Schweflige Säure H2SO4 – und es gibt sie doch

Weltweit erster Nachweis unter Atmosphärenbedingungen stellt Lehrbuchmeinung in Frage

Labor in Berlin-Adlershof – Foto © Gerhard Hofmann, Agentur Zukunft

Weinexperten und wenige Fachleute kennen den Begriff „schweflige Säure“ – bisher galt sie allerdings praktisch als nicht herstellbar. Nun haben Forscher am Leibniz-Institut für Troposphärenforschung (TROPOS) in Leipzig erstamals die Existenz der schwefligen Säure (H2SO3) unter Atmosphärenbedingungen in der Gasphase nachgewiesen und iher Ergebnisse open access in Angewandte Chemie veröffentlicht.

Im Gegensatz zur bekannteren Schwefelsäure (H2SO4) galt schweflige Säure (H2SO3) bisher als schwer oder nicht zugängliche Verbindung. In Lehrbüchern wird die mögliche Bildung von H2SO3 in wässriger Schwefeldioxid (SO2)-Lösung vorgeschlagen, wobei ihre Existenz in isolierter Form für unmöglich gehalten wird. Trotz großer Anstrengungen bei Verwendung verschiedener spektroskopischer Methoden war der experimentelle Nachweis von H2SO3 in wässriger SO2-Lösung jedoch bisher erfolglos. Nachweisbar waren nur die korrespondierenden Basen Bisulfit HSO3 und Sulfit SO32-.

Der bisher einzige experimentelle Nachweis von H2SO3 gelang der Arbeitsgruppe um Helmut Schwarz von der TU Berlin im Jahr 1988 mittels In-situ-Erzeugung im Massenspektrometer. Dabei wurde eine extrem kurze Lebensdauer unter Vakuumbedingungen im Bereich von 10 Mikrosekunden und mehr abgeschätzt.

Zusammenfassung aus Angewandte Chemie (Open Access)

Schweflige Säure (H2SO3) ist dafür bekannt, dass sie thermodynamisch instabil ist und sich in SO2 und H2O aufspaltet. Alle Versuche, diese schwer fassbare Säure in Lösung nachzuweisen, sind bisher gescheitert. Berichte über die Bildung von H2SO3 aus einem in einem Massenspektrometer durchgeführten Experiment sowie Ergebnisse aus theoretischen Berechnungen deuteten jedoch auf eine mögliche kinetische Stabilität in der Gasphase hin. Hier wird experimentell gezeigt, dass H2SO3 bei der OH-Radikal-initiierten Gasphasenoxidation von Methansulfinsäure (CH3S(O)OH) bei 295±0,5 K und 1 bar Luft mit einer molaren Ausbeute von mathematischen Gleichungen % gebildet wird. Weitere Hauptprodukte sind SO2, SO3 und Methansulfonsäure. CH3S(O)OH ist ein wichtiges Zwischenprodukt der Dimethylsulfid-Oxidation in der Atmosphäre. Globale Modellierungen sagen eine jährliche H2SO3-Produktion von ∼8 Millionen Tonnen aus der OH+CH3S(O)OH-Reaktion voraus. Der untersuchte Abbau von H2SO3 in Gegenwart von Wasserdampf ergibt k(H2O+H2SO3) <3×10-18 cm3 Molekül-1 s-1, was auf eine Lebensdauer von mindestens einer Sekunde für die atmosphärische Feuchtigkeit hinweist. Diese Arbeit liefert den experimentellen Beweis, dass H2SO3, sobald es in der Gasphase gebildet wurde, kinetisch stabil genug ist, um seine Charakterisierung und nachfolgende Reaktionen zu ermöglichen.

Aus der Veröffentlichung der Uni Leipzig vom 03.09.2024 – „Schweflige Säure H2SO3 – und es gibt sie doch“

Theoretische Berechnungen vermuteten die Bildung von H2SO3 als ein mögliches Reaktionsprodukt der Gasphasenreaktion von OH-Radikalen, die in der Troposphäre vorwiegend aus Ozon und Wassermolekülen in Gegenwart von UV-Strahlung entstehen, mit Dimethylsulfid (DMS). DMS entsteht hauptsächlich durch biologische Prozesse im Meer und ist mit jährlich etwa 30 Millionen Tonnen die größte biogene Schwefelquelle für die Atmosphäre.

Der mögliche Reaktionspfad zu H2SO3 ausgehend vom DMS wurde experimentell im Labor am TROPOS in Leipzig untersucht. Dabei gelang in Strömungsreaktoren für atmosphärische Bedingungen der eindeutige Nachweis für die Bildung von H2SO3 in der Gasphase. Unter den experimentellen Bedingungen blieb die schweflige Säure unabhängig von der Luftfeuchtigkeit eine halbe Minute lang stabil. Längere Verweilzeiten konnten mit dem bestehenden experimentellen Aufbau bisher nicht untersucht werden. Daher könnte H2SO3 auch in der Atmosphäre ausreichend lange genug existieren und einen Einfluss auf die chemischen Prozesse haben. Die beobachtete Ausbeute war dabei sogar etwas größer als theoretisch angenommen. „Es war sehr beeindruckend, die klaren H2SO3-Signale im Spektrometer zu sehen, für eine Verbindung, die man als möglicherweise „nicht existent“ angenommen hatte“, so Dr. Torsten Berndt vom TROPOS, der die Idee dazu hatte und die Experimente durchführte.

Schweflige Säure ist auch Mitverursacherin des sauren Regens, da das bei der Verbrennung fossiler Brennstoffe (beispielsweise) Kohle, Erdöl, Erdölprodukte) oder Biomasse gebildete Schwefeldioxid vom Regenwasser aus der Erdatmosphäre „ausgewaschen“ wird (siehe auch: Smog. Um zu verhindern, dass Schwefeldioxid in die Umwelt entweicht, gibt es verschiedene Verfahren zur Rauchgasentschwefelung.

Der neue Reaktionspfad wurde anschließend in ein globales Chemie-Klimamodel implementiert. Die zugehörigen Modellsimulationen zeigten, dass global jährlich ca. 8 Millionen Tonnen an H2SO3 gebildet werden. „Dieser Pfad produziert etwa 200mal mehr Masse an H2SO3 als die direkte Bildung von Schwefelsäue (H2SO4) aus Dimethylsulfid in der Atmosphäre. Die neuen Ergebnisse können zu einem besseren Verständnis des atmosphärischen Schwefelkreislaufs beitragen“ fügen die für die Globalmodellierung zuständigen Wissenschaftler, Dr. Andreas Tilgner und Dr. Erik Hoffmann, hinzu.

Wie bei vielen Forschungsergebnissen ergeben sich auch hier viele neue interessante Fragestellungen: Einmal in der Gasphase gebildet, scheint die schweflige Säure zumindest eine gewisse Stabilität aufzuweisen. Dabei ist die Lebensdauer bezüglich der Reaktion mit Spurengasen in der Atmosphäre noch völlig unklar. Die Reaktion mit Wasserdampf ist ebenfalls noch nicht zufriedenstellend geklärt. „Es sind noch wesentlich mehr Untersuchungen in weiter optimierten Experimenten notwendig, um die Bedeutung von H2SO3 hinreichend zu klären“, ergänzt Dr. Torsten Berndt.

Der Nachweis von H2SO3 stellt ein weiteres Beispiel für das Aufspüren neuer Reaktionspfade und den experimentellen Beweis bisher nur theoretisch vorgeschlagener oder schwer zugänglicher Verbindungen dar. Dies wird möglich durch das Zusammenspiel einer optimalen Reaktionsführung verbunden mit hochempfindlichen Nachweisverfahren. So kam in dieser Studie ein Massenspektrometer mit einer Nachweisgrenze von 104 Molekülen eines Produktes pro Kubikzentimeter bei Atmosphärendruck zum Einsatz, d.h. es ist der Nachweis eines speziellen Moleküls in einer Mischung von 1015 Molekülen (1 Billiarde von Molekülen) möglich. Immer bessere Methoden werden einen immer tieferen Einblick in Reaktionsprozesse erlauben und damit zu einem immer besseren Verständnis in der Atmosphärenchemie sowie in allen anderen Bereichen der Chemie beitragen.

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