Die globalen Nachhaltigkeitsziele – eine politische Menschheitserzählung

mit freundlicher Genehmigung – von Thomas Weber aus Ästhetik & Kommunikation

Wahrheit

Die etymologische Bedeutung des griechischen Wortes für Wahrheit „a-letheia“ bedeutet etwas wie „Un-verborgenheit“. Unverborgen oder verborgen ist etwas immer für Jemanden. Von diesem Jemand und seiner Wahrnehmung hängt es ab, ob etwas unverborgen oder verborgen ist. Dieser Jemand kann sich täuschen. Er kann etwas für unverborgen halten, was ihm in Wirklichkeit doch noch verborgen ist. Oder er kann etwas für verborgen halten, was ihm eigentlich schon unverborgen, aber von ihm noch nicht erkannt ist.

Thomas Weber – Foto © privat

Ästhetik als das verstanden, was wahrgenommen werden kann und wahrgenommen wird, bedarf, um Täuschungen, das sind Scheinwahrnehmungen und Scheinwahrheiten, zu vermeiden, des Austausches, der Kommunikation, des „Gemeinmachens“ der Wahrnehmung. Was in diesem Austausch, in dieser Kommunikation der Wahrnehmenden Bestand hat, ist wahr. Insofern die Sprache eine oder die Form der menschlichen Kommunikation ist, ist Sprache die Voraussetzung, das Medium und der Ort für Wahrheit, und – mehr noch – Sprache enthält immer auch Wahrheit.

Menschheit

Weil wir Menschen sind und uns der menschlichen Kommunikation, der Sprache, bedienen können, können wir uns die Menschheit vorstellen, sie zum Gegenstand unserer Wahrnehmung werden lassen und über die Menschheit sprechen. Wir können die Menschheit – in gleichsam totalen Perspektiven – denken und darüber nachdenken und sprechen, wie Mensch und Menschheit im Kontext des „Urknalls“ und der Evolution des Universums und des Lebens auf der Erde entstanden sind. Und wir können über das Ende sowohl des eigenen Lebens als auch von Menschheit und Universum nachdenken und reden. Wir können und müssen wohl auch darüber sprechen und Wahrheit generieren, wie es heute um die Menschheit steht, und wir können das für die Fortexistenz der Menschheit Notwendige erkennen, aussprechen, wollen und vielleicht auch auf den Weg bringen und tun.

Stand der Menschheit

„Wir können die erste Generation sein, der es gelingt, die Armut zu beseitigen, ebenso wie wir die letzte sein könnten, die die Chance hat, unseren Planeten zu retten.“ (UNO-Generalsekretär Ban Ki-Moon, August 2015). Der heutige Stand der Menschheit, wie er im Zitat des UNO-Generalsekretärs angesprochen ist, markiert einen fundamentalen menschheitsgeschichtlichen Wende- bzw. Krisenpunkt. Die gegenwärtige Generation von Menschen läuft zum einen Gefahr, ihre Existenz durch Zerstörung der planetaren Lebensgrundlagen selbst zu beenden. Zum anderen kann für dieselbe Generation eine nie dagewesene Epoche der Verheißung beginnen.

Eine dritte Möglichkeit – ein gleichzeitiger Weiterbestand von Armut auf der einen und Fortschritt auf der anderen Seite – scheint es auf dem Hintergrund der menschheitsgeschichtlich präzedenzlosen „Megaprozesse“ der Entwicklung der Weltbevölkerung und der Digitalisierung nicht mehr zu geben.

Die Entwicklung der Weltbevölkerung

Im Januar 2019 lebten auf dem Globus etwa 7,6 Milliarden Menschen. Das sind 5–10 % aller Menschen (homines sapientes), die seit 300.000 Jahren überhaupt auf diesem Planeten gelebt haben. In den nächsten 25 Jahren wird nach dem heutigen Kenntnisstand die Anzahl der Menschen auf 9,5 bis 10 Milliarden ansteigen, d. h. 25 Jahre lang nimmt die Weltbevölkerung jedes Jahr etwa um die heutige Einwohnerzahl Deutschlands zu.

Da die ökologischen Grenzen des Planeten Erde bereits jetzt ausgereizt werden, stellt diese Situation eine für den Fortbestand der Menschheit insgesamt gewaltige Herausforderung und die Bewältigung dieser Herausforderung eine enorme Aufgabe dar.

Die Entwicklung der digitalen Kommunikation

Nachdem die Menschheit vor einigen zehntausend Jahren die Sprechfähigkeit und die Sprache entwickelt hat, nachdem sie vor einigen tausend Jahren die Schrift und das Schreiben erfunden hat, nachdem ihr seit einigen hundert Jahren der Buchdruck zur Verfügung steht, haben die Menschen jetzt innerhalb weniger Jahrzehnte mit der digitalen Kommunikation eine alles Vorangehende in den Schatten stellende und revolutionierende Veränderung der Kommunikation auf den Weg gebracht.

Was ist das Neue bzw. Besondere an dieser digitalen Revolution der Kommunikation? Das innere Ziel, auf das diese Entwicklung zusteuert, ist eine Situation, die jede Information für jedermann an jedem Ort zu jeder Zeit zumindest theoretisch erreichbar werden lässt. Es ist eine Situation, in der potenziell alle Informationen überall für alle gemein werden.

Das bedeutet, dass alle Menschen, die gesamte Menschheit sich permanent und unmittelbar austauschen können. In nie dagewesener Art und Weise geschieht, was bei Kommunikation immer geschieht: Informationen und Wissen werden verknüpft und verglichen – mit allen Konsequenzen einer solchen permanenten Verknüpfung und eines solchen Vergleichens.

Die Menschheit steht in diesen Jahren am Anfang der daraus resultierenden Wissensexplosion in allen Lebensbereichen. Allerdings erscheinen die Menschen in Teilen auch – zu besichtigen z. B. in vielfach neurotischem Sprach- und Ausdrucksverhalten in den sozialen Netzwerken – durch diese Kommunikation überfordert. Auch werden die emanzipatorischen Möglichkeiten der politischen Kooperation in den neuen Kommunikationsverhältnissen noch nicht wirklich genutzt.

Beide Entwicklungen, die der Demografie und die der Kommunikation, können und müssen zusammen gesehen und gedacht werden.

Während das globale Menschheitswachstum Richtung Kollaps der globalen ökologischen und zivilisatorischen Systeme und damit der Zerstörung der Lebensgrundlagen für die Menschen treibt, scheint auf der anderen Seite mit der digitalen Kommunikation ein technisches Instrumentarium zur Verfügung zu stehen, mit dem sich die gigantischen Aufgaben der notwendigen Transformation unserer Wirtschafts- und Lebensweise auf dem Globus tatsächlich denken und auch bewältigen lassen könnten. Beide Entwicklungen begründen und bilden den Rahmen für Nachhaltigkeitspolitik.

Was ist Nachhaltigkeit?

Nachhaltigkeit ist ein politischer Begriff. Er hat letztlich den Erhalt der Polis, d. i. des Gemeinwesens zum Ziel.

Hans Carl von Carlowitz führte vor 300 Jahren das Prinzip der nachhaltigen Waldbewirtschaftung als politische Vorgabe ein, um das Verschwinden und den Kollaps der Wälder als Folgen des Bergbaus im Erzgebirge zu verhindern. Heute, 300 Jahre nach Carlowitz bedeutet Nachhaltigkeit die Vermeidung und die Verhinderung des Kollapses globaler – ökologischer und zivilisatorischer – Systeme, und damit die Verhinderung und Vermeidung eines heute drohenden und vorstellbaren Kollapses der Welt als Polis der Menschheit.

Der Gedanke der Nachhaltigkeit ist untrennbar verbunden mit dem Gedanken des Kollapses. Was nicht nachhaltig ist, führt zu Kollaps und Verlust.

Die Verhinderung des Kollapses verlangt, vom Ende her zu denken

Vom verhinderten Kollaps her zu denken, erlaubt es, vom drohenden Ende her zu verstehen, was heute notwendig ist. Vom Ende her gedacht, wird es entweder eine für Menschen bewohnbare Erde geben, die nachhaltig ist, d. i. eine Erde, auf der die Menschen so wirtschaften, dass von ihnen keine Gefahr des Kollapses der Erdsysteme mehr ausgeht, oder es wird keine für die Menschheit bewohnbare Welt mehr geben.

Würde des Menschen und Kreislauf der Natur

Von diesem Ende her gedacht, können wir Nachhaltigkeit bzw. einen nachhaltigen Zustand der Welt als einen Zustand beschreiben, in dem zweierlei realisiert wird: Zum einen die Achtung und der Schutz der Würde des Menschen, daraus abgeleitet die Realisierung des Schutzes der Menschenrechte, von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, zum anderen die Erhaltung der Umwelt für den Menschen durch die Realisierung einer vollkommenen Stoffkreislaufwirtschaft auf der Basis regenerativer Energieerzeugung. Beides gehört zusammen. Es sind die zwei Seiten derselben Medaille.

Agenda 2030 – mehr Zeit ist wohl nicht

Die im September 2015 von den Vereinten Nationen verabschiedeten globalen Nachhaltigkeitsziele „Transformation unserer Welt: die Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung « (Sustainable Development Goals, SDG) denken die Welt vom Jahr 2030 her und formulieren in 17 Zielen, wie die Welt im Jahr 2030 gestaltet sein muss, um den Kollaps der Weltpolis zu verhindern.

Die Frist des Jahres 2030 ist dabei nicht allein als politische Absichtserklärung zu verstehen. Diese Frist markiert vor dem Hintergrund der gegenwärtigen realen globalen Veränderungsprozesse durchaus auch die Frist, jenseits der diese Prozesse vielleicht nicht mehr gestaltbar bzw. aktiv beeinflussbar erscheinen. Viel mehr Zeit ist wohl nicht für eine Menschheit, die Welt noch in politisch-zivilisatorischer Weise zu organisieren.

Umfang und Zeitplan dieser SDG formulieren eine gewaltige Aufgabe, der sich kein UNO Land, keine Gesellschaft, letztlich niemand auf der Welt – außer bei Strafe von Zivilisationsbrüchen und letztlich des Unterganges – entziehen kann. Die SDG richten sich an alle Länder der Welt. Die verschiedenen Ziele adressieren indes verschiedene Länder und Gesellschaften in unterschiedlicher Weise.

Die 17 Ziele der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen:

Ziel 1. Armut in allen ihren Formen und überall beenden

Ziel 2. Den Hunger beenden, Ernährungssicherheit und eine bessere Ernährung erreichen und eine nachhaltige Landwirtschaft fördern

Ziel 3. Ein gesundes Leben für alle Menschen jeden Alters gewährleisten und ihr Wohlergehen fördern

Ziel 4. Inklusive, gleichberechtigte und hochwertige Bildung gewährleisten und Möglichkeiten lebenslangen Lernens für alle fördern

Ziel 5. Geschlechtergleichstellung erreichen und alle Frauen und Mädchen zur Selbstbestimmung befähigen

Ziel 6. Verfügbarkeit und nachhaltige Bewirtschaftung von Wasser und Sanitärversorgung für alle gewährleisten

Ziel 7. Zugang zu bezahlbarer, verlässlicher, nachhaltiger und moderner Energie für alle sichern

Ziel 8. Dauerhaftes, breitenwirksames und nachhaltiges Wirtschaftswachstum, produktive Vollbeschäftigung und menschenwürdige Arbeit für alle fördern

Ziel 9. Eine widerstandsfähige Infrastruktur aufbauen, breitenwirksame und nachhaltige Industrialisierung fördern und Innovationen unterstützen

Ziel 10. Ungleichheit in und zwischen Ländern verringern

Ziel 11. Städte und Siedlungen inklusiv, sicher, widerstandsfähig und nachhaltig gestalten

Ziel 12. Nachhaltige Konsum- und Produktionsmuster sicherstellen

Ziel 13. Umgehend Maßnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels und seiner Auswirkungen ergreifen

Ziel 14. Ozeane, Meere und Meeresressourcen im Sinne nachhaltiger Entwicklung erhalten und nachhaltig nutzen

Ziel 15. Landökosysteme schützen, wiederherstellen und ihre nachhaltige Nutzung fördern, Wälder nachhaltig bewirtschaften, Wüstenbildung bekämpfen, Bodendegradation beenden und umkehren und dem Verlust der biologischen Vielfalt ein Ende setzen

Ziel 16. Friedliche und inklusive Gesellschaften für eine nachhaltige Entwicklung fördern, allen Menschen Zugang zur Justiz ermöglichen und leistungsfähige, rechenschaftspflichtige und inklusive Institutionen auf allen Ebenen aufbauen

Ziel 17. Umsetzungsmittel stärken und die Globale Partnerschaft für nachhaltige Entwicklung mit neuem Leben erfüllen

Ein menschheitsgeschichtliches Schlussdokument

Der Inhalt dieser Ziele formuliert einen qualitativen Zustand der Welt, der in gewisser Weise endgültig zu sein scheint. Mehr als diese Ziele zu erreichen, erscheint aus menschheitsgeschichtlicher Sicht nicht möglich. Die Ziele sind als Menschheitsziele richtig und wahr, selbst wenn sie verfehlt werden, oder in der vorgesehenen Frist noch nicht erreicht werden.

Dadurch, dass alle Regierungen aller Länder der Vereinten Nationen sich zu diesen Zielen bekannt haben, formulieren diese in gewisser Weise ein menschheitsgeschichtliches Schlussdokument, das geeignet ist, den „Ewigen Frieden« zu begründen.

Epochenbruch zwischen Oralität und Literalität

An dieser Stelle sei auf den „Menschheitsmythos « hingewiesen, der sich mit dem Namen der Pandora verbindet. Dieser ist ebenfalls aus einer Zeit des Epochenumbruchs überliefert, und zwar in einer literarischen Auseinandersetzung zwischen den beiden ältesten Dichtern der abendländischen Literatur, Homer und Hesiod. Beide Dichter markieren mit ihren Werken den Übergang von der Epoche der Mündlichkeit zur Epoche der Schriftlichkeit der Literatur, einen Übergang, der sich im siebten und achten Jahrhundert v. Chr. im Erleben der Zeitgenossen vielleicht in ähnlich atemberaubender Geschwindigkeit wie die digitale Kommunikationsrevolution heute vollzogen hat.

Dabei kann die Geschichte der Pandora, menschheitsgeschichtlich als Ursprungsmythos für Aufklärung und Fortschritt gelesen und verstanden werden.

Pandora: Priesterin des Fortschritts und der Aufklärung

In diesem Zusammenhang interessiert das, was später sprichwörtlich – aber den Ursprungssinn zerstörend – die „Büchse« der Pandora genannt wurde. Aus den Ursprungstexten wird nämlich deutlich, dass es sich bei dieser „Büchse« nicht um eine Büchse, sondern um ein Vorratsfass, einen Pithos, gehandelt hat. In diesem Pithos waren die Übel versammelt und wurden dadurch freigesetzt, dass Pandora aus Neugier den Deckel des Fasses geöffnet hat.

Indem nun Pandora den Deckel des Fasses angehoben und die Übel des Fasses freigelassen hat, hat sie die Bedingungen des Lebens der Menschheit verändert.

Die Ausgangstexte: In Homers „Ilias« – Adressat der homerischen Dichtung dürften Adelshöfe sein bzw. ein Publikum, das einem Adelskontext nicht fremd ist – heißt es:

„Denn es sind zwei Fässer (pithoi) aufgestellt an der Schwelle des Zeus,
Voll das eine von Gaben des Wehs, das andre des Heiles.
Wem nun vermischt austeilt der donnerfrohe Zeus,
Solcher trifft abwechselnd ein böses Los, und ein gutes.
Wem er allein des Wehs austeilt, den verstößt er in Schande;
Und herznagende Not auf der heiligen Erde verfolgt ihn,
Daß, weder von Göttern geehrt noch vom Sterblichen, bang’ er umherirrt.«
(Homer Ilias 24, 527–533 nach der Übersetzung von Johann Heinrich Voss)

Für Homer hängt das Befinden des Menschen von dem ab, was Zeus diesem zuteilt. Das Los des Menschen ist gottgegeben. Dem Menschen ist es nicht möglich, sich gegen Gottgegebenes zu wehren. Der Mensch hat sein Los zu akzeptieren.

Hesiod antwortet – Adressat Hesiods ist ein landwirtschaftlich geprägtes Publikum – Homer in den „Werken und Tagen“ mit Pandoras Fass.

„Aber die Frau, nahm mit den Händen vom Fass (pithos) den mächtigen Deckel weg,
und verstreute und erwirkte den Menschen unheilvolle Sorgen.
Allein die Hoffnung blieb in den unzerbrechlichen Räumen
innen unter den Rändern des Fasses und flog nicht durch die Öffnung
heraus, da sie zuvor den Deckel auf das Fass warf,
[nach Zeus’ Willen dem Aigisträger, dem Wolkensammler.]
Zahlloses anderes Unheil aber schwärmte umher bei den Menschen.
Voll ist das Land von Übeln, voll auch das Meer.
Krankheiten gehen unter den Menschen einher am Tag und in der Nacht
von selbst (automatoi) den Sterblichen Übel bringend.“
(Werke und Tage 94 –103 Übertragung TW)

Bei Hesiod sind die Übel und die Krankheiten in der Welt und fallen die Menschen aus eigenem Antrieb (automatoi) an. Welchen Menschen welches Übel, welche Krankheit befällt, nachdem Pandora den Deckel des Fasses weggenommen hatte und die Übel das Fass verlassen haben, ist nicht mehr gottgegeben.

Das bedeutet auch, dass der Widerstand der Menschen gegen den Befall von Übeln nicht mehr von vorneherein sinnlos ist. Im landwirtschaftlichen Kontext ist unmittelbar einleuchtend, dass Fatalismus und Gottgegebenheit, die Erfolg und Misserfolg, Ernte und Missernte der eigenen Zuständigkeit und Anstrengung entziehen, nicht hilfreich sind, weil sie von der notwendigen Arbeit abhalten.

Die unausgesprochene Botschaft bei Hesiod, die Homer korrigiert, ist: Die Menschen können sich gegen Übel zur Wehr setzen, wenn sie aufmerksam sind und sich vorbereiten. Damit ist die religiös-geistige Voraussetzung gelegt, um sich von der Gottgegebenheit befreiend zur Naturbeobachtung, zu Wissenschaft, Fortschritt und Aufklärung hinzuwenden.

Ebenso ist das Vertrauen auf eine Hoffnung – die im Fass bleibt – nicht hilfreich, weil sie zur Lähmung der Arbeitskraft und zu mangelnder Aufmerksamkeit führt. Aus diesem aus landwirtschaftlicher Erfahrung resultierenden Blick ist die Hoffnung ein Übel. Dass die Hoffnung im Fass bleibt, ist ein Reflex der Erfahrung, dass man sich gegen eine blinde lähmende Hoffnung nicht schützen kann. Denjenigen, den sie trifft, trifft sie gleichsam gottgegeben.

Freigesetzt durch den UN-Beschluss

Die globalen Nachhaltigkeitsziele können nun in der Übertragung des Zwei-Fässerbildes der „Ilias« als Güter verstanden werden, die bisher im Fass der Güter eingesperrt waren und durch die Formulierung und den Beschluss der Vereinten Nationen freigesetzt wurden.

Das Erreichen der für den Fortbestand der Welt als Polis der Menschheit notwendigen globalen Nachhaltigkeitsziele ist dann nicht mehr als abhängig zu verstehen von schicksalhaften Fügungen, auf die die Menschen keinen Einfluss haben, sondern davon, wie die Menschheit sich organisiert. Die Güter, die Ziele sind da, sie müssen nur noch und können umgesetzt werden.

Kooperation und Solidarität

Menschheitspolitik ist heute die ultimative Aufgabe der Gegenwart. Dabei ist Fortschritt nicht nur als Abwehr von Übeln, sondern vor allem auch als Realisierung der Güter und Ziele zu verstehen. Und als menschheitspolitisches Projekt sind die ultimativen Modi der Umsetzung: Miteinander, Kooperation, Solidarität und Partnerschaft.

Was zu tun ist und was nicht zur Disposition steht

Die Realisierung der globalen Nachhaltigkeitsziele Ziele formuliert die sozialökologische Transformation der Welt.

In der ultimativen Fortschrittserzählung dieser großen Transformation wird es heute zum einen u. a. darum gehen,

  • zum Nutzen des Gemeinwohls das Primat der Politik gegenüber Wirtschaft und Privatinteressen durchzusetzen, und politische Institutionen auf allen Ebenen zu stärken und zu bauen,
  • die „Brasilianisierung« der Gesellschaften und Länder, d. i. die Zunahme der Ungleichheit bei der Verfügung über Geld und Vermögen, zu stoppen und zurückzuführen,
  • die Arbeit und die Arbeitsgesellschaft in einem über die bloße Einkommenssicherung hinaus gehenden Verständnis zu denken und organisieren,
  • zur Erhaltung der Umwelt, die Änderung unserer Wirtschaft von einer Linearwirtschaft zur Kreislaufwirtschaft auf der Basis ausschließlicher regenerativer Energien zu vollziehen,
  • die Digitalisierung und die sogenannte künstliche Intelligenz in den Dienst des Gemeinwohls national, europäisch und global zu stellen und entsprechend zu regeln, d. h. auch die Bedrohungen für Demokratie und Rechtsstaat durch die globalen Plattformökonomien durch politische Gestaltung abzuwehren.

Vor allem wird es zum anderen in dieser Erzählung auch darum gehen darzustellen, was, sich nicht verändern darf, was nicht zur Disposition steht, und das sind vor allem:

  • die Achtung und der Schutz der Würde des Menschen, der Menschenrechte und sozialen Rechte,
  • der Erhalt und die Weiterentwicklung von Demokratie und Rechtsstaat
  • die Geltung und die Durchsetzung von Recht zum Schutz der Schwächeren.

->Quelle: Ästhetik & Kommunikation, Heft 176/177, 48. Jahrgang 2019, S. 142f.