Kommentar von Gerhard Hofmann
„Das neue Bürgergeld bringt den Systemwechsel: Mehr Respekt, mehr Vertrauen“, prophezeite die SPD-Bundestagsfraktion bei der Einführung vor zwei Jahren. „Wer nicht mitzieht, oder durch Schwarzarbeit betrügt, muss mit härteren Konsequenzen rechnen“ (so Arbeitsminister Hubertus Heil vor wenigen Tagen. CDU-Chef Merz ist dagegen, kommt es doch von der Ampel; er sieht darin nichts mehr als die „Werbung für ein sorgenfreies Leben in Deutschland“.
Das Statistische Bundesamt teilte soeben mit: „2024 bezogen in Deutschland bis September durchschnittlich rund 4 Millionen erwerbsfähige Personen Bürgergeld. Damit würde die Zahl der erwerbsfähigen Leistungsempfänger, sollte es dabei bleiben, das zweite Jahr in Folge und auf den höchsten Stand seit 2018 steigen.“ Die Kabarettistin Sarah Bosetti überschrieb am 10. Oktober 2024 einen ihrer Auftritte in extra 3: „Der Mythos der Faulheit“. Sie nennt die aktuelle Diskussion um das Bürgergeld für Totalverweigerer eine „Riesen-Scheindebatte“, denn es seien „nur 0,4 Prozent betroffen“ – in Zahlen 16.000. Doch das hindert die Opposition nicht, die Maus zum Elefanten aufzublasen und pauschal unter vorauseilender Assistenz eines Schmierblatts mit großen Buchstaben alle 4 Millionen als Schmarotzer zu beleidigen. Für Reiche war es schon immer wohlfeil, missbräuchlich an Neidgefühle zu appellieren.
Sarah Bosetti nennt das „faktenbefreit“. Aber die Statistiker verweigern die Erhebung der Anzahl von Totalverweigerern (ein Begriff, der bisher eher auf Leute Anwendung fand, die sich weigerten, mit der Waffe in der Hand in den Krieg zu ziehen). Ein Sprecher der Bundesagentur für Arbeit hatte bereits im März 2024 auf Anfrage von tagesschau.de mitgeteilt, dass man keine genauen Zahlen von „Totalverweigerern“ habe: „Wir können statistisch nicht auswerten, wie oft eine Minderung festgestellt wurde, weil jemand eine Arbeit abgelehnt hat“, so der Sprecher. Infolgedessen liegen keine belastbaren Zahlen vor. Christlich-demokratische Politiker scheinen das nicht zu wissen (oder nicht wissen zu wollen). Faktenkenntnis vewässert halt auch das Urteil. Zumal das Bundesverfassungsgericht schon 2019 geurteilt hat, dass Sanktionen, um das vom Grundgesetz geschützte Existenzminimum zu sichern, nicht zu weit gehen dürften. Kürzungen in Höhe von 30 Prozent seien vertretbar, 60 oder 100 Prozent aber nicht. Doch was kümmert einen wackeren Konservativen ein Verfassungsgerichtsurteil!
Die von Wirtschaftsminister Habeck ins Spiel gebrachte 1000-Euro-Prämie für erfolgreich wiedereingegliederte Langzeitarbeitslose (vulgo „Arsch-hoch-Prämie“) macht laut Frankfurter Rundschau lediglich Stimmung in der Gesellschaft, zielt aber an der Realität von Betroffenen vorbei. Ganz falsch seien die harten Worte nicht. Denn denjenigen zu belohnen, der schon ein Jahr erwerbstätig ist, verfehle den Zweck. Wichtig seien Hilfen, die direkt den Einstieg in Erwerbsarbeit erleichterten. Nach einem Jahr „mit einer Tüte Bonbons“ vorbeizukommen, helfe nicht.
Das Arbeits- und Sozialministerium hat auf seiner Internetseite einen Faktencheck zum Thema Bürgergeld veröffentlicht:
Gängige Falschaussagen und Richtigstellungen zum Bürgergeld
- Falsch: „Mit dem Bürgergeld lohnt sich Arbeit nicht mehr.“
- Falsch: „Viele Leute kündigen ihre Jobs und beziehen lieber Bürgergeld.“
- Falsch: „Bürgergeld-Bezieher sind faul.“
- Falsch: „Wer nicht arbeiten will, hat im Bürgergeld keine Sanktionen zu fürchten.“
- Falsch: „Das Bürgergeld ist ein bedingungsloses Grundeinkommen.“
- Falsch: „Für Teilzeit arbeitende Bürgergeld-Empfänger lohnt sich ein Wechsel in die Vollzeit meist nicht.“
- Falsch: „Der Abstand zwischen dem Mindestlohn und dem Bürgergeld ist immer geringer geworden.“
Diese Fakten haben die Unionsfraktionskollegen wohl noch nicht erreicht.