Joseph E. Stiglitz: Gefahren von TTIP unterschätzt
„wenn ein Träger des Wirtschaftsnobelpreises eindeutige Worte gegen das geplante Freihandelsabkommen TTIP findet und er zudem aus den USA stammt – dann ist das ein Niederschlag für die Befürworter“, schreibt Christopher Link vom Kampagnennetzwerk campact in dessen blog. Mehr als 2,3 Millionen Menschen hätten das Zitat von Joseph E. Stiglitz schon gelesen, nachdem campact es über Facebook verbreitet habe.
Campact weiter: „Da geht noch mehr! Die Mahnung von der anderen Seite des Atlantiks ist ein starkes Argument gegen TTIP und sollte wirklich überall in Deutschland gehört werden. So stärken wir den Widerstand.“ Und Campact bittet um Verbreitung über Mail, Facebook und andere Social Media. Die bisherige Erfahrung mit dem Zitat zeige, dass sich über Facebook besonders viele neue Mitstreiter/innen gegen den undemokratischen Freihandel à la TTIP und CETA gewinnen lassen. Daher wolle man „in der nächsten Zeit auf diesem Weg viele Menschen mit weiteren Infografiken, Videos und Artikeln informieren“.
Stiglitz schon vor Jahresfrist:
„Konzerne versuchen, durch geheim ausgehandelte Handelsabkommen zu bekommen, was sie im offenen politischen Prozess nicht erreichen.“
Es sei „töricht“, Abkommen wie TTIP und CETA zu unterschreiben . Denn der darin vorgesehene Konzernklage-Mechanismus ISDS laufe den ökonomischen Zielen zuwider, die er angeblich erreichen solle – und habe gravierende Nebenwirkungen. Stiglitz rät Politikern: Wer Investoren locken will, sagt Nein zu ISDS. Und für Investoren hat der frühere Weltbank-Chef auch einen Tipp parat.
Immer mehr Länder sagen Nein zu ISDS – warum?
Hunderte dreister Konzernklagen gegen staatliche Maßnahmen hätten dazu geführt, dass immer mehr Länder aus dem ISDS-System aussteigen, das solche Klagen vor privaten Schiedstribunalen ermöglicht. Australien schloss in seinem Abkommen mit den USA die Konzernklage-Klauseln vorsorglich aus. Brasilien, Südafrika, Ecuador, Venezuela und Indien weigern sich, ISDS-Verträge abzuschließen, kündigen bestehende Verträge oder wollen diese mit anderen Bedingungen verhandeln. Joseph Stiglitz erklärt, warum das vernünftig ist und räumt dabei mit einigen ISDS-Mythen auf.
ISDS lockt keine Investoren an
Es sei ein „Lieblingsmärchen der ISDS-Befürworter“: Um ausländische Investoren ins Land zu holen, müsse man ihnen besondere Privilegien geben. Stiglitz nennt Fakten aus der wirklichen Welt, die das Gegenteil belegen. In Südafrika beispielsweise „stellte man bei einer Überprüfung fest, dass man keine signifikanten Investitionen aus Ländern bekam, mit denen ein Abkommen bestand, sehr wohl jedoch aus Ländern, mit denen man gar kein derartiges Abkommen unterzeichnet hatte.“
Länder, die nie in das ISDS-System eingestiegen sind, boomen dennoch – oder gerade deshalb. Brasilien etwa hat nie ein solches Abkommen abgeschlossen und liegt im globalen Ranking der attraktivsten Standorte für ausländische Direktinvestitionen auf Platz 5. Übrigens vor Deutschland.
ISDS erhöht die Unsicherheit im Recht
Ein zweites Lieblingsmärchen der ISDS-Fans betrifft die Informationsökonomie. Stiglitz, der für seine Forschungen auf diesem Gebiet den Nobelpreis bekam, hält fest:
„Die Verfechter argumentieren zwar, dass Investitionsschutzabkommen die Unsicherheit vermindern, doch die Unklarheit und die widersprüchlichen Deutungen der Bestimmungen in diesen Abkommen haben die Unsicherheit in Wahrheit erhöht.“
Vernünftige Entscheidungen können nur auf Basis verlässlicher, nachvollziehbarer Informationen getroffen werden – auch deshalb sind klare Rechtsnormen und sicherer Zugang zu einem transparenten Gerichtswesen so wichtig für Unternehmer. Genau dies leistet der Rechtstaat – ganz im Gegensatz zu ISDS. Die Abkommen wimmeln nämlich von Gummi-Paragraphen, die von den ISDS-Anwälten völlig willkürlich ausgelegt werden. Denn anders als Richter an öffentlichen Gerichten sind sie weder an Verfassungsprinzipien noch an erprobte Verfahrensweisen gebunden – und nie einer unabhängigen Überprüfung unterworfen.
Die Schutzformel für Investoren: Rechtsstaat + Versicherung
Ein stabiler Rechtsstaat sorgt dafür, dass unternehmerische Risiken kalkulierbar bleiben. Unternehmer, die sich gegen ganz Unvorhersehbares wappnen wollen, schließen normalerweise Versicherungen ab, die im Ernstfall einspringen – ob im Binnen- oder im Außenhandel. Zur Absicherung von Investitionen im Ausland gibt es spezielle Enteignungsversicherungen, erinnert Stiglitz. Diese werden z. B. von der Multilateralen Investitionsgarantie-Agentur (einer Abteilung der Weltbank) und zahlreichen anderen Versicherungsunternehmen in vielen Ländern angeboten. Denn es ist nicht Aufgabe des Staates, privaten Unternehmern das Risiko komplett abzunehmen – dies würde dieselben marktwirtschaftlichen Grundregeln außer Kraft setzen, von denen Unternehmer profitieren.
Wozu ISDS tatsächlich dient: Demokratiebekämpfung
ISDS verleiht ausländischen Investoren ein Privileg, das Inländern vorenthalten wird. Für Stiglitz ein Unding:
„Es besteht kein Grund, ausländisches Eigentum besser zu schützen als das Eigentum der Bürger des Landes.“
Doch um den Schutz von Eigentumsrechten gehe es bei ISDS in Wahrheit auch gar nicht:
„Das eigentliche Ziel besteht darin, die Möglichkeiten der Regierungen zur Regulierung und Besteuerung von Unternehmen einzuschränken – also ihre Möglichkeit, den Unternehmen auch Verantwortlichkeiten aufzuerlegen und nicht nur ihre Rechte zu wahren.“
Bei den Handelsabkommen der neuen Generation, zu denen TTIP und CETA gehören, geht es tatsächlich kaum um Zölle, sondern um die Beseitigung von Regulierungen „hinter der Grenze“. Umweltauflagen, Tarifbindungen, Verfahren zur Bürgerbeteiligung: Aus Sicht der Konzernlobby sind das nichts weiter als störende „Handelsbarrieren“, die es abzuräumen gilt.
Weitgehende Abschaffung der demokratischen Spielregeln
Und dies gehe über die Absenkung einzelner Schutzstandards weit hinaus, wie der CETA-Text und die TTIP-Verhandlungen zeigten. ISDS und die Einrichtung eines ebenso mächtigen wie unkontrollierten „Regulatorischen Kooperationsrats“ zielten auf eine weitgehende Abschaffung der demokratischen Spielregeln, die solche Schutzstandards überhaupt erst ermöglicht hätten.
„Es sind die Investitionsschutzabkommen selbst, die die demokratische Entscheidungsfindung am gravierendsten bedrohen“.
Demokratisch gewählte Politiker sollten sich diesen Satz merken – und die Abkommen endlich stoppen.
Zur Person: Joseph Stiglitz, 71, hat an vielen der renommiertesten Universitäten der Welt (Yale, Stanford, Oxford, Princeton) geforscht und gelehrt. Drei Jahre lang war er Chef der Weltbank, bis Meinungsverschiedenheiten über deren Kurs 2000 zu seinem Rücktritt führten. 2001 wurde er für seine Forschungen zur asymmetrischen Information auf Märkten mit dem Nobelpreis ausgezeichnet. 2008/2009 leitete er die UN-Kommission zur Reform des globalen Währungs- und Finanzssystems. Einer breiten Öffentlichkeit bekannt wurde Stiglitz mit seinem Werk „Die Schattenseite der Globalisierung“. Seine politische Forderung nach einem neuen globalen Gesellschaftsvertrag skizziert er in dem Buch „Fair trade – Agenda für einen gerechten Welthandel“. Derzeit unterrichtet Stiglitz in New York und Paris.
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