanzipationsprozess in Gang zu setzen wie zu unterstützen.

Aber bleiben wir erst einmal bei dem produzierenden Unternehmen. Das kauft Naturstoffe, menschliche Arbeitskraft und Finanzmittel und setzt sie im Kapitalinteresse so produktiv wie möglich ein. Das ist das Grundverständnis dafür, die Kosten für den Einsatz der drei Produktionsfaktoren Boden, Arbeit und Kapital so niedrig wie möglich zu halten, zuvörderst jedoch Lohnkosten und Umweltauflagen. Industrielle Arbeitsplätze sind deshalb in andere Länder verlagert worden, wo Menschen weniger gut bezahlt werden und die Umweltauflagen geringer sind. Kann nun die zukünftige politische Strategie darin bestehen, Löhne und Umweltauflagen zu senken? Ich denke, nein, wenngleich man hört, dass die Regierung in Großbritannien nach ihrem Austritt aus der EU genau solche Ziele verfolgen will.

Das Subjekt der Wirtschaftstheorie ist der selbständig handelnde Mensch. Aber selbständig handeln können noch nicht alle Menschen und noch nicht überall. Die meisten von uns sind abhängig beschäftigt, weil sie in einer Geldwirtschaft gezwungen sind, ihre Arbeitsfähigkeit für Geld zu verkaufen, das sie zur Finanzierung ihres Lebensunterhalt benötigen, und zweitens folgen sie, wenn sie ihre Arbeitsfähigkeiten verkauft haben, nicht länger ihren eigenen, sondern den Zielen eines Unternehmens.

Das Ziel, alle Menschen zu freien und selbständig Handelnden zu machen, ist richtig. Und es muss  aufrecht erhalten werden. Es sollte nur für alle Menschen gelten. Schließlich stellte Immanuel Kant, der deutsche Philosoph der Aufklärung, bereits vor 200 Jahren fest, dass kein Mensch länger als bloßes Mittel für die Ziele von anderen eingesetzt werden dürfe. Im Gegensatz zu ihm konnte Thomas Hobbes noch 1561 im „Leviathan“ schreiben, dass Arbeit eine Ware wie alle anderen sei[4]. Sklaverei und Leibeigenschaft wurde bereits zu Beginn des 19. Jahrhunderts abgeschafft. Warum nicht auch die Lohnsklaverei? Das wäre wünschenswerter, als sich nur auf das selbständige, kapitalorientierte Handeln von einer bisher geringen Zahl von Selbständigen zu konzentrieren.

Um das für mehr Menschen zu erreichen, schlage ich vor, die bestehende Aufspaltung des Arbeitsbegriffs  in die Arbeit von selbständig Handelnden einerseits und abhängig Beschäftigten andererseits mehr in den Vordergrund der Diskussion zu rücken, und das selbständige Handeln von Menschen außerhalb der Produktion als Arbeit anzuerkennen, auch wenn es sich nicht mit dem Ziel der Kapitalverwertung erfolgt. E i n  objektiver, exakt definierter Arbeitsbegriff ist erforderlich und dieser muss auch mit dem der Naturwissenschaften übereinstimmen.

In jüngster Zeit ist es vor allem der amerikanischen Philosophin Elizabeth Anderson zu verdanken, dass sie uns die Vernachlässigung der noch nicht frei handeln könnenden Menschen wieder bewusst gemacht hat. Anderson führt in „Private Regierung“ (S. 26 und 27) aus: „Auf gewöhnlichen Märkten kann ein Verkäufer die angebotenen Produkte an einen Abnehmer verkaufen und sobald der Vorgang abgeschlossen ist, geht jeder für sich so frei seiner Wege wie zuvor. Arbeitsmärkte sind anders. Sobald Arbeitnehmer ihre Arbeit an einen Arbeitgeber verkaufen, händigen sie sich selbst dem Boss aus, dem es dann gestattet ist, sie herum zu kommandieren… Anstatt den Verkäufer wieder frei davonziehen zu lassen, unterstellt der Arbeitsvertrag den Verkäufer der Arbeit der Autorität seines Chefs. Seit dem Niedergang der Arbeiterbewegung haben wir jedoch keine wirkungsvollen Formen mehr, über diesen Sachverhalt zu sprechen und somit auch darüber, welche Art von Autorität Vorgesetzte über ihre Untergebenen haben sollten und welche nicht… Zwei Fragen möchte ich im Folgenden beantworten. Erstens: Warum reden wir so, als ob Arbeitnehmer bei der Arbeit frei sind und als ob die einzigen Gefahren für unsere individuelle Freiheit vom Staat ausgehen? Zweitens: Wie sähe ein Rahmen aus, in dem sich besser darüber reden ließe, wie die Arbeitgeber das Leben von Arbeitnehmern einschränken, so dass sich dann auch eine Diskussion darüber führen ließe, wie man Arbeitsplätze so gestalten kann, dass sie den Interessen der Arbeitnehmer mehr entgegenkommen?“

Wir realisieren heute, dass der Käufer von Arbeit, das selbständig handelnde Subjekt des Wirtschaftsprozesses, nur begrenzt über die gekaufte Arbeit verfügen kann, weil es sich dabei um eine dem sie leistenden Menschen innewohnende Fähigkeit handelt. Diese Fähigkeit, diese Kraft bleibt auch nach ihrem Verkauf unveräußerlich mit dem sie leistenden Menschen verbunden. In den Unternehmen gibt es keinen Produktionsfaktor Arbeit, sondern arbeitende Menschen. Arbeit ist auch kein Humankapital. Karl Polanyi hatte schon 1944 in „The Great Tranformation“ über die Warenfiktion der Arbeit geklagt.

Anderson kennzeichnet die Beziehungen zwischen Arbeitgebern und ihren abhängig Beschäftigten als „private Regierung“ . Sie stellt fest, dass diese Regierung genauso wenig öffentlich thematisiert wird, wie früher die häusliche Gewaltausübung im Privathaushalt, aus der sich Öffentlichkeit und Politik heraushalten sollten. Wie gut, dass diese Ansicht heute überwunden ist.  Wenn es Collier um die „Zukunft des Kapitalismus geht, dann stellt sich nun die Frage, welche Vorschläge er zudem macht, damit zukünftig mehr Menschen frei und selbständig handeln können.

Leider besteht sein einziger konkreter Vorschlag darin, gut ausgebildete und gut verdienende  Menschen in prosperierenden Agglomerationen, wie z. B. in London/UK, mit einer Zusatzsteuer auf ihr relativ hohes Einkommen zu belasten, mit dem die Regierung regionalen Globalisierungsverlierern helfen könnte. Collier erwähnt zwar, dass die Bezieher von relativ höheren Einkommen in London auch höhere Lebenshaltungskosten haben, und er ist sich daher  nicht sicher, ob die Relation zwischen Einkommen und Ausgaben wirklich groß genug ist, um zusätzliche Einnahmen erwarten zu können. Doch diesen Vorschlag als einziges Instrument anzubieten, um Regionen wieder attraktiv zu machen, neue Unternehmen anzusiedeln,  Arbeitsplätze zu schaffen und Steuern zu generieren, ist doch wohl nicht ausreichend. Collier schreibt zwar, dass „the ideologues of the right believe that as long as governments do not interfere, market forces will address the problem,“ stellt auch selbst fest:  „Unfortunately, this is merely an ideological belief… The market responds to the collapse of a cluster, but not by replacing it with a new one.“ (S. 129) Und da muß man ihm zustimmen, denn nirgendwo sind deindustrialisierte Regionen von allein wieder aufgeblüht, sondern immer hat es öffentlicher Aktivitäten und öffentlicher Mittel bedurft, z. B. durch die EU, die u.a. den neuen Busbahnhof in Coventry finanzierte. Aber warum ausschließlich die abhängig Beschäftigten das bezahlen sollen, ist eine von ihm nicht beantwortete Frage.

Darüber hinaus verwundert es, dass Collier nicht ein einziges Mal im Zusammenhang mit dem Rückgang von Industriearbeitsplätzen den Strukturwandel erwähnt. Mit Strukturwandel wird die relative Bedeutungsverschiebung von Arbeitsplätzen und Bruttowertschöpfung in den drei Wirtschaftssektoren bezeichnet. Zuerst gehen Arbeitsplätze und Wertschöpfung in der Landwirtschaft zurück, während die Bedeutung der Industrie zunimmt. Ab den 70er Jahren verliert dann der industrielle Sektor und die Bedeutung des tertiären Sektors der Dienstleistungen nimmt zu. Ohne hier näher darauf eingehen zu können, ist es doch wichtig, darauf aufmerksam zu machen, dass in entwickelten Volkswirtschaften heute zwei Drittel von Arbeitsplätzen und Wertschöpfung aus dem Dienstleistungssektor kommen. Die Gründe dafür sind, natürlich, vielfältig. Eine Rolle spielt dabei sicher auch, dass Arbeit durch Rationalisierungsmaßnahmen produktiver gemacht und durch Technik ersetzt wird. Auch hierzu gab es öffentliche Programme, um die „Humanisierung“ der Arbeit, d. h. die Anpassung der Arbeit an den Menschen und nicht umgekehrt, voranzubringen.

Während Jean Fourastié in „Die große Hoffnung des zwanzigsten Jahrhunderts“ bereits 1954 die Folgewirkungen der Rationalisierungen für die Arbeitsplätze untersuchte und zu dem Schluss kam, dass nur im Dienstleistungssektor neue Arbeitsplätze entstehen könnten, weil der tertiäre Sektor vergleichsweise nicht so rationalisierungsfähig sei, wie der primäre und sekundäre, müssen wir heute befürchten, dass seine Hoffnungen nicht eintreffen werden. Die Digitalisierung der Arbeit ermöglicht es in Zukunft, auch im Dienstleistungssektor Arbeitsplätze durch Technik zu ersetzen. Es wäre dann übrigens auch die Frage zu stellen, warum von Regierungen gerade Arbeit immer höher besteuert wird und daher immer teurer gemacht und infolgedessen wegrationalisiert wird, wenn doch die Regierung gleichzeitig sagt, mehr Arbeitsplätze schaffen zu wollen. Adam Smith, der „Vater der ökonomischen Theorie“, hatte bereits 1776 gefordert, Arbeitseinkommen überhaupt nicht zu besteuern, sondern nur Güter[5].

Umweltökonomen, wie Hans-Christoph Binswanger u. a. haben in „Arbeit ohne Umweltzerstörung, Strategien einer neuen Wirtschaftspolitik“, bereits 1983 festgestellt, dass unser Wirtschaftssystem falsch steuert: Arbeit wird zu hoch besteuert und dadurch fallen Arbeitsplätze weg. Naturstoffe werden dagegen zu wenig oder gar nicht besteuert, z. B. Flugzeugbenzin oder der Handel von Finanzprodukten. Auf Arbeitseinkommen muss Lohnsteuer gezahlt werden und zusätzlich kommt auf die damit erworbenen Lebensmittel noch die Mehrwertsteuer. Binswanger plädierte dafür, diese Vorgehensweise umzukehren. Naturstoffe sollten stärker besteuert und die so erzielten öffentlichen Mehreinnahmen sollten dazu genutzt werden, die Arbeitskosten zu verbilligen, z. B. durch die Reduzierung der Sozialversicherungskosten. Die Ressourcennutzung sollte relativ teurer und die Arbeitskosten sollten relativ billiger werden. Sein gut begründetes Plädoyer war der erste Vorschlag für eine aufkommensneutrale Ökosteuer Reform. Wenn allerdings 40 Jahre später von Ökosteuern die Rede ist, dann werden sie nur als willkommene Mehreinnahmen für die öffentlichen Kassen angesehen. Von der Reduzierung der Arbeitskosten ist nicht mehr die Rede. Man fragt sich, warum?

Es bleibt die Frage, ob eigentlich eine Theorie, die das von Menschen ersonnene Mittel des Wirtschaftens zu ihrem Ziel macht, und einen Umgang mit Mensch und Natur legitimiert, als seien diese verfügbare Objekte, realitätsgerecht und fair ist – und wenn man diese Frage verneint, dann kommt man nicht darum herum, sich mit der Modernisierung der bisherigen Wirtschaftstheorie und ihren historischen Annahmen befassen zu müssen – ganz zu schweigen von wirksamen nachhaltigen Maßnahmen gegen die Entlebendigung von Natur. Es ist wirklich bedauerlich, dass Collier dazu nichts zu sagen hat.


Die Buchtitel:

Elizabeth Anderson: Private Regierung – Wie Arbeitgeber über unser Leben herrschen (und warum wir nicht darüber reden), Suhrkamp Verlag, 2019

Paul Collier: The Future of Capitalism – Facing the New Anxieties, Allen Lane UK, 2018


Irene Schöne ist promovierte ökologische Ökonomin, hat viele Artikel veröffentlicht und die folgenden Bücher:

Ökologisches Arbeiten – Zur Theorie und Praxis ökologischen Arbeitens als Weiterentwicklung der marktwirtschaftlich organisierten Arbei, Deutscher Universitätsverlag, Wiesbaden, 1988

Wirtschaften in Schleswig-Holstein, Analysen und Perspektiven (Hrsg.), Edition Studio Schleswig.Holstein, Raisdorf, 1994

– FAIR ECONOMICS – Nature, Money And People Beyond Neoclassical Thinking, Green Books, Cambridge/UK, 2015


[1]             vgl. Mann, Bradley, Hughes,  in „Nature„, 23. 4. 1998. Für diesen Anstieg wurde der „Hockey stick“ als Bild gewählt. Und diese naturwissenschaftliche Entdeckung stellt eine „inconvenient truth“ dar (Al Gore).

[2]             Adam Smith, An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations, erstmals veröffentlicht 1776, Petersfield, 2007, S. 233

[3]             vgl. Irene Schöne, Ökologisches Arbeiten, Zur Theorie und Praxis ökologischen Arbeitens als Weiterentwicklung der marktwirtschaftlich organisierten Arbeit, Wiesbaden, 1988

[4]             und damit offensichtlich Skalven meinte

[5]             Adam Smith, An Inquiry into the Nature and Causes of The Wealth of Nations, erstmals veröffentlicht 1776, Petersfield, 2007, S. 563