Gast-Kommentar: PV-Abwanderung – Chance für Europa!

Weltweiter PV-Markt positiv – kein Technologieproblem, sondern Investitionsproblem

Von Prof. Eicke R. Weber, Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme ISE, Freiburg

Prof. Eicke Weber – Foto © Gerhard Hofmann, Agentur Zukunft – 20141204

„Produktions­stätten und Photovoltaik­zubau verlagern sich zwar zunehmend nach Asien. Dennoch entwickelt sich der globale Photovoltaik-Markt sehr positiv und unerwartet schnell.“ Diese Aussage stellt Eicke Weber an den Anfang seines Gastkommentars, denn wir hätten „in Deutschland derzeit eine Art Nahbrille auf“, die den Blick in die Zukunft trübe. Für 2014 erwartet er 35 Prozent Wachstum für PV: weltweit 46 GW Zubau zu den bereits installierten 130 GW. Die Abwanderung der Fertigung aus Europa gehe letztlich auf politische Entscheidungen zurück. Aufgrund gigantischer Überkapazitäten seien die Modulpreise unter die Herstellkosten gesunken. Die Politik in China habe im Gegensatz zu uns aber den klaren Willen, am Zukunftsmarkt Photovoltaik teilzuhaben. Es gebe also kein Technologie-, sondern ein Investitionsproblem.

Produktions­stätten und Photovoltaik­zubau verlagern sich zunehmend nach Asien, besonders nach China. Diese Entwicklung wird auch die kommenden Jahre anhalten. Was bedeutet dies für die deutsche Solarforschung?

Der globale Photovoltaik-Markt entwickelt sich sehr positiv und unerwartet schnell. Diese Aussage stelle ich an den Anfang, weil wir in Deutschland derzeit eine Art Nahbrille aufhaben, die den Blick für die Zukunft trübt. Für das Jahr 2014 erwarte ich weltweit 46 Gigawatt Photovoltaik-Zubau, zu den 130 Gigawatt bereits installierter Leistung – ein Wachstum von 35 Prozent. Die Abwanderung der Fertigung aus Europa hat letztlich mit politischen Entscheidungen zu tun. Über die letzten Jahre wurden gigantische Überkapazitäten aufgebaut – eine „normale“ Folge des Goldgräberfiebers. Die Folge war ein Absinken der Modulpreise unter die Herstellkosten. Auch in China sind die Produzenten in Liquiditätsschwierigkeiten geraten. Nur hat die Politik in China den klaren Willen, weiter am Zukunftsmarkt Photovoltaik teilzuhaben. Es gibt also kein Technologieproblem, sondern ein Investitionsproblem. Angesichts des billigen Geldes und der stagnierenden Wirtschaft in Europa ist mir unverständlich, warum die Politik in Europa nicht die Chance eines Zukunftsprogramms mit Erneuerbaren Energien ergreift. Ich bin allerdings nur Physiker, nicht Politiker oder Wirtschaftsweiser.

Als Physiker muss ich mich immer wieder vom Tagesgeschäft lösen und in die Vogelperspektive gehen, um Trends zu erkennen. Wenn ich einerseits das Wachstum des globalen Photovoltaikmarktes von 35 Prozent pro Jahr und andererseits die Abnahme der Überkapazitäten betrachte, komme ich zu einem Schnittpunkt, ich schätze 2016 oder 2017. Dann wird sich der Modulpreis wieder in Richtung der seit Jahrzehnten verifizierten Lernkurve bewegen, unter die er durch die Überkapazitäten gefallen war. Zu diesem Zeitpunkt wäre der nächste Technologieschub für die weitere Verbilligung der Produktionskosten fällig. Wenn allerdings die noch führenden deutschen Ausrüster der Photovoltaik-Fabriken in China und anderswo keine neuen Produkte vorweisen, werden sie keine Geschäfte mehr machen können.

Chancen statt Probleme fokussieren – die Multi-Gigawatt-Fabrik

Natürlich will ich nicht, dass es dazu kommt. Das ist auch nicht nötig, denn es gibt eine große Chance. Wir haben eine neue Solarzellengeneration entwickelt, die als Basis für einen Technologiesprung bei der Fertigung dienen kann. Die neue Solarzelle wird statt 18 Prozent einen Wirkungsgrad von 20 Prozent und nach weiterer Forschung langfristig bis 24 Prozent haben. Mit dem Wirkungsgrad steigt nicht nur der Ertrag, sondern es sinkt auch der Materialeinsatz für die Module und die benötigte Fläche entsprechend. Technische Details zur neuen Solarzelle darf ich nicht verraten, nur so viel: Das bewährte Silizium bleibt Materialbasis und die Zelle hat im Technikumsmaßstab ihr Fertigungspotenzial bereits bewiesen.

Zusammen mit französischen und Schweizer Forschungsinstitutionen haben wir deshalb den Vorschlag einer Multi-Gigawatt Fabrik gemacht, die die neue Generation von Solarzellen in einer Menge und zu einem Preis liefern kann, die weltmarktfähig sind. An diesem Projekt, das als Arbeitstitel den Namen xGWp trägt, arbeitet ein Konsortium, an dem neben der Forschung auch namhafte Industrieunternehmen beteiligt sind. Dieses Projekt gibt uns die Möglichkeit, nicht nur die Technologieführerschaft in Europa zu halten, sondern auch einen nennenswerten Teil der Photovoltaik Produktion. Da wir die Technologie durch Patente abgesichert haben, würde Europa auch bei der weltweiten Verbreitung der neuen Technik in weitere Fertigungsländer ein wichtiger Akteur bleiben.

An dieser Stelle möchte ich mit einem alten Vorurteil aufräumen, die niedrigen Personalkosten, zum Beispiel in China, würden die Fertigung von Photovoltaik in europäischen Fabriken von vorne herein unrentabel machen. Tatsache ist, dass schon beim heutigen Automatisierungsgrad der Anteil der Personalkosten weit unter zehn Prozent liegt. Bei der hochautomatisierten xGWp-Fabrik würde dieser noch weiter sinken. Außerdem steigen auch in China mit dem Wohlstand die Löhne. Für unseren Plan spricht außerdem, dass die Chinesen jetzt ein ähnliches Problem wie die deutsche Solarindustrie zuvor haben: Ihre Anlagen kommen in die Jahre! Der Großteil ist bis zum Abschwung 2010 und 2011 gebaut worden. Entsprechend niedrig sind Wirkungsgrade und Effizienz in den Fabriken. Staat und Wirtschaft in China haben derzeit wenig Neigung, in neue Technologien zu investieren, nachdem sie sich bei der gegenwärtigen Krise die Finger verbrannt haben. Wir würden uns also mit der xGWp Fabrik auf längere Zeit an die Spitze des Weltmarkts setzen. Für 2020 erwarte ich dafür ein jährliches Volumen von 100 Gigawatt, das wahrscheinlich bis 2025 auf 300 Gigawatt ansteigt.

Folgen für die Forschung

Die Photovoltaik steht also erst am Anfang ihres Siegeszuges – und zwar unabhängig davon, ob in Deutschland die Zeichen der Zeit erkannt werden oder nicht. In letzterem Fall hat die deutsche Forschung dennoch jede Menge Alternativen. Wenn es keine europäischen Hersteller mehr gibt, wird sie natürlich vermehrt die außereuropäischen Hersteller unterstützen – die Photovoltaik-Forschung ist längst international. Es wäre aber schade, dass das mit deutschen und europäischen Fördermitteln aufgebaute Know-how dann wirtschaftlich anderen Ländern zugute käme. Man kann das natürlich als einen indirekten Beitrag zur Entwicklungszusammenarbeit sehen, doch könnte das effizienter und mit weniger negativen Folgen wie Insolvenzen geschehen. Als Trost bliebe, dass der Klimaschutz in den Herstellerländern durch die Photovoltaik sicher schneller vorankommt als ohne.

Neben der Photovoltaik stellt die Energiewende viele wichtige Fragen an die Forschung. Das Fraunhofer ISE hat in seinen 33 Jahren viele Auf- und Abschwünge erlebt. Das ist eine natürliche Folge der Beschäftigung mit neuen Technologien. Wir haben uns deshalb schon immer als „Systemhaus“ verstanden und eine breite Palette von nachhaltigen Energietechniken im Portfolio. Wir arbeiten zum Beispiel an der Transformation des Netzes in ein Smart Grid, an neuen IT-Lösungen und an der Integration von Elektromobilität und Wärme in ein nachhaltiges Energiesystem. Wir forschen an der Speicherung – von dezentralen Photovoltaik-Batterien über saisonale Wärmespeicher bis hin zu den 3-Monats-Kavernen, die – auf der Basis von Wasserstoff – eines Tages die nationale Gasreserve ersetzen werden.

Die Forschung wird nicht untergehen, wenn die Photovoltaik in Deutschland erst einmal aufs Abstellgleis gefahren wird. Wir dürfen uns dann nur nicht wundern, wenn eines Tages klar wird, dass da – wie beim Kopierer oder dem Computer – ein Zug abgefahren ist, den wir selbst einmal mühsam angeschoben haben. Es wäre deshalb vernünftig, zumindest die Technologieführerschaft in Europa zu behalten. Es wäre vernünftig die Fernbrille aufzusetzen, um weitreichende Entscheidungen auch mit der nötigen Klarheit treffen zu können: Wir brauchen im Jahr 2050 etwa 10.000 Gigawatt installierte Photovoltaik-Leistung weltweit, wenn wir nur zehn Prozent des Strombedarfs damit decken wollen. Zu diesem Zeitpunkt wird die Kilowattstunde Photovoltaik-Strom in südlichen Breiten etwa drei Cent (2014) kosten.

Folgen für uns alle

Die Frage ist, will Europa an diesem gigantischen Markt nicht nur als Käufer teilhaben, sondern weiter Technologieführer sein? Will Europa von einem der wichtigsten Zukunftsmärkte für seine eigene Zukunft profitieren? Wollen wir der europäischen Jugend eine Chance geben, sich mit Erneuerbaren Energien einen nachhaltigen Wohlstand aufzubauen und die europäischen Werte mit vitaler Substanz zu füllen? Wollen wir Deutsche unsere Innovationsfreudigkeit und unseren Mut, unangenehmen Wahrheiten mit Konsequenz und Intelligenz zu begegnen, auch in klingende Münze wandeln? Die Antwort muss die Politik geben, müssen Bürgerinnen und Bürger geben. Die Forschung wird weiter an den Wahrheiten forschen und für deren Wahrnehmung werben, indem sie Wenn-Dann-Konsequenzen aufzeigt.

Prof. Eicke Weber ist Physiker und leitet seit 2006 das Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme ISE in Freiburg. Vorher war er mehr als zwanzig Jahre lang Professor an der Universität von Berkeley in Kalifornien. Dieser Beitrag, mit freundlicher Genehmigung von Prof. Weber auf Agentur Zukunft hochgeladen, wurde zum ersten Mal auf energiezukunft.eu, dem Portal von naturstrom, veröffentlicht.