Untersuchung zu „Overshoot“-Szenarien zur späteren Senkung der Temperaturen – rasches Reduzieren der Emissionen unerlässlich

Vattenfall-Kraftwerk Reuter-West, Berlin (lt. UBA 2,7 Mio. t CO2 pro Jahr) – Foto © Gerhard Hofmann, Agentur Zukunft
Selbst wenn die Erderwärmung nach vorübergehendem Überschießen des 1,5-Grad-Limits wieder zurückgeführt werden kann: Einige bei der Maximaltemperatur ausgelöste Klimaschäden, wie erwa der Meeresspiegel-Anstieg, sind irreversibel. Dies zeigt eine Untersuchung von 30 WissenschaftlerInnen, mitverfasst vom Berliner Klimaforschungsinstitut MCC (Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change) – wissenschaftlicher Höhepunkt eines dreieinhalbjährigen Projekts, das vom Europäischen Innovationsfonds HORIZON2020 gefördert wurde und sich mit „Overshoot“-Szenarien befasst. Dabei überschreiten die Temperaturen vorübergehend das 1,5-Grad-Limit des Pariser Abkommens, bevor sie dank netto-negativer CO2-Emissionen wieder sinken. Die Studie wurde am 09.10.2024 open access in Nature veröffentlicht.
„Diese Studie widerlegt die Vorstellung, dass das Klima nach einem Overshoot ähnlich dasteht, wie wenn wir früher mehr getan hätten, um die maximale Erwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen“, kommentierte Carl-Friedrich Schleussner, Gruppenleiter am Forschungsinstitut IIASA in Laxenburg bei Wien, wissenschaftlicher Berater am Berliner Institut Climate Analytics und Leitautor der Studie. „Nur wenn wir in diesem kritischen Jahrzehnt viel mehr tun, um die Emissionen zu senken und die Höchsttemperaturen so niedrig wie möglich zu halten, können wir die Schäden wirksam begrenzen.“
Abstract aus Nature
„Die weltweiten Anstrengungen zur Emissionsreduzierung reichen weiterhin nicht aus, um das Temperaturziel des Pariser Abkommens zu erreichen. Dies macht die systematische Erforschung sogenannter Overshoot-Pfade, bei denen die angestrebte Obergrenze für die globale Erwärmung vorübergehend überschritten wird, bevor die Temperaturen wieder auf ein sichereres Niveau gesenkt werden, zu einer Priorität für Wissenschaft und Politik. Hier zeigen wir, dass der globale und regionale Klimawandel und die damit verbundenen Risiken nach einem Overshoot anders aussehen als in einer Welt, die ihn vermeidet. Wir stellen fest, dass ein globaler Temperaturrückgang die langfristigen Klimarisiken im Vergleich zu einer bloßen Stabilisierung der globalen Erwärmung begrenzen kann, auch was den Anstieg des Meeresspiegels und die Veränderungen in der Kryosphäre betrifft. Die Möglichkeit, dass die globale Erwärmung viele Jahrzehnte in der Zukunft wieder rückgängig gemacht werden könnte, könnte jedoch für die Anpassungsplanung heute nur von begrenzter Bedeutung sein. Die Temperaturumkehr könnte durch starke Rückkopplungen im Erdsystem unterlaufen werden, die zu einer starken kurzfristigen und anhaltenden langfristigen Erwärmung führen. Zur Absicherung und zum Schutz vor hochriskanten Entwicklungen sehen wir die geophysikalischNotwendigkeit einer präventiven Kohlendioxid-Entfernungskapazität von mehreren hundert Gigatonnen. Technische, wirtschaftliche und Nachhaltigkeitsüberlegungen könnten jedoch die Realisierung einer Kohlendioxidabscheidung in diesem Umfang einschränken. Daher können wir nicht darauf vertrauen, dass ein Temperaturrückgang nach einer Überschreitung innerhalb des heute erwarteten Zeitrahmens erreicht werden kann. Nur rasche, kurzfristige Emissionssenkungen können die Klimarisiken wirksam verringern.“
Wenn wir 1,5 Grad überschreiten sollten, hat es klare Vorteile, die Erwärmung umzukehren, indem wir weltweit auf netto negative Emissionen hinarbeiten. Durch ein langfristiges Absenken der Temperaturen kann der Anstieg des Meeresspiegels im Jahr 2300 um etwa 40 Zentimeter niedriger ausfallen, als wenn die Temperaturen lediglich nicht weiter steigen. „Die Analyse zeigt, dass zusätzlich zu ehrgeiziger Emissionsminderung auch zunehmend CO2-Entnahmen aus der Atmosphäre gebraucht werden, um vom Overshoot zurückzusteuern“, sagt Sabine Fuss, Co-Leiterin des MCC und Co-Autorin der Studie. „Dies bedeutet angesichts des derzeit begrenzten nachhaltigen Potenzials eine enorme Herausforderung, die Entnahme-Methoden hochzuskalieren. Und wir müssen unsere Restemissionen wirklich minimieren, um nicht darauf unsere knappen Entnahme-Potenziele zu verschwenden.“
Die Studie betont: Zwar gibt es noch Wege, die Erwärmung langfristig auf 1,5 Grad oder weniger zu begrenzen – aber es ist eine „Absicherung“ gegen höhere Werte für den Fall erforderlich, dass sich das Klimasystem stärker erwärmt als in den mittleren Schätzungen ausgewiesen. Erforderlich sein könnte eine „Präventivkapazität“ von mehreren hundert Gigatonnen Netto-Entnahme. „Bis wir die Netto-Null erreichen, wird sich die Erderwärmung fortsetzen“, merkt Mitautor Joeri Rogelj an, Professor für Klimawissenschaft und -politik am Imperial College London. “Je früher wir die Netto-Null erreichen, desto geringer wird die maximale Erwärmung sein und desto geringer ist das Risiko irreversibler Auswirkungen. Dies unterstreicht, wie wichtig es ist, dass die Länder rechtzeitig vor dem Klimagipfel im nächsten Jahr in Brasilien ehrgeizige neue Reduktionszusagen vorlegen.“
Quellen:
- mcc-berlin.net/forschungsteam-warnt-vor-ungewissheit-bei-ueberschreiten-des-15-grad-limits.htm
- Originalpublikation: Carl-Friedrich Schleussner, Gaurav Ganti, Quentin Lejeune, Biqing Zhu, Peter Pfleiderer, Ruben Prütz, Philippe Ciais, Thomas L. Frölicher, Sabine Fuss, Thomas Gasser, Matthew J. Gidden, Chahan M. Kropf, Fabrice Lacroix, Robin Lamboll, Rosanne Martyr, Fabien Maussion, Jamie W. McCaughey, Malte Meinshausen, Matthias Mengel, Zebedee Nicholls, Yann Quilcaille, Benjamin Sanderson, Sonia I. Seneviratne, Jana Sillmann, Christopher J. Smith, Norman J. Steinert, Emily Theokritoff, Rachel Warren, Jeff Price & Joeri Rogelj , 2024, Overconfidence in climate overshoot, Nature:
https://www.nature.com/articles/s41586-024-08020-9 – open access