„Thermofenster“ rechtswidrig

Deutsche Umwelthilfe gewinnt bisher umfangreichstes Gerichtsverfahren zu Millionen Betrugsdiesel-Pkw von VW, Audi und Seat

Das Verwaltungsgericht Schleswig hat am 17.01.2024 bestätigt, dass in 62 unterschiedlichen Diesel-Modellvarianten mit EA-189 Motor unzulässige Abschalteinrichtungen eingebaut sind, die bis heute zur Vergiftung der Atemluft in unseren Städten führen. „Thermofenster“ seien rechtswidrig. Die DUH hat das Verfahren angestrengt und fordert nach diesem bereits zweiten errungenen Urteil Bundesverkehrsminister Wissing auf, den Richterspruch endlich zu respektieren und die „Kumpanei mit den betrügerischen Dieselkonzernen“ zu beenden. DUH-BGF Resch sagte: „Der Gesundheitsschutz von Millionen den Dieselabgasgiften ausgesetzten Menschen in unseren Städten muss endlich durch die Stilllegung der Betrugs-Diesel oder deren Hardware-Nachrüstung auf Kosten des betrügerischen VW-Konzerns erfolgen“.

Dieselabgase – nein danke! – Foto © Gerhard Hofmann, Agentur Zukunft)

Das „Paukenschlag-Urteil für die Saubere Luft“ hat laut DUH zur Folge, dass Millionen Diesel-Pkw von Volkswagen, Seat und Audi müssen stillgelegt oder auf Kosten der Hersteller mit einer neuen Abgasreinigung ausgestattet werden müssen. Insgesamt 62 Modellvarianten der Hersteller mit dem Motor EA-189 der Abgasstufe Euro 5 verstoßen laut heutigem Urteil des Verwaltungsgerichts (VG) Schleswig gegen Recht und Gesetz und enthalten auch mehr als acht Jahre nach Aufdeckung des Dieselskandals nach wie vor aktive illegale Abschalteinrichtungen.

VW hält das Urteil für fehlerhaft und hat bereits Rechtsmittel angekündigt. Neben der Berufung am OVG hat das Verwaltungsgericht wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zudem die Sprungrevision zum Bundesverwaltungsgericht zugelassen.

Das Gericht hat der DUH-Klage gegen das Kraftfahrzeug-Bundesamt (die Bundesrepublik Deutschland) und den beigeladenen Volkswagen-Konzern vollumfänglich stattgegeben: Die Abgasreinigung bei Diesel-Fahrzeugen muss zwischen minus 15 Grad Celsius bis plus 40 Grad funktionieren, so die Richter. Abschalteinrichtungen, die unter 10 Grad Außentemperatur, nach 15 Minuten Leerlauf oder oberhalb von 1.000 Metern Höhe die Reinigung der Abgase herunterfahren oder ganz abschalten, sind unzulässig. Es war rechtswidrig, dass das KBA das über Jahre geduldet hat. Das Gericht hob die Freigabebescheide der Behörde für alle betroffenen Diesel-Fahrzeuge des VW-Konzerns mit dem EA189-Motor auf. Gleichzeitig hat das Gericht das KBA dazu verpflichtet, gegen den VW-Konzern tätig zu werden, damit die Abschalteinrichtungen entfernt werden. Die DUH fordert nun entweder die sofortige Anordnung einer Hardware-Nachrüstung oder eine Stilllegung der Autos mit Entschädigung der Kunden durch die Autobauer.

DUH-Bundesgeschäftsführer Jürgen Resch sieht in dem „Urteil eine klare Niederlage für Bundesverkehrsminister Wissing und das ihm unterstellte Kraftfahrt-Bundesamt. Durch die Abschaltung einer ordnungsgemäßen Abgasreinigung in Millionen Diesel-Fahrzeugen werden Millionen Menschen in unseren Städten unnötigerweise hohen, extrem gesundheitsschädlichen Stickstoffdioxid-Konzentrationen ausgesetzt. Das haben der Europäische Gerichtshof und das zuständige Gericht in Schleswig nun sogar schon zum zweiten Mal bestätigt und uns Recht gegeben.“

Im Original – VG Schleswig-Holstein: Klage des Deutschen Umwelthilfe e.V. gegen das Kraftfahrt-Bundesamt erfolgreich

„Die 3. Kammer des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts hat heute (17.01.2024) in einem Klageverfahren des Deutschen Umwelthilfe e.V. gegen das Kraftfahrt-Bundesamt (Az. 3 A 332/20) mündlich verhandelt. Beigeladen waren die zum Volkswagen-Konzern gehörenden Automobilhersteller Volkswagen AG, Audi AG und SEAT S.A. Die Beigeladenen produzierten unter anderem Fahrzeuge, in denen Dieselmotoren des für den Volkswagen-Konzern unter Verantwortung der beigeladenen Volkswagen AG entwickelten Typs EA 189 Euro 5 verbaut sind.

Die Kammer hat entschieden, dass die im Jahr 2016 durch das Kraftfahrt-Bundesamt erfolgte Freigaben für insgesamt 62 verschiedene ältere Fahrzeugtypen der Beigeladenen mit dem o.g. Motortyp rechtswidrig waren. Die Freigaben hätten nicht erfolgen dürfen, weil es sich bei der Verwendung eines sog. Thermofensters bei der Abgasrückführung um eine unzulässige Abschalteinrichtung handele. Daneben handele es sich auch bei der „Taxi-Schaltung“, die nach 900 Sekunden im Stand die Abgasrückführung reduziert, sowie bei der ab einer Höhe von 1000 m reduzierten Abgasrückführung um unzulässige Abschalteinrichtungen.

Die Kammer verweist zur Begründung u.a. auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) vom 8. November 2022 (Az. C-873/19). Der EuGH hatte entschieden, dass der Deutsche Umwelthilfe e.V. zum einen zur Anfechtung der Genehmigung befugt ist und dass zum anderen eine Abschalteinrichtung wie die Thermofenster nur ausnahmsweise zugelassen werden darf, wenn sie zur Vermeidung einer schweren Gefahr für den Motor und den sicheren Betrieb des Fahrzeugs notwendig ist. Die Kammer verneinte eine derartige Gefahr. Die Rechtsprechung des EuGH betone, dass es um ein unmittelbares Risiko für den Motor gehen müsse. Die Beklagte und die Beigeladenen hätten technische Probleme anderer Bauteile ihrer Fahrzeuge dargelegt, die zunächst aber nicht direkt den Motor betreffen würden. Eine konkrete Gefahr für den sicheren Betrieb ergebe sich aus diesen Darlegungen nicht. Damit hält die Kammer an ihrer bereits im Urteil vom 20. Februar 2023 (Az. 3 A 113/18) entwickelten Rechtsprechung fest.

Das Kraftfahrt-Bundesamt ist im Falle der Rechtskraft des Urteils verpflichtet, geeignete Maßnahmen zur Herstellung rechtmäßiger Zustände zu ergreifen.

Die ausformulierten Urteilsgründe liegen derzeit noch nicht vor. Die Entscheidung ist noch nicht rechtskräftig. Das Gericht hat wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache die Berufung zum Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgericht sowie die Sprungrevision zum Bundesverwaltungsgericht zugelassen. Die Rechtsmittel können binnen eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils eingelegt werden.“

Insgesamt rechnet die DUH mit rund 8,6 Millionen Diesel-Fahrzeugen deutscher, europäischer und internationaler Hersteller, die in Deutschland mit ähnlich unzulässigen Abschalteinrichtungen noch in Betrieb sind. Dadurch stoßen die Pkw bis heute bis zu 40mal so viel Stickoxide aus wie erlaubt – stark gesundheitsschädliche Abgasgifte, die allein in Deutschland für zehntausend vorzeitige Todesfälle jedes Jahr verantwortlich sind. In den kommenden Monaten wird das VG Schleswig sich mit weiteren Klagen der DUH gegen die Bundesregierung zu Betrugsdiesel-Fahrzeugen von Mercedes-Benz, Porsche, BMW, Fiat und 15 weiteren Herstellern beschäftigen.

DUH-Rechtsanwalt Remo Klinger:„Wenn das KBA zukünftig als neutrale Behörde ernst genommen werden will, muss es endlich einschreiten und aufhören, insbesondere Volkswagen nach dem Mund zu reden. Die höchstrichterliche Klärung zu diesen Fragen liegt durch mehrere Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs längst vor.“

Der Verkehrssektor ist in Deutschland durch die Abgase von rund 58 Millionen zugelassenen Fahrzeugen (Quelle: Kraftfahrtbundesamt, Januar 2013) für rund 20 Prozent (Quelle: Umweltbundesamt, 2012) der klimaschädlichen CO2-Emissionen verantwortlich (DUH).

Hintergrund:

Nach Aufdeckung des Abgasskandals 2015 durch Abgasmessungen der DUH war das KBA gezwungen, eigene Überprüfungen anzustellen. Doch anstatt gegenüber den Autoherstellern anzuordnen, dass die illegalen Abschalteinrichtungen zu entfernen sind, wurde in zahlreichen Bescheiden die von den betrügerischen Autoherstellern verwendeten Abschalteinrichtungen (die nach der Außentemperatur, der Höhenlage und der Länge des Leerlaufs in Betrieb gesetzt wurden) für zulässig erklärt, die Bescheide selbst aber geheim gehalten. Nach Auffassung der DUH hätten die Fahrzeuge stillgelegt oder durch eine Hardware-Nachrüstung ertüchtigt werden müssen, um damit die Grenzwerte für die Stickoxidemissionen einzuhalten. Nach diesen Freigabebescheiden des KBA durften die Fahrzeuge weiter auf den Straßen unterwegs sein. Die DUH hat mit ihren Messungen aufgedeckt, dass auch nach den Software-Updates die Luft fast unverändert weiter mit hohen Mengen Stickoxiden vbelastet wurde. Daraufhin hat die DUH am 16.04.2018 ein Musterverfahren gegen das KBA eingeleitet. Es zielt auf die Aufhebung eines 2016 erteilten Freigabebescheids für den VW Golf Plus TDI (2,0 Liter) mit dem Motor EA 189 EU5.

Im November 2019 hatte das Verwaltungsgericht Schleswig das Verfahren ausgesetzt, um zunächst zwei Fragen durch den Europäischen Gerichtshof entscheiden zu lassen. Zum einen ging es dabei um die Klagebefugnis der DUH, weil das deutsche Umweltrechtsbehelfsgesetz dies für den Fall der Pkw-Typgenehmigung ausschließt. Zum anderen sollte geklärt werden, unter welchen Umständen Abschalteinrichtungen als legal einzustufen sind. Im November 2022 hat der Europäische Gerichtshof bestätigt, dass die DUH berechtigt ist, gegen das KBA zu klagen. Außerdem stellten die Richter klar, dass die Abgasreinigung in der überwiegenden Zeit ihrer Nutzung auch bei niedrigen Außentemperaturen funktionieren muss. Daraufhin hat die DUH im Februar 2023 das Musterverfahren gegen das KBA gewonnen. Ihm folgte das aktuelle Verfahren im Streit um 62 weitere Modellvarianten.

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