Das Wasserstoff-Zeitalter begann in Deutschland schon am 5. Mai 1999 um 12 Uhr

eine Philippika von Bernd Ahlers

Bernd Ahlers – Foto © privat

Der Energieexperte Bernd Ahlers setzt sich in einem kritischen Text mit dem Wasserstoff-Hype auseinander: Er hält nichts davon, Wasserstoff für viel zu teuer und bestreitet folglich, dass H2 zu Recht Energieträger der Zukunft genannt werde. Er geht mit seiner Argumentation mehr als 20 Jahre in der Geschichte zurück.
Gastbeiträge geben die Meinungen der Autorinnen und Autoren, nicht in jedem Fall die  der Agentur Zukunft wieder.

Wasserstoff als „Energieträger“? Jetzt müssen wir Steuerzahler zum wiederholten Mal an Forschungs-Einrichtungen und Industrie Milliarden zahlen, nur um schon wieder prüfen zu lassen, wie sich Wasserstoff als „Energie“ nutzen lässt. Dabei hat Deutschland doch schon am 05.05.1999, 12 Uhr das Wasserstoff-Zeitalter eingeläutet.

Damals ging auf dem Münchner Flughafengelände die „weltweit erste öffentliche“ Wasserstofftankstelle in Betrieb. Mit ihr war der erste Schritt in die viel beschworene Wasserstoffwirt­schaft gemacht worden. 2006 entstand dann die nächste deutsche Superlativ in Sachen Wasserstoff. Mitten in Berlin eröffnete die „weltweit größte“ Wasserstofftankstelle.

Auch in Hamburg und Stuttgart hatte die Zukunft begonnen. Beide Städte betrieben bis Ende 2006 je drei Brennstoffzellen-Busse im Rahmen des europäischen CUTE-Projekts (Clean Urban Transport for Europe); An­fang 2007 lief das Anschlussprojekt HyFLEET:CUTE an. Hamburg hatte seine Flotte von drei Brennstoffzellen-Busse auf insgesamt neun aufgestockt. Berlin hatte 14 Linienbusse mit Wasserstoff-Verbrennungsmotor angeschafft. Anfang 2007 ist ein weiteres europäisches Projekt an den Start gegan­gen: Im Rahmen von „HyChain Minitrans“ sollten bis 2010 mehr als 150 Kleinfahrzeuge mit Brennstoffzellenantrieb auf die Straßen kommen.

Bei solchen Nachrichten könnte man meinen, das Zeitalter der sauberen Fortbewegung mittels schadstofffreiem Wasser­stoff sei nun endlich greifbar nahe. Doch der Eindruck könnte falscher nicht sein: Während allerorten öffentlich geförderte Projekte ihren gefeierten Fortgang nehmen, kommen einige Experten nach einer Kalkulation zunehmend zu dem Schluss, dass die Reise in die Wasserstoffwirtschaft in Wirklichkeit ein Holzweg ist.

Als BMW 2006 seinen Hydrogen 7, einen wasserstoffbetriebenen 7er, mit dem definierten Ziel vorstellte, dass Prominente aus Politik und Wirtschaft das Modell fahren sollten, lehnte die damalige Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckhardt (Grüne) den 7er-BMW wegen seiner schlechte Energie-Bilanz ab. Fraktionskollege Anton Hofreiter schlug eine Präsentations-Einladung mit der Begründung aus: „Ein PKW, der zu Beginn des dritten Jahrtausend im Wasserstoffmodus auf 100 km 50 Liter schluckt, kann nicht den Anspruch auf Nachhaltigkeit erheben.“

Es macht den Anschein, dass unsere Politiker davon ausgehen, dass Wasserstoff eine nahezu unerschöpfliche Energiequelle und damit eine verlockende Alternative zur bisherigen Energieversorgung ist. Sie lassen sich damit überreden, dass mit einem Schlag alle Klimaprobleme gelöst seien. Die Energieversorgung mit Wasserstoff und Brennstoffzelle ist faszinierend sauber, weil sich Wasserstoff mit dem Sauerstoff der Luft verbindet, und nur noch etwas Strom und Wasser benötigt wird.

Alles richtig, und angesichts solch einleuchtender Fakten ist es kein Wunder, dass die Wasserstoffidee Öffentlichkeit, Wirtschaft und Politik gleichermaßen fasziniert. Noch werden die Stimmen der Kritiker unterdrückt, zumal Enthusiasten ihren Posaunen­tönen eine weltbefreiende Note aufdrücken.

Der ehemalige Präsident der Europäischen Kommission rief Anfang 2004 die „Europäische Wasserstoff- und Brennstoffzellen-Technologie-Partnerschaft“ aus. Bis zum Jahr 2030 soll demnach die Transformation unserer auf fossi­len Energien basierenden Wirtschaft in eine „wasserstofforien­tierte Wirtschaft“ abgeschlossen sein. Mit weit verbreiteten Wasserstoffpipelines, die ausschließlich regenerativ erzeugten Wasserstoff transportieren, mit allgegenwärtigen Brennstoff­zellen im Verkehr, in der dezentralen Stromerzeugung bei jedermann zu Hause und in abertausenden von Kleingeräten.

Zur Verwirklichung dieser Vision wurden im 6. Forschungs­rahmenprogramm der EU rund 300 Millionen Euro ausgegeben. Allein in Deutschland flossen 2004 rund 85 Millionen Euro von Bund, Ländern und der EU in die Wasserstoff- und Brenn­stoffzellenforschung, und auch die Merkel-Regierung hat 2005 ein „nationales Innovationsprogramm zu Wasserstofftech­nologien“ auf die Fahnen und in den Koalitionsvertrag ge­schrieben. Der damalige Bundesverkehrs­minister Wolfgang Tiefensee stellte zusätzliche 500 Millionen Euro Fördermittel für die Entwick­lung von Wasserstoffautos bereit. BMW, Mercedes nahmen dankbar das Geschenk an.

Doch was beim Propagieren einer Wasserstoff-Revo­lution nicht beantwortet wird, ist, wo die Unmengen an Wasserstoff für die­ses Paradies auf Erden eigentlich herkommen sollen: Wasser­stoff ist keine Energieträger wie Erdöl oder Erdgas. Wasserstoff kommt in der Natur in freier Form so gut wie gar nicht vor. Stattdessen ist er in Wasser, Biomasse oder fossilen Kohlen­wasserstoffen wie Kohle und Erdgas gebunden. Bevor sich das Gas als Energielieferant einsetzen lässt, muss es aus seinen bestehenden Verbindungen gelöst werden. Das kostet jede Menge Energie – von der im frei werdenden Wasserstoff an­schließend nur ein kleiner Teil gespeichert werden kann.

Wer einmal das Ganze von vorn bis hinten durchrechnet, wird zu dem Ergebnis kommen: Die Wasserstoffwirtschaft kann gar nicht kom­men. Als künstlicher Energieträger, der erst verlustträchtig unter Einsatz anderer Energien hergestellt werden muss, kann Wasserstoff niemals konkurrenzfähig werden.

Der gesamte Energieverbrauch von Diesel und Benzin im Verkehrsbereich (710 TWh) entspricht etwa der Energie des gesamten Stromverbrauchs Deutschlands (650 TWh). Mit Umwandlungsverlusten bräuchte man die dreifache Kapazität der heutigen Stromerzeugung, um max. 50 Prozent des Verkehrsbedarfs mit Wasserstoff abzudecken.

Ein weiteres Problem ist die Speicherung. Denn das Wasser­stoffatom ist das kleinste aller Atome. „Wasserstoff enthält, bezogen auf sein Gewicht, zwar dreimal mehr Energie als Benzin, aber viel entscheidender ist die Energiedichte pro Volumen. Und da schneidet Wasserstoff sehr, sehr schlecht ab.“ sagt Martin Wietschel vom Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung (ISI) in Karlsruhe.

Tiefgekühlt oder unter Druck

Um Wasserstoff als Antriebsenergie im Autos mit akzeptablen Reichweiten zu nutzen, muss das Gas an Bord entweder bei sehr hohen Drücken von bis zu 700 bar oder flüssig bei minus 253 Grad gespeichert werden. Ein weiterer Nachteil: Der Tankinhalt eines Wasserstoff­autos löst sich schon nach kurzer Zeit in Luft auf. Denn das Wasserstoffatom ist so klein, dass es kaum gelingt, alle Bauteile gegen ein Austreten in Dampfform abzu­dichten. Flüssiger Wasserstoff erwärmt sich mit der Zeit und verdampft dann einfach. Eine Zeit lang ruhte die Hoffnung für bessere Tanks auch auf Me­tallhydridspeichern, die gasförmigen Wasserstoff absorbieren und bei Erwärmung wieder abgeben. Sie erwiesen sich aber als zu teuer und schwer, dass sie nur in U-Booten, und Schiffen verwendet wer­den, wo beide Faktoren kaum eine Rolle spielen.

Bleibt einstweilen nur die Speicherung unter hohem Druck oder bei tiefen Temperaturen. Doch beide Verfahren tragen weiter zur schlechten Energiebilanz von Wasserstoff bei. Schon die Komprimierung von gasförmigem Wasserstoff auf 700 bar verschlingt nach Berechnungen 13 Prozent der in ihm enthaltenen Energie- und selbst unter die­sem hohen Druck hat er nur etwa ein Drittel der Energiedichte von Benzin. Alles in allem landet im Drucktank nur nicht einmal die Hälfte der hochsubventionierten elektrischen Wind- Photovoltaik-Energie, die zur Erzeugung des Wasser­stoffs eingesetzt wurde. Noch schlimmer sieht es bei der Ver­flüssigung aus. Die frisst zwischen 30 und 50 Prozent der Ener­gie im Wasserstoff. Der Transport ist bei diesen Zahlen noch gar nicht mitgerechnet. Insgesamt kommen bei einem mit Wasserstoff betriebenen Brennstoffzellen-Auto an den Rädern nicht mehr als 20 bis 25 Prozent der ursprünglich „Primär-Energie“ an. Beim Wasserstoffverbrennungsmotor ist es wegen seines schlechteren Wirkungsgrades noch wesentlich weniger.

All das haben Wissenschaftler und Ingenieure in „The Future of the Hydrogen Economy: Bright or Bleak?“ schon Anfang des Jahres 2003 detailliert vorgerechnet. Wasserstoff­wirtschaft ist nichts anderes als Energieverschwendung. Dass die diesbezüglichen Ingeni­eurrechnungen stimmen, bestreitet man bei der Linde AG, einem der größten Wasserstoffhersteller der Welt, nicht. Zweifelsfrei ist, dass Deutschland zu 98 Prozent vom Öl abhängig ist, die Wirtschaft muss strategisch denken und handeln, dann muss man sich Gedanken ma­chen, was man tun kann, denn wir haben ein Energie- und ein CO2-Problem. Daran besteht kein Zweifel – aber warum sich die deutsche Wirtschaft aus­gerechnet auf Wasserstoff als Gegenmittel gestürzt hat, will nicht ein­leuchten. Auch 2020, 20 Jahre nach dem Beginn des Wasserstoffzeitalters in Deutschland, wird es in absehbarer Zeit weder Brennstoffzellen­ Autos zu wettbewerbsfähigen Preisen geben, noch bezahlbaren Wasserstoff dafür.

Die Wind- und Photovoltaik- Lobbyisten machen heute aber eine andere Rechnung auf. Der Ausbau ist ins Stocken geraten, weil bei Starkwind und hoher Sonneneinstrahlung die Strom-Netze beim weiteren Ausbau der Windparks kollabieren. Die Unternehmen der Windparkindustrie wollen aber auf die ständig sprudelnden Milliarden vom Steuerzahler nicht verzichten. Daher schlagen sie vor, den Ausbau von Windanlagen auch gegen Bürgerproteste voranzutreiben. Die „Überproduktionen“ kann dann in Wasserstoff umgewandelt und gespeichert werden, die dann bei Wind-Flaute und Nachts wieder in Strom umgewandelt wird. Eines ist jetzt schon ohne Rechenkünste ersichtlich; das wird ganz schön teurer Strom…

Das bei jeder Umwandlung von einer Energiequelle in eine andere Verluste entstehen, wird gerne von den Wasserstoffpropheten verschwiegen. Schon heute zahlt der deutsche Privat-Verbraucher den höchsten Strompreis in Europa. Albert Einstein hat einmal auf die Frage, welches das häufigsten Element im Universum sei, geantwortet: „Wasserstoff und die Dummheit der Menschen. Nur beim Wasserstoff bin ich mir nicht ganz so sicher“.