Buch: „Willkommen im Anthropozän!“

Das Zeitalter des Menschen – eine Einführung

Paul Crutzen (2015) – Foto © Gerhard Hofmann, Agentur Zukunft

„Wir befinden uns im Anthropozän!“, erzählt der Umweltwissenschaftler Erle C. Ellis, Autor des gleichnamigen Buches, habe Paul Crutzen, Meteorologe mit Forschungsschwerpunkt Atmosphärenchemie und und Nobelpreisträger, 2000 bei einer Konferenz ausgerufen. Er fragte sich nämlich, warum seine Kollegen unsere Zeit immer noch als Holozän bezeichneten? Habe die Menschheit seit dem Ende der letzten Eiszeit und dem Beginn des Holozäns die Erde doch so deutlich sichtbar umgestaltet! Von da an gewann der Vorschlag, die gegenwärtige geologische Zwischenzeit nach uns, dem Anthropos, umzubenennen – und die Kritik daran –, enorm an Schwung, sowohl innerhalb als auch außerhalb akademischer Kreisen.

So beginnt Ellis sein Buch über das „Anthropozän – das Zeitalter des Menschen – eine Einführung“. Und er fragt weiter. „Warum erfuhr ein solch esoterischer geologischer Begriff so rasch allgemeine Aufmerksamkeit, wurde zum Zankapfel wissenschaftlicher Debatten und zugleich weltweit so populär? Um dies zu verstehen, ist es hilfreich, den Blick jenseits der Wissenschaft auf die Ursprungsgeschichten zu richten, die von Beginn der Zeiten an in allen menschlichen Gesellschaften erzählt wurden. Von prähistorischer Zeit bis heute wurde die Rolle des Menschen in der Natur – als Erhalter, Partner, Verwalter, Gärtner oder Zerstörer – immer wieder durch Narrative definiert, die sein Auftauchen auf der Erde erklärten. In den abrahamitischen Religionen wiesen die Ursprungsgeschichten dem Menschen einen privilegierten Platz in der Mitte der göttlichen Schöpfung zu. Kopernikus und Darwin schufen neue Narrative auf der Grundlage wissenschaftlicher Erkenntnisse; bei ihnen wurde der Mensch zu einem Tier unter anderen auf einem Planeten unter anderen, der um einen gewöhnlichen Stern unter anderen kreiste. Das Anthropozän als neues Zeitalter verlangt eine noch umfassendere Veränderung unserer Perspektive. Da Geologen und andere über die verschiedenen Vorschläge streiten, das Anthropozän zu definieren, dürfte es nicht überraschen, dass sich auch uralte Auffassungen und zeitgenössische Debatten über die Rolle des Menschen in der Natur daruntermischen, ja sogar darüber, was es überhaupt bedeutet, Mensch zu sein.“

In der Diskussion um die globalen Krisen ist der Begriff „Anthropozän“ allgegenwärtig: ob Umweltverschmutzung, Klimakrise, Erderwärmung, Artensterben, radioaktiver Fallout, Mikroplastik, Meeresvermüllung und Bodenverluste – die Liste menschlicher Eingriffe in das System Erde ist so lang, dass der Vorschlag, ein ganzes Erdzeitalter nach uns zu benennen, immer mehr Zustimmung findet. Erle C. Ellis erläutert, was es mit dem Begriff auf sich hat, welche Umweltveränderungen maßgeblich sind und warum heftig darum gestritten wird – eine gleichermaßen kompakte wie umfassende Einführung.

In seinem Buch (Erscheinungstermin 05.05.2020) erläutert Ellis, warum der Begriff so problematisch ist – und wieso es dennoch folgerichtig sein könnte, die „Jetztzeit“ nach dem Menschen zu benennen. Sein Fragen:

  • Bedeutet das Zeitalter des Menschen das Ende der Natur?
  • Wer ist für das Anthropozän verantwortlich – der Homo sapiens, die ersten Bauern oder reiche Konsumenten des Industriezeitalters?
  • Und ist das Anthropozän notwendigerweise eine Katastrophe – eine Umweltkatastrophe, das Ende der Menschheit?
  • Oder könnte es auch ein „gutes“ Anthropozän geben, in dem Mensch und Natur gemeinsam in die Zukunft hineinwachsen?

Das Buch – so der Verlagstext – „führt gleichermaßen kompakt wie umfassend in die zahlreichen hitzigen Debatten rund um die neue Ära ein und macht deutlich, dass dabei weitaus mehr auf dem Spiel steht als nur die Einführung eines neuen geologischen Intervalls.“

Ein Thema: Die Kipppunkte im Erdsystem

Leider nicht im Buch: Die Kippschalter im Erdsystem zeigen bereits auf kleine Klimaveränderungen starke Reaktionen – Grafik © Schellnhuber (1996), Lenton et al. (2008), Edenhofer

Zu den von Hans-Joachim Schellnhuber und Ottmar Edenhofer (PIK-Potsdam) vertretenen „Kippschaltern“ schreibt Ellis: „Viele der Erdsystemstörungen in dem Konzept sind kumulativ und das Resultat lokaler und regionaler Veränderungen, die sich addieren, und nicht vergleichbar mit den systemischen Veränderungen der Erde, von denen man weiß, dass sie Kipppunkte erreichen können. Aus politischer Sicht ist es riskant, feste Werte für Erdsystemveränderungen zu setzen, vor allem wenn diese Werte nicht strikt wissenschaftlich nachgewiesen sind. Denn dies suggeriert, dass unterhalb dieser Schwelle nichts Besorgniserregendes geschehen wird, oberhalb hingegen der Schaden unabwendbar ist. Eine solche Sicht birgt die Gefahr, dass auf der einen Seite Bequemlichkeit die Oberhand gewinnt, auf der anderen hingegen Hoffnungslosigkeit. Beide sind fehl am Platze: Das Aussterben auch nur einer Spezies ist mehr, als wir leichthin akzeptieren sollten. Dasselbe gilt für lokale Habitate. Dennoch hat die Forderung, nicht so drastisch in das Erdsystem einzugreifen, dass Menschen wie auch die nicht menschliche Natur schweren Schaden nehmen, dazu beigetragen, dass die gravierenden wissenschaftlichen Bedenken inzwischen weltweite Beachtung finden. Doch es bleibt die Frage: Wenn menschliche Gesellschaften heute als globale Kraft wirken, die das Erdsystem zum Schaden der Menschheit und der nicht menschlichen Natur verändert, was sollen wir, wenn überhaupt, dagegen tun? Wer ist verantwortlich? Wer soll handeln?“

Erle C. Ellis – Foto © privat

Erle Christopher Ellis (geb. am 11.03.1963 in Washington, DC) ist Umweltwissenschaftler und untersucht die Ursachen und Folgen langfristiger, vom Menschen verursachter ökologischer Veränderungen auf lokaler bis globaler Ebene, einschließlich derer im Zusammenhang mit dem Anthropozän. Seit 2016 ist er Professor für Geographie und Umweltsysteme an der University of Maryland, Baltimore County, wo er das Labor für anthropogene Landschaftsökologie leitet. Er will durch seine Forschung die nötoge Wende hin zu einem nachhaltigen Umgang mit der Erde im Anthropozän anstoßen.

Originalausgabe: „Anthropocene. A Very Short Introduction“ was originally published in English in 2018. This translationis published by arrangement with Oxford University Press. oekom verlag is solely responsible for this translation from the original work and Oxford University Press shall have no liability for any errors, omissions or inaccuracies or ambiguities in such translation or for any losses caused by reliance thereon. Copyright der Originalausgabe: © Erle C. Ellis, 2018
Erle C. Ellis „Anthropozän – das Zeitalter des Menschen – eine Einführung“, Softcover, 256 Seiten, übersetzt von Gabriele Gockel – © 2020 oekom verlag München, ISBN 978-3-96238-177-6, E-ISBN 978-3-96238-661-0

->Quelle: oekom.de/anthropozaen-9783962381776