Claudia Kemferts Apologie der Energiewende

„Das fossile Imperium schlägt zurück“

Die Berliner Energieökonomin Claudia Kemfert mag offensichtlich Anklänge an klassische Titel: Ihr vorletztes und drittes Buch hieß in Anlehnung an Felix Dahn „Kampf um Strom“ („Mythen, Macht und Monopole“) – ihr neues betitelte sie mit „Das fossile Imperium schlägt zurück“ („Warum wir die Energiewende jetzt verteidigen müssen“) – Star Wars lassen grüßen. Die Leiterin der Abteilung Energie, Verkehr, Umwelt am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung räumt darin rigoros mit Fake-News, „alternativen“ Fakten und Stimmungsmache gegen die Energiewende auf.

Aus einer Medienmitteilung des Verlags: „Der Kampf um Strom eskaliert! Ökonomin ermutigt zum zivilen Widerstand: ‚Die Energiewende ist ein Friedensprojekt‘. Alles schien auf einem guten Weg. Die Energiewende schafft Wohlstand, macht unabhängig von geopolitischen Konflikten, schützt das Klima und stärkt die Demokratie. Und sie ist erfolgreich. Zu erfolgreich. Die ‚alten‘ Energien und die Klimaskeptiker gehen nicht kampflos vom Platz. Stattdessen verbreiten Lobbyisten der Kohleindustrie und Atomenergie gezielt Fehlinformationen und schüren Mythen, die hartnäckig die Runde machen.“

Claudia Kemfert , DIW – Foto © Gerhard Hofmann Agentur Zukunft

In „Das fossile Imperium schlägt zurück“ nimmt Kemfert 10 häufige sogenannte Fake News sorgfältig und sachlich auseinander, appelliert an die Leser, sich aktiv gegen eindeutig manipulative politische Einflussnahmen zu wehren und gibt konkrete Tipps, wie ein solches Engagement für Klimaschutz und Erneuerbare Energien konkret aussehen kann. Denn Fake News seien „im Kampf um Macht und Geld zur Waffe geworden“ – auch in Sachen Energiewende.

Kaum jemand nehme wahr, dass in „News und Netz ein brandgefährlicher Krieg um Energie“ tobe, während gleichzeitig weltweit ein Comeback fossiler Energien zu beobachten sei – auch in Deutschland, dem Mutterland der Energiewende. Hierzulande werde das Erneuerbare-Energien-Gesetz zulasten der Energiewende novelliert, und in Brüssel blockierten ausgerechnet die deutschen Klimapioniere die Emissionsgrenzwerte. Lobbyisten lenken von dieser Wende in der Energiewende bewusst ab. Sie verbreiten gezielt Fehlinformationen und schüren Mythen, die hartnäckig die Runde machen.

Kemfert warnt: „Langfristig drohen Klimakatastrophen, geopolitische Konflikte und Kriege um Ressourcen“. Zehn Behauptungen unterzieht sie einem gründlichen Faktencheck:

  1. „Die Energiewende ist bis 2022 nicht zu schaffen.“

  2. „Zielmarke 2050 – So lang im Voraus kann man doch gar nicht planen!“

  3. „Die erneuerbaren Energien brauchen ein Tempolimit!“

  4. „Es drohen Blackouts.“

  5. „Die Energiewende lässt die Strompreise explodieren“

  6. „Es droht ein Kosten-Tsunami durch die Energiewende.“

  7. „Die Energiewende Führt zu einer De-Industrialisierung in Deutschland.“

  8. „Wir brauchen keine PlanwirtschaFt – die EnergiewirtschaFt braucht Markt.“

  9. „Die Energiewende Führt zur sozialen Verelendung.“

  10. „Mit seinem Alleingang isoliert sich Deutschland und gerät international ins Abseits.“

Anschaulich erklärt die Wissenschaftlerin die politischen und ökonomischen Zusammenhänge und erläutert die Entwicklungen der vergangenen Jahre. Damit versachlicht sie die aktuelle – immer wieder polemisch geführte – Debatte. Mehr noch: Ihr Buch ist ein Weckruf, sich nicht täuschen zu lassen und jetzt erst recht aktiv zu werden. Ihr Appell: „Erneuerbare Energien und Klimaschutz sorgen weltweit für Bildung, Wohlstand und Gerechtigkeit. Wir brauchen die Energiewende dringender denn je!“

Kemferts Lob für Solarify

In einem Kapitel („Nein zum postfaktischen Irrsinn, ja zur Energiewende“) beschäftigt sich Kemfert (S. 31) mit der jüngsten INSM-Kampagne zum Thema „Energiewende“: Deren angebliche Fakten hatte Solarify unaufgeregt und penibel unter der Überschrift „Faktencheck und Gegendarstellung“ in einem Artikel unter die Lupe genommen der kurze Antext: „Die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) läuft – wie schon bei der vergangenen Bundestagswahl – wieder einmal Sturm gegen Energiewende und Erneuerbare Energien. Kategorisch stellt sie fest: Die Energiewende ‚belastet Haushalte, schwächt die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft – vor allem aber: Der Umwelt ist wenig geholfen‘, ein altbekannter Argumentations-Dreisprung. Aber stimmt das denn? Solarify checkt die von der INSM gesammelten ‚Fakten‘, die zeigen sollen, ‚was an der Energiewende im Stromsektor schief läuft“‚. Schon diese ‚Fakten‘ sind – interessegeleitet – handverlesen. Solarify hat sie geprüft und jeweils darauf geantwortet – im Stil einer Gegendarstellung.“

Claudia Kemfert in „Das fossile Imperium schlägt zurück“ (Verlinkungen von Solarify): „Wer steckt eigentlich dahinter, wenn beispielsweise die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft, kurz INSM, zu Anfang des Bundestagswahljahrs 2017 elf solcher ‘Fakten’ veröffentlicht und mit allerlei Grafiken und Charts untermauert? Wer verfolgt hier welche Ziele, wenn ein – namentlich nicht genannter – Autor seine Auflistung ‘Die Fehler der Energiewende – und warum sie dennoch gelingen kann’ übertitelt, neben verdrehten Fakten aber keinen einzigen konstruktiven Vorschlag nennt?

Glücklicherweise gibt es geduldige Wissenschaftler und kritische Wissenschaftsjournalisten, die solcherlei Propagandaargumente immer wieder einzeln hinterfragen und Punkt für Punkt richtigstellen. Im genannten Beispiel tat dies taggleich der Informationsdienst SOLARIFY – selbstverständlich unter namentlicher Nennung der beteiligten Autoren und unter Angabe eines Impressums, das die Interessen und die Finanzierung der Website transparent macht.

Die INSM übrigens nennt sich selbst ‘eine regierungsunabhängige, branchen-und parteiübergreifende Organisation, die sich für fairen Wettbewerb, unternehmerische Freiheit, sozialen Ausgleich, Chancengerechtigkeit und eine verantwortungsvolle, generationengerechte Politik einsetzt.’ Auf Wikipedia heißt es, die INSM sei ‘eine im Jahr 2000 vom Arbeitgeberverband Gesamtmetall gegründete und von Arbeitgeberverbänden getragene advokatorische Denkfabrik und Lobbyorganisation.’ Und auf Lobbypedia wird die INSM als ‘marktliberale Lobby-Organisation’ bezeichnet. Sie bediene sich ‘einer Vielzahl von Medien, die aufeinander abgestimmt genutzt werden, um ihre Botschaften zu transportieren’. Dort finden sich detaillierte Angaben zu Finanzierung und Organisation der INSM, zusammengefasst heißt es: ‘Gesteuert und kontrolliert wird die INSM durch den Beirat, in dem sich neben Vertretern von Gesamtmetall auch Vertreter der anderen Spitzenverbände der deutschen Wirtschaft finden. Hinzu kommen Experten für Demoskopie, die über Meinungs- und Stimmungstrends informieren.’

Dagegen ist Solarify nach eigenen Angaben das unabhängige Infoportal von Agentur Zukunft und Max-Planck-Gesellschaft für Nachhaltigkeit, Erneuerbare Energien, Klimawandel und Energiewende.‘ Man wolle ‚mit den inzwischen mehr als 6500 hochgeladenen Texten und Grafiken eine aktuelle Informationsquelle sein, ein verlässlicher Leitfaden, um sich in der Flut der Informationen zurechtzufinden‘. Die Agentur Zukunft ist ein Berliner Journalistenehepaar mit vier Jahrzehnten Medienerfahrung als freiberufliche Hörfunk- und Fernsehautoren und Pressesprecher. Und die Max-Planck-Gesellschaft? Ihre Organisation (als eingetragener Verein) und Finanzierung (2016 rund zwei Milliarden Euro aus öffentlichen Mitteln) sind auf ihrer Website veröffentlicht. Sie ist Träger einer Vielzahl von Forschungseinrichtungen in Deutschland und im Ausland. Laut Wikipedia genießt sie ‘weltweite Anerkennung. Nichtuniversitäre Forschungsinstitutionen haben sie 2006 im Times Higher-Education-Supplement-Ranking zur weltweit besten nichtuniversitären Forschungseinrichtung gekürt. Die Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften kennt nur Wissenschaftliche Mitglieder’. Und wem von beiden – INSM oder Solarify – schenken Sie Glauben?“

„Was jetzt zu tun ist“

Am Ende des Buches listet Kemfert in einem Handlungskatalog unter dem Titel „Was jetzt zu tun ist“ eine ganze Latte von Vorschlägen auf:

Klima- und energiebewusste Bürgerinnen und Bürger und Verbraucherinnen und Verbraucher können und sollten jetzt dringend

  • genau hinschauen, um Wissenschaft und Propaganda voneinander zu unterscheiden: sich informieren. Dinge hinterfragen. Quellen prüfen. Wissenschaftlich fundierte Argumente sammeln und weitertragen.
  • Populismus mit und ausgewogenen Argumenten begegnen.
  • zeitfressende Debatten vermeiden, sobald klar wird, dass die Gegenseite nicht auf rationalem Boden argumentiert und nicht dorthin zurückkehren wird.
  • sich der Konsequenzen des eigenen Tuns und Nichttuns bewusst werden, ob es um den Umgang mit Energie, eine klimaschonende Lebensweise oder um das politische Engagement geht.
  • die Meinung sagen. Überzeugungen verteidigen. Sichtbar werden.
  • klima- und energiepolitische Petitionen unterschreiben.
  • Ablenkungsmanöver im Wahlkampf durchschauen und zur Bundestagswahl gehen.
  • nicht länger zugucken, sondern selbst aktiv werden. Auf die Straße gehen. Demonstrieren. Mitglied in einer Partei werden und sich für eine dezentrale, intelligente Energiewende engagieren. Sich nicht von Lobbyisten beirren lassen.
  • sachliche wissenschaftliche Informationen an Freunde, Verwandte und Kollegen weitergeben.
  • die eigenen Privilegien hinterfragen.
  • Ökostrom beziehen. Am besten von einem echten Ökostromanbieter, der ausschließlich Strom aus erneuerbaren Quellen anbietet. Oft ist das billiger als der Grundstromtarif, den viele Verbraucher nutzen, die noch nie den Stromanbieter gewechselt haben.
  • Energie sparen. Das Zuhause energieeffizient gestalten und bis zu 1000 Euro im Jahr sparen.
  • Mitglied in einem Bürgerwindpark oder einer Energiegenossenschaft werden. Die eigenen Depots dekarbonisieren und prüfen, was die Rentenversicherung mit dem eigenen Geld anstellt.
  • zum Stromproduzenten werden. Eine Solaranlage auf dem Dach oder Balkon betreiben oder ein Blockheizkraftwerk im Keller.
  • eine nachhaltige Verkehrswende unterstützen. Das eigene Auto stehen lassen, abschaffen oder Carsharing betreiben. Öffentliche
  • Verkehrsmittel, Fahrrad oder Bahn nutzen. Wenn es nicht anders geht, beim nächsten Autokauf ein klimaschonendes Fahrzeug oder E-Auto anschaffen.
  • nur fliegen, wenn es nicht anders geht. Die Emissionen für Flüge ausgleichen.
  • regionale Produkte und saisonale Lebensmittel kaufen. Die Ernährung sollte weder Umwelt noch Klima schädigen. Mehr Gemüse essen.

Klima- und energiebewusste Beschäftigte in der Erneuerbare Energien-Branche oder anderen Energiewende-Branchen können und sollten jetzt dringend

  • die positive Wirkung der Energiewende kommunizieren und für die Energiewende werben.
  • sich in einer Gewerkschaft oder einer Partei engagieren.
  • eine eigene politische Lobby bilden.
  • für ihre Interessen kämpfen.
  • als wachsende Berufsgruppe sichtbar werden.

Klima- und energiebewusste Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler können und sollten jetzt dringend

  • den Elfenbeinturm verlassen und wissenschaftliche Fakten einer breiten Öffentlichkeit verständlich machen.
  • in persönliche Gespräche gehen, aber auch in die. Medien und in populäre Veranstaltungsformate.
  • sich nicht auf Schaukämpfe einlassen, sondern echte Fragen stellen und echte Antworten geben.
  • den Diskurs nicht nur den Medienmachern und selbst ernannten Experten überlassen .

Klima- und energiebewusste Unternehmerinnen und Unternehmer können und sollten jetzt dringend

  • das Unternehmen konsequent auf Nachhaltigkeit ausrichten.
  • in Energieeffizienz- und Nachhaltigkeitsmaßnahmen investieren.
  • den Mitarbeitern helfen, Energie zu sparen.
  • das Energiesparen belohnen.
  • gegen die Privilegien von Unternehmen protestieren, die in fossile Energien investieren oder diese nutzen.
  • . die eigenen Privilegien hinterfragen.
  • die wirtschaftliche Macht und die eigenen Gestaltungsmöglichkeiten nutzen.
  • soziales Engagement für Klimaschutz unterstützen.
  • Finanzpartner überprüfen und Bankgeschäfte dekarbonisieren.

Klima- und energiebewusste Politikerinnen und Politiker können und sollten jetzt dringend

  • sich nicht von rückwärtsgewandten Lobbyisten beirren lassen.
  • für energiepolitischen Konsens auf lokaler, überregionaler wie globaler Ebene streiten.
  • die Wissenschaft verteidigen und unterstützen.
  • die politische Macht und die Gestaltungsmöglichkeiten nutzen.
  • rausgehen, zuhören und fordern. Eine offene Debattenkultur pflegen, Belege einfordern und nicht per Anbiederung auf Stimmenfang gehen.
  • finanzielle Anreize schaffen, damit Klimaschutz für Verbraucher und die Wirtschaft attraktiv ist.
  • das EEG und den Emissionshandel retten.
  • Stromkunden entlasten. Regelungen schaffen, damit die niedrigen Börsenstrompreise an die Verbraucher weitergegeben werden.
  • die Börsenstrompreise stabilisieren und einen überdimensionierten Netzausbau verhindern.
  • für eine nachhaltige Verkehrswende und Elektromobilität kärnpfen.
  • bei einem klaren Energiewende-Kurs bleiben. Keine Rückschritte erlauben, keine Privilegien für die fossile Energieweit verteilen.
  • den Ausbau der erneuerbaren Energien so sehr vorantreiben, dass konventionelle Kraftwerke überflüssig werden!
  • den Kohleausstieg konsequent vorantreiben. Rahmenbedingungen für einen konsequenten Kohleausstieg schaffen.
  • einen Mindestpreis für CO2 festlegen, der klimapolitische Wirkung hat.
  • klare Entscheidungen treffen und dabei bleiben. Unternehmen einen konsequenten Klimakurs vorgeben. Unternehmen für Investitionen in den Klimaschutz belohnen.
  • Energieeffizienzmaßnahmen und Klimaschutz aller Art belohnen.
  • auf Abwrackprämien für alte Kraftwerke verzichten.

Solarify erlaubt sich neben dem Lob für die verdienstvolle Faktensammlung und Diskussion eine kleine Anmerkung: Wie schon die (ebenfalls lobesvollen) Kritiker des vorletzten Buchs „Kampf um Strom“ anmerkten, täte auch dem aktuellen Buch ein Literaturverzeichnis, bzw. ein Anhang mit weiterführenden Quellenhinweisen gut. Vielleicht bei künftigen Auflagen, die dem Buch zu wünschen wären.

->Quellen: