Der Mann mit dem roten Quadrat ist tot

Wüstenstrom-Pionier starb in Hamburg

Nachruf auf Gerhard Knies (*10. Juni 1937, +11.12.2017)
von Friedrich Führ

Nach langer Krankheit und doch für viele Freunde überraschend, starb am 11.12.2017 der promovierte Physiker Gerhard Knies im Alter von 80 Jahren in Hamburg. Bis zuletzt widmete er seine Kraft auf unterschiedliche Weise den großen Menschheitsthemen Frieden, Wohlstand, Bildung und saubere Energieversorgung.

Gerhard Knies wuchs als Ältester von 6 Geschwistern in einem pietistischen Pfarrhaus unter wirtschaftlich schwierigen Verhältnissen auf. Er war Stipendiat des evangelischen Studienwerkes Villigst und arbeitete am CERN in Genf, nach einer Zwischenstation an der Universität von Kalifornien (Berkeley) betrieb er Jahrzehnte Grundlagenforschung mit Elementarteilchen als Physiker am DESY in Hamburg (Deutsches Elektronen-Synchrotron).

Die Tschernobyl-Katastrophe löste ein Umdenken bei ihm aus, er begann, sich mit den großen Menschheitsfragen zu befassen und sah zunehmend auch die Atomenergie kritisch. „Mit der Atomenergie löst man ein Problem, die Energiefrage, für die man eigentlich schon eine bessere Lösung hat“, fand Knies. „Gleichzeitig schafft man aber ein anderes Problem, die radioaktiven Abfälle, für das noch keine Lösung vorhanden ist.“ Er erkannte, dass Überbevölkerung, Energieknappheit und Übernutzung der abnehmenden Ressourcen Konflikte programmieren. Der durch die genannten Probleme beschleunigte Klimawandel verschärfe das Problem. Deshalb suchte er nach Lösungen für die komplexen Zusammenhänge. Den derzeitigen Zustand der Welt kritisierte er als „organisierte Zukunftskriminalität“. Die Lebensgrundlagen künftiger Generationen müssten geschützt und erhalten werden.

Eine entscheidende Wegmarke war 1995 seine Tätigkeit am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), wo er ein Sabbatjahr verbrachte. Dort wurde ihm das enorme Potenzial der Wüsten der Erde für saubere Stromproduktion bewusst. Die Wüstenstrom-Idee ließ ihn nicht mehr los und er setzte sich dafür ein, dieses Potenzial bekannt zu machen, damit es genutzt werde. Allein die Wüsten des Mittleren Ostens und Nord-Afrikas (MENA-Region) wären in der Lage, rund 40 Mal mehr sauberen Strom zu erzeugen, als weltweit benötigt wird. Blieben zwei Probleme: Die politisch unruhige Lage und der Stromtransport. Das sollte sein großes Thema für den Ruhestand ab 2001 werden.

Er war schon zuvor viele Jahre in der Friedensarbeit aktiv und erkannte, dass Friedensarbeit und Kampf um saubere Energie einander sehr gut ergänzen. Daraus wurde die später so bezeichnete Desertec-Vision (die Wüsten der Erde für saubere Stromproduktion zu nutzen). Knies hatte die Idee zwar nicht erfunden, aber doch wieder entdeckt, Mitstreiter gewonnen und so die Vision mit neuem Leben und frischen Ideen versehen. Wenn er als Vater von Desertec beschrieben wurde, dann musste er auf seine herzerfrischende Art lachen. Er sah sich – wenn überhaupt – als Pate von Desertec. Es war ihm stets bewusst, dass der Erfolg der Desertec-Idee und später der Industrie-Initiative Dii GmbH (www.dii-desertenergy.org) das Ergebnis von Teamarbeit und unzähligen Beiträgen von vielen engagierten Menschen war, die er öffentlich allesamt zu Vätern erklärte.

2003 bewilligte das Bundesumweltministerium Gelder für drei Studien, welche die Machbarkeit der Desertec-Idee federführend durch das DLR überprüften und bestätigten (Med-CSP, Trans-CSP und Aqua-CSP). Es gelang dafür die Gründung des TREC-Netzwerkes (Trans-Mediterranean Renewable Energy Cooperation), einer Zusammenarbeit von 50 Wissenschaftlern und engagierten Bürgern, mit dem Hamburger Klimaschutz Fonds, dem Club of Rome und unter anderem mit dem Jordanischen Nationalen Energieforschungszentrum (NERC National Energy Research Center of Jordan) sowie weiteren Partnern aus Marokko, Algerien, Libyen und Ägypten. Die Hilfe des Club of Rome war dabei in der Anfangszeit enorm wichtig, weil sie manche Türen öffnete und auch eine Infrastruktur bot.

Als ich Knies im Oktober 2006 kennenlernte und Middle-East Repräsentant von TREC in Dubai wurde, war er auf der Suche nach einem Champion, einem Politiker oder Manager, jedenfalls einer Art Bannerträger, der seine Ideen und die Ergebnisse der Arbeit der Kooperationspartner bekannt machen sollte. Er fürchtete, dass die Studien in irgendwelchen Schubladen verschwinden könnten. Es gelang, Knies davon zu überzeugen, dass niemand anderes als er selbst so glaubwürdig für das Konzept stehen könnte und dass dafür eine Organisation nötig sei. Das widerstrebte ihm anfangs sehr, da er sich vor allem als Netzwerker sah und sich zu dieser Zeit im Vordergrund sehr unwohl fühlte. Aber allmählich wurde er immer sicherer und fand Gefallen an der neuen Rolle.

Wir besuchten zusammen die MASDAR-Initiative in Abu Dhabi, die von TREC inspiriert war, und planten eine Konferenz in Dubai, dafür musste ein neuer Name gefunden werden, da der Name von TREC eine regionale Begrenzung enthielt und Dubai davon nicht umfasst gewesen wäre. Außerdem sollte aus Marketing-Gesichtspunkten das USP der Wüstenstrom-Idee deutlich werden, dass die Idee überall auf der Welt funktioniere. Der Name sollte selbsterklärend sein. So kam es zu der Umbenennung zu Desertec und zur organisatorischen Neugestaltung, die im Ergebnis im Jahr 2008 zur Gründung der Desertec Foundation führte, einer Stiftung mit Sitz in Berlin, die mehrfach ausgezeichnet wurde.

Die Masdar-Mächtigen empfahlen Alt-Bundeskanzler Gerhard Schröder als, wie sie es nannten, „Champion“ – und Knies trug diesem das Anliegen 2007 in Damaskus am Rande der 4. MENAREC Konferenz vor (eine Konferenzreihe, die bis heute besteht und an deren Gründung Knies mitbeteiligt war). Schröder und später das Auswärtige Amt empfahlen übereinstimmend, zuerst die Unterstützung der Industrie zu gewinnen, was später tatsächlich gelingen sollte. Im Jahr 2007 wurde das Weißbuch erarbeitet, das vom Club of Rome unterstützt wurde: „Clean Power from Deserts“. Der Untertitel lautete: „The DESERTEC Concept for Energy, Water and Climate Security“. Im November 2007 stellten wir das Buch der Öffentlichkeit in Brüssel vor. Knies gewann Prinz Hassan von Jordanien als Hauptredner, den damaligen Präsidenten des Club of Rome. Es fand ein Symposium mit Parlamentariern statt. Die Wirkung dieser Veranstaltung war enorm, da die Ergebnisse an die Französische Regierung herangetragen wurden. Kein Jahr später war ein Teil des Desertec-Konzeptes bereits Teil der Europäische Politik: wesentlicher Bestandteil der 2008 auf französische Initiative hin gegründeten „Union für das Mittelmeer“ ist der Solarplan, der auf den erwähnten Studien aufbaut. Damit war ihm etwas (vor allem in der Geschwindigkeit!) auf der politischen Schiene gelungen, was weder Schröder noch das Auswärtige Amt für möglich gehalten hatten.

Einem größeren Publikum bekannt geworden ist Knies erst mit der Gründung der Dii GmbH. Die Industrie-Initiative wurde auf seinen Wunsch hin auf den Tag genau ein Jahr nach der Gründung der „Union für das Mittelmeer“ am 13. Juli 2009 derÖffentlichkeit unter großem Medieninteresse vorgestellt. Es war das bis dato größte Medien-Event in der Firmengeschichte der Münchener-Rück-Versicherung, die als Gastgeber und Koordinator der folgenden Gründungsverhandlungen fungierte. Es folgte ein regelrechter Medienhype, der schwer zu bewältigen war und doch dazu führte, dass Knies ein wichtiges Ziel bereits mit der Gründung der Dii erreicht hatte: das Desertec-Konzept war als Lösung für einen Teil der globalen Fragen weltweit in der Diskussion.

Dabei half das rote Quadrat, dass die Fläche symbolisierte, die auf der Landkarte den benötigten Flächenbedarf für die Stromkraftwerke markierte. Es wurde zu seinem Markenzeichen. Wer die riesige Sahara-Wüste sieht und das rote Quadrat dazu ins Verhältnis setzt, dem wird sofort klar, was mittlerweile viele umfangreichen Studien und Veröffentlichungen nachweisen: Desertec funktioniert. Als großer Visionär und gleichzeitig scharf denkender Realist hatte Knies weltweit die Diskussion um Erneuerbare Energien gefördert und damit sein Ziel verfolgt, den Umstieg auf saubere Energien zu beschleunigen. Er war davon überzeugt, dass der Umstieg auf saubere Stromerzeugung sowieso kommen werde, nur vielleicht zu spät, um das Ziel zu erreichen, die Erderwährung auf zwei Grad (0der weniger) zu begrenzen. Und weil das so sei, müsse alles getan werden, um diesen unausweichlichen Schritt schneller hinzubekommen.

Deshalb war er offen für Vorschläge und bereit, jeden Tag dazu zu lernen. Er fragte oft: „Sind wir wirklich so blöde und begehen als Menschheit kollektiven Selbstmord?“ Die Frage ist aktueller denn je, deshalb ist es wichtig, dass das von Knies begonnene Werk fortgeführt wird. Für dieses hat Knies mehrere Organisationen gegründet, die dafür geschaffen wurden, u.a. auch das Desertec University Network. Für mehrere Jahre war Desertec das Thema im internationalen Diskurs, noch vor der späteren „Energiewende“ und bevor der Umstieg auf Erneuerbare Energien Mainstream wurde. Insofern war Knies ein Pionier, dem es gelang, vor allem unterschiedliche Mitarbeiter zu gewinnen. Er war mithin kein Einzelkämpfer, obwohl er für viele auf den ersten Blick so gewirkt haben könnte. Im Gegenteil, er war ein talentierter Teamplayer. Er misstraute Organisationen und blieb vor allem Wissenschaftler und Netzwerker. Die Notwendigkeit, Gelder einzuwerben, Mehrheiten zu organisieren und auch Verträge zu schließen, erkannte er als lästige Notwendigkeit zwar an, Freude bereitete ihm dieser Teil der Umsetzungsarbeit aber selten. Die Wirkung seines Engagements ist beachtlich, mehrere Länder Nordafrikas verabschiedeten eigene Solarpläne und der Ausbau von Erneuerbaren Energien in Nordafrika und darüber hinaus ist richtig in Gang gekommen.

In verschiedenen Regionen der Welt entwickelten sich Ableger von Desertec, die die Grundidee für ihre Region adaptierten. Sein Wirken lässt sich z.B. in Marokko sehr konkret verfolgen: dort entstand das damals weltgrößte Solarkraftwerk Ouarzazate.

Ab 2010 dachte er in noch größeren Zusammenhängen. Er entwickelte die Ideen, die schon für Desertec am Rande wichtig waren, gezielt weiter, nämlich internationale Sicherheit und Kooperation der Staaten untereinander, um die Welt zu einem friedlichen Ort des Zusammenlebens für 11 Milliarden Menschen zu gestalten. Dafür versuchte er, die Idee einer Weltinnenpolitik neu zu beleben.

Knies war Mitglied der Deutschen Gesellschaft des Club of Rome, und prägte ein Kapitel im neuen Bericht an den internationalen Club of Rome: „Come on“. In der deutschen Ausgabe heißt das Buch „Wir sind dran“, das im September 2017 erschien und ein großer Bericht zum 50. Jahrestag der Gründung des Club of Rome 2018 geworden ist. Knies‘ Beitrag bestand in der Beschreibung und Forderung nach einer neuen Form der Kooperation der Staaten untereinander, dem COHAB-Modell, das er im Viable World Design Netzwerk vorgestellt und weiterentwickelt hatte. Die Nationalstaaten sollten die Völker als Einheit und nicht als Konkurrenten begreifen und er steuerte Ideen bei, wie das praktisch funktionieren könne.

Er selbst sah in diesem Beitrag sein Vermächtnis, sein Testament. Er hat im besten Sinne einen Beitrag zu einer besseren Welt geleistet, er hat mit ungezählten Vorträgen, teilweise bei von ihm mit organisierten Konferenzen, einen großen Kreis von Menschen erreicht, angesprochen und begeistert. Er gab hunderte Interviews und wurde schließlich zu einem echten Medienprofi.

Gerhard Knies hinterlässt zwei Kinder, fünf Enkel und seine Ehefrau Heike Hartmann, mit der er mehr als 30 Jahre zusammenlebte, und die großen Anteil daran hat, dass er sich insbesondere im Ruhestand so frei entfalten konnte. Die Reaktionen seiner Weggefährten, die auf der Homepage der Desertec Foundation nachzulesen sind, zeigen, welche tiefe Wirkung er auf Menschen hatte. Die Arbeit wird in seinem Sinne weitergehen.

Friedrich Führ, Rechtsanwalt in Berlin, Mitglied der Deutschen Gesellschaft des Club of Rome, und war Mitgründer und Gründungsvorstand der Desertec Foundation.