SPD-Konferenz im Berliner Willy-Brandt-Haus über CETA/TTIP
Draußen protestierten einige Hundert Demonstranten im Nieselregen mit einem riesigen aufblasbaren trojanischen Pferd gegen CETA und TTIP. Drinnen war das Willy-Brandt-Haus überfüllt, als der SPD-Fraktionsvorsitzende Thomas Oppermann am 23.02.2105 die Diskussion über TTIP und CETA eröffnete. Das Ergebnis des Nachmittags vorweg: Wenn die SPD ihre Festlegungen und Zusagen einhält, kann es kein derartiges Abkommen geben, so ein Senior-SPD-Promi hinter vorgehaltener Hand.
Denn alle Redner bestanden zunächst auf Nachbesserungen bei CETA, dem bereits ausverhandelten EU-Abkommen mit Kanada, vor allem in Sachen Schiedsgerichtsbarkeit vor geheimen intransparenten, mit Interessekonflikten beladenen Anwälten besetzen Tribunalen (Investor-State Dispute Settlement – ISDS) – und fast alle hielten Nachverhandlungen für möglich. Im Fall TTIP bestanden sämtliche Redner (Oppermann, Gabriel, Schulz, Diskussion) entschieden darauf, dass es keine Aufweichung der europäischen Standards geben dürfe, also weder ökologische noch kulturelle oder soziale (Arbeitnehmerrechte).
Doch tags darauf äußerte sich Gabriel vor der SPD-Bundestagsfraktion bereits wieder abweichend; sein Kurs in Sachen Freihandel stößt in der eigenen Fraktion dem Hörensagen nach auf zunehmend lauteres Grummeln.
Thomas Oppermann, SPD-Bundestagsfraktionschef, bezeichnete das Interesse an den Freihandelsabkommen CETA (EU und Kanada) und TTIP (EU und USA) als „Ausdruck eines neuen demokratischen Wunsches nach Mitbestimmung“. Ökologisch-kulturelle und soziologische (Arbeitnehmer-)-Standards dürften nicht ausgehöhlt werden. CETA trage zwar eine europäische Handschrift, stamme aber zu größeren Teilen aus Kanada. Er sei froh über Malmström (die neue Handelskommissarin aus Schweden), die habe für mehr Transparenz gesorgt. Zu ISDS: „Wir wollen nicht, dass der demokratische Gesetzgeber in seiner Handlungsfähigkeit beeinträchtigt wird. Streitigkeiten gehören nicht vor private Schiedsgerichte. Das Right to Regulate darf nicht eingeschränkt werden.“
Bereits 130 Investitionsschutzabkommen
Wir bräuchten eine andere Legitimation als die internationaler Kanzleien für diese Streitregelung, Richter aus internationalen und nationalen Gerichten sollten gewonnen werden, nicht private, sondern öffentlich-rechtlich legitimierte Spruchkörper mit dem Ziel einer internationalen Wirtschaftsgerichtsbarkeit müssten eingesetzt werden.
Deutschland habe bis jetzt 130 Investitionsschutzabkommen nach altem Modell abgeschlossen. Wir seien „als nationales Parlament gefordert. Daran arbeiten wir optimistisch“. „Ich beobachte mit großer Sorge, dass sich Teile der Öffentlichkeit einmauern in ihren Argumenten.“
Die Reden und Diskussionen im Video:
Gabriel: „Viele Verschwörungstheorien“
Der SPD-Parteivorsitzende und Vizekanzler Gabriel forderte eine „Diskussion über Tatsachen“ und wandte sich gegen „viele Verschwörungstheorien“, die unterwegs seien. Er dankte EU-Kommissarin Cecilia Malmström, sie habe für einen „Quantensprung an Transparenz“ gesorgt. Gabriel bezeichnete die Abkommen als „nicht geschlossen“, also müssten die Abgeordneten aus allen nationalen Parlamenten zustimmen – und das Ergebnis dürfe dann nicht ein einfaches „Ja oder Nein“ sein. „Wir wollen am Prozess informiert teilnehmen“. Gabriel dankte den Kritikern: „Sie haben uns genauer hinschauen lassen. Aber Kampagnen, wo jedes Wort der Aufklärung nichts bringt, nach dem Motto ‚TTIP ist böse‘ ist nicht hilfreich. Hier drin geht‘s um Argumente und Fragen – draußen um PR. Wer nur Emotionen mobilisieren will, vertraut den Menschen nicht.“
Agentur Zukunft meint: Wer aber in allen möglichen Redebeiträgen etwas Anders sagt, nämlich überwiegend das, was die jeweilige Zuschörerschaft gerne hören will, der nimmt die Menschen nicht ernst.
„Vorzüge und Chancen des Freihandels nicht zu übersehen“
Europa verfüge über hohe Standards – man werde nicht zulassen, dass diese abgesenkt würden. Aber allein werde es nicht gelingen. Die Abkommen schlügen ein „neues Kapitel globaler Handelspolitik auf, seien Vorbild für eine neue weltweite Handelsarchitektur und insoweit mehr als nur normale Freihandelsabkommen. Ein Scheitern würde bedeuten, dass andere das Vakuum füllen würden. „Unsere Volkswirtschaft ist auf den Welthandel angewiesen.“ Es gehe nicht darum, ob ein Freihandelsabkommen solche Standards setze, mit denen Europa sich dann auseinandersetzen müsse, sondern nur, wer sie setze. Und: Ob Europa dabei ein aktive oder passive Rolle übernehme.
Die Entscheidungen über CETA seien „ein Fingerzeig“ darauf, wie diese künftige globale Handelsarchitektur aussehen soll. Klar sei für Sozialdemokraten, dass es sich um Fragen der „Res Publica“, also um öffenltiche Angelegenheiten handele, und nicht um eine „Res Privata“, bei dem die zu erörternden Fragen „dem Marktprozess anheimgestellt“ seien. Bisher hätten sich nur ein paar Spezialisten oder die im Markt Betroffenen dafür wirklich interessiert; das sei „jetzt wegen der grundsätzlichen Bedeutung für die neue Welthandelsarchitektur zu Recht anders. Aber: Die Vorzüge und Chancen des Freihandels sind nicht zu übersehen“.
Gabriel sprach von einer klaren Win-Win-Situation. In der wirtschaftlichen Arbeitsteilung könnte jeder seine wirtschaftlichen Stärken einsetzen „und allein durch die Vergrößerung der Märkte Vorteile für Kosten und Absatz-Chancen zu nutzen“. Große Vorteile sah der SPD-Chef durch den Abbau nicht-tarifärer Handelshemmnisse für den Mittelstand, die KMU (kleine und mittelständische Unternehmen) wären eindeutig Gewinner; die großen Multis könnten sich ganze Stabsabteilungen dafür leisten, die kleinen dagegen nicht.
„Abbau globaler Ungleichheit“ – „wirtschaftliche Erwartungen unsicher“
„Unter der Bedingung verantwortlicher politischer Gestaltung kann Freihandel übrigens auch zum Abbau globaler Ungleichheit beitragen. Durch eine erhöhte globale Marktmacht europäischer und US-Unternehmen kann das Abkommen auch soziale, demokratische und politische Maßstäbe beeinflussen. Gerade darin liegen mit Blick auf die wachsende Rolle anderer Wirtschaftsräume wie China oder Asien große Chancen.“
Ob dagegen die wirtschaftlichen Wachstumserwartungen tatsächlich so groß seien, wie es einige Befürworter erwarteten, scheint ihm „zumindest unsicher zu sein“. Sie seien nicht das zentrale Argument. Viele wichtiger erschienen ihm die Wachstumsrisiken für den Fall des Scheiterns von TTIP zu sein; denn Deutschland und Europa würden dann durch andere Abkommen „unter Druck geraten“. Gabriel hatte nach eigener Aussage am Vormittag bei BDI und DIHK auf eine Rede Obamas von vor zwei Jahren hingewiesen, der damals die USA als pazifische Nation bezeichnet habe, alle seine Vorgänger hätten immer gesagt, Amerika sei eine transatlantische Nation. Heute orientiere sich Amerika nach Osten – dort explodierten die Märkte. Darauf müssten wir aufpassen. Aber auch Russland müsse auf lange Sicht wieder zum Partner werden.
Wir müssten „über Freihandel auch anders nachdenken, als ausschließlich in ökonomischen Größenordnungen. Durch Partnerschaften mit den USA, und hoffentlich irgendwann auch Russland müssen wir die ökonomische, aber auch die politische Balance halten, die wir als Europäer alleine nur sehr begrenzt beeinflussen können“.
Die genannten Vorteile setzten aber voraus, „dass TTIP den Primat der Politik über die Märkte nicht aufgibt. Ein Abkommen, das die Marktkonformität der Demokratie voraussetzen würde, wäre mit unserem europäischen und deutschen Verfassungsverständnis nicht vereinbar – und meiner festen Überzeugung nach auch nicht mit dem Verfassungsverständnis der Vereinigten Staaten von Amerika.“
Freihandelsabkommen dürften und könnten also „weder bestehende Gesetze zum Schutz von Verbrauchern, Arbeitnehmern, der Kultur und Umwelt ändern, oder unter Rechtfertigungsdruck bringen, noch dürfen sie das Recht demokratisch gewählter Parlamente oder kommunaler Selbstverwaltungen in irgendeiner Weise einschränken“. Deregulierungen dürften „nicht bestimmendes Prinzip des Abkommens werden, denn das würde das Right to Regulate, das in jeder demokratischen Verfassung frei gewählten Parlamenten vorbehalten ist, doch diametral entgegenstehen.“
Gabriel wörtlich zum Ausschneiden: „So sind die auf der Grundlage von demokratischen Wahlen erfolgten Regulierungen im Dienste zum Beispiel von Freiheit, von Gerechtigkeit oder gesellschaftlicher Solidarität ja keine nicht-tarifären Handels-Hemmnisse, und deshalb dürfen sie auch nicht zugunsten privater Partikularinteressen in Frage gestellt werden. Dieses demokratische Prinzip ist unumstößlich. Es darf weder durch explizite noch durch implizite Regeln des Freihandelsabkommens verletzt werden, auch nicht durch scheinbar technische Gremien, wie einen von Experten besetzten Rat für regulatorische Kooperation oder durch privatwirtschaftlich organisierte Schiedsgerichte. Die Mehrheitsfähigkeit von TTIP und CETA in unseren demokratischen Gesellschaften, allemal jedenfalls in Deutschland, hängt davon ab, ob wir dieses demokratische Prinzip in beiden Abkommen Stück für Stück nachweisen und wagen können. Durch TTIP und CETA darf politisch gewollter Regulierung nicht der Boden entzogen werden.“
Gabriel zitierte den verstorbenen Bischof Hohmeyer, Ziel der Globalisierung müsse Gerechtigkeit für alle und nicht Reichtum für wenige sein. Auch in den Regeln für ein modernes Handelsabkommen müsse sich davon etwas wiederfinden:
- Eine neue Handelsarchitektur dürfe die Freiheit der Bürger nicht einschränken, sondern müsse sie erhöhen.
- Das neue Abkommen müsse solidarisch sein, und die Erweiterung für den Beitritt anderer Länder, wie Schwellenländer oder etwa Russland nicht ausschließen.
- Es dürfe keinerlei Zweifel am Primat demokratischer Politik lassen.
Thema Investor-Staats-Schiedsverfahren
Diese seien aus den Freihandelsabkommen der Vergangenheit nicht in die Gegenwart übertragbar. Die alte CDU/CSU/FDP-Bundesregierung habe bei der Mandatserteilung eine Protokollnotiz abgegeben, der zufolge zwischen etablierten Rechtssystemen eigentlich gar keine besonderen Schiedsverfahren erforderlich seien. Mit Blick auf die KMU müsse man sich fragen, ob das stimmt. „Ob wir wirklich einen Mittelständler in einem amerikanischen Bundesstaat auf die dortige Gerichtsbarkeit verweisen wollen.“
Wenn wir künftige Handelsstandards auch mit China beeinflussen wollten, komme man schnell dazu, dass besondere Schiedsverfahren sinnvoll seien. Die Frage sie nur, wie sollen die eigentlich aussehen, wer bestimme, wer dort Richter Ist.
Bei einem Treffen der sozialdemokratischen Handelsminister von Frankreich, Dänemark, Schweden, Luxemburg, den Niederlanden und Deutschland in der EU sei es gelungen, eine gemeinsame Position vor allem bei dem besonders umstrittenen Thema Schiedsgerichte zu erreichen, „für die Einrichtung rechtsstaatlicher Alternativen, nicht für deren komplette Streichung“. Ausländische Inverstoren sollen in der EU keine weitergehenden Rechte genießen als europäische – das sei im Fall Vattenfall anders. Es solle ein unabhängiges Schiedsgericht mit unabhängigen Richtern gebildet werden, deren Verfahren öffentlich sein müssten.
Nur Berufsrichter oder qualifizierte Wissenschaftler sollten dazu berufen werden; keine Anwälte, die in Interessenskonflikten mit den von ihnen vertretenen Firmen kämen. Die Entscheidungen müssten überprüfbar sein. Urteile nationaler Gerichte dürften nicht durch ISDS aufgehoben werden. Die EU denke ähnlich. Die Schiedsverfahren sollten aus dem Eindruck der Sondergerichtsbarkeit nach privatem Recht herausgelöst werden. „Wir brauchen eine öffentlich-rechtliche Bindung, Transparenz, Appellationsformen, und eine öffentlich-rechtlich gebundene Berufung an die Qualifikation derjenigen, die in diesen Schiedsgerichten Teil sein sollen.“ Die Richtung sei ein internationaler Handelsgerichtshof.
Es werde viel über Folgen ungeregelter Globalisierung geredet, wir müssten die Freihandelsabkommen auf dieses Niveau heben und uns nicht davor wegducken. Wenn wir aus Angst und mangelndem Selbstbewusstsein glaubten, „dass am Ende sowieso bloß europäische und amerikanische Konzerne sich verbünden und die Rechte der Bürger mit Füßen treten, dann können wir unsere ganzen Diskussion um die Regulierung der Globalisierung gleich vergessen. Dass möglicherweise am Anfang nicht alles passiert, was wir uns vorstellen können, ist selbstverständlich.“
EU-Kommissarin Cecilia Malmström hielt handels- und wirtschaftspolitische Vorlesung
Die Schwedin sprach zunächst Deutsch, ging dann aber („weil ich sicher sein will, dass ich sage, was ich meine“) „von der Sprache Goethes und Schillers in die Shakespeares“ über. Sie betonte vor allem die Vorteile für deutsche Unternehmen, wenn TTIP und CETA in Kraft träten. Sie signalisierte Gesprächsbereitschaft bei Fragen zu den umstrittenen Investor-Staat-Schiedsverfahren. Außerdem kündigte sie mehr Transparenz bei den Verhandlungen mit den USA an. Malmström begann mit dem Brandt-Zitat „mehr Demokratie wagen“ – aber der habe auch gesagt, wir wollten eine Gesellschaft mit mehr Freiheit und mehr Mitverantwortung. Das schlichte Ziel des Freihandelsabkommens sei nichts anderes als das: mehr Möglichkeiten, mehr Freiheit, europäische Werte sollten effizienter vertreten werden. „Niemand muss privatisieren, der nicht will.“ Sie versprach „Schutz für unsere strengen Regulierungen“. Hohe Standards gebe es auf beiden Seiten. Aber sie versicherte: „TTIP will not change our laws.“ Ein verantwortlicher Zugang müsse anerkennen, dass es keine Mehrdeutigkeiten zwischen EU, TTIP und deutschem Recht gebe. Sie trete ehrgeizig für Regulierungen, aber auch für die Überwindung von Handelsschranken ein. TTIP werde dazu beitragen, europäische Werte, die übrigens nah bei amerikanischen Werten seien, zu erhalten. Transparenz sei dabei Bedingung: Es stünden bereits viele Hintergrund-Papiere online. Sie reise in viele Länder, um zuzuhör
Die Diskussion
Hubertus Heil, SPD-Vize-Fraktionschef und Diskussionsleiter: Einer der Hauptstreitpunkte sei die Frage: Wie verhindern mir Diskriminierung? Wie genau siehe der ISDS-Vorschlag aus?
Gabriel: Keines der Freihandelsabkommen habe irgendeinen Ansatz, wo direkt Gesetze, Regelungen angegriffen werden könnten. „Im Gegenteil: In einer Reihe von Fällen, wird sogar die Diskriminierung kanadischer Unternehmen erst ausdrücklich erlaubt. Wohlfahrtsverbände in Deutschland haben zwei Vorteile gegenüber privaten Wettbewerbern. Sie bekommen Geld und sie bezahlen keine Umsatzsteuer“. Ein kanadisches Unternehmen könnte dagegen nichts tun, dass es in diesen zwei Hinsichten diskriminiert werde. In CETA stehe ausdrücklich drin, dass bei der Wasservorsorge, bei der Daseinsvorsorge, bei Kultur es ausdrücklich erlaubt sei, einheimische Unternehmen zu bevorzugen.
„Nun sagen Kritiker: Bei Vattenfall und dem deutschen Atomausstieg sehen wir, dass es möglich ist, dass drei deutsche Unternehmen, die Kernkraftwerke betreiben, auf das deutsche Rechtswesen angewiesen sind, vermutlich in Deutschland keinen Erfolg haben – aber das schwedische Unternehmen, weil Deutschland Mitglied der Energiecharta ist (die kennt auch solche Schiedsgerichte) jetzt vor das Schiedsgericht geht und eine bessere Chance hat, als die drei deutschen. Das wäre der absurde Fall, dass für den gleichen Sachverhalt, nämlich das Schließen von Atomkraftwerken, deutsche Eigentümer damit klarkommen müssen, und das ausländische Unternehmen eine Entschädigung bekommt.“
Das könne man dadurch ausschließen, dass man Bedingungen für die Anrufung eines Schiedsgerichts vereinbare. In CETA sei beschrieben, unter welchen Bedingungen man überhaupt vor ein Schiedsgericht dürfe – zum Beispiel im Fall von Enteignungen oder wenn Rechtstaatsgrundsätze verletzt würden. Deshalb müsse man weg von den traditionellen Schiedsgerichten. Die SPD plädiere für:
- Besetzung mit Berufsrichtern
- Öffentlich-rechtliche (und nicht privatwirtschaftliche) Anbindung
- Transparente und öffentliche Verfahren
- Berufungsinstanz (Appeal Court)
- Ziel: Echte Handelsgerichtsbarkeit (im Sinne von WTO-Ideen)
Palmström: CETA sei ausverhandelt. Eventuell seien kleinere Veränderungen möglich, aber keine Neuverhandlung mehr. Der Vertragsentwurf sei jetzt im „Legal Scrubbing“. Dann werde abgestimmt.
Der DGB-Vorsitzende Reiner Hoffmann wies auf das gemeinsame Positionspapier mit der SPD und auf den intransparenten Verhandlungsprozess der letzten Monate hin. Zentrale Fragen blieben bestehen. Die Vorbehaltebestüneden darin, dass nicht ausschließlich der freie Handel gesteigert werden solle – gerade die EU-Kommission müsse „die Chance nutzen, damit wir aufgrund unserer Vorstellungen von fairer Globalisierung ein Stück weit faire Leitplanken bekommen, damit die Auswirkungen der Globalisierung Früchte nicht nur für wenige, sondern nach Möglichkeit für viele bereitstellen“.
Überhaupt nicht nachvollziehen könne der DGB, dass beispielsweise die Kernarbeitsnormen der ILO in den USA nicht zur Anwendung kämen. Hoffmann zeigte sich irritiert über Malmströms Interviewäußerung, die meisten Arbeitsnormen würden in den USDA eingehalten. Das sei falsch. Die Organisationsfreiheit, Grundlage für gewerkschaftliche Betätigung, sei in vielen USA-Bundesstaaten überhaupt nicht gegeben – wenn deutsche Unternehmen Beteiligungsrechte – bei uns Standard – einführen wollten, würden sie verweigert. „Wir müssen dafür sorgen, dass die Kernarbeitsnormen überall implementiert werden.“
Keine Verständigung sei darüber erzielt worden, wie man bei Verstoß gegen deren Implementierung vorgehe. Warum würden Investoren geschützt, nicht aber Arbeitnehmerrechte? Das sei leider in den letzten Jahren leider nicht gelungen.
Zweite Kritik an CETA: Problem, auf welcher Grundlage definiert werde, „was denn unter dieses Handelsabkommen fällt und was nicht. Bei CETA hat man ein sogenanntes Hybridverfahren vorgesehen, dass sowohl eine Negativ- als auch eine Positivliste angewendet wird – wir sagen ganz klar: Wir brauchen eine Positivliste, damit klar und deutlich ist, welche Bereich der öffentlichen Daseinsvorsorge von solchen Handelsabkommen erfasst sind und keine Negativliste, weil damit werden Befürchtungen und Sorgen der Bürgerinnen und Bürger nicht ausgeräumt.
DIHK-Präsident Schweitzer betonte, dass es vor allem um die Exportchancen gehe, und fragte: Welchen Unternehmen nütze es eigentlich? Die Öffentliche Meinung denk: Den großen – aber viel, viel stärker nütze CETA den mittelständischen Unternehmen, es gebe in Deutschland 1300 Hidden Champions (unbekannte Weltmarktführer) – in den USA dagegen nur 400. „Die 1300 können zusätzlich Märkte generieren – kommt in der Fläche und in der Breite an.“ Thema Umwelt-und Sozialstandards: Es sei wichtig, dass das Thema Verbraucherschutz, Lebensmittel, Sozial- und Umweltstandards bei CETA außen vor sei und es keine Diskussionen darüber gebe.
Malmström: Die EU-Kommission dränge alle Partnerstaaten, die Kernarbeitsnormen durchzusetzen; einige, aber nicht alle, habe der US-Kongress bereits angenommen. Die noch übrigen sechs werde er nicht ratifizieren. „Wir bemühen uns darum.“ Die EU wolle ein spezielles Kapitel im Einklang mit den UN über nachhaltige Entwicklung, Klimaschutz, Kinderarbeit, die Vorschläge seien auch auf der Webseite. Es sei rechtlich noch nicht entschieden, ob TTIP ein gemischtes Abkommen sei. „Erst wenn es ausverhandelt ist, müssen die Juristen schauen, ob es eine gemischte Kompetenz ist. In jedem Fall werden die nationalen Parlamente mitspielen“.
Es sei rechtlich noch nicht entschieden, ob TTIP ein gemischtes Abkommen sei. „Erst wenn es ausverhandelt ist, müssen die Juristen schauen, ob es eine gemischte Kompetenz ist. In jedem Fall werden die nationalen Parlamente mitspielen“.
Der EU-Abgeordnete Bernd Lange, Vorsitzender des Handelsausschusses im EU-Parlament, plädierte entschieden dafür, dass es sich bei CETAQ und TTIP um gemischte Abkommen handelt. In der letzten Legislaturperiode habe das EU-Parlament selbstbewusst zwei Abkommen nicht zugestimmt: mit Marokko und das ACTA-Abkommen, das zu viele Webfehler hatte in Bezug auf das geistige Eigentum. CETA sei ein Rohtext, nicht fertig und noch nicht unterschrieben. SPD-Vorstoß sei richtig, die ISDS-Schiedsgerichte in CETA als „oldfashioned“ zu überwinden und eine Alternative einbinden – sonst drohe das Risiko von ACTA. Im Mai komme eine Zwischenbilanz zu TTIP.
Lange diagnostizierte drei Problemzonen:
- Entwicklung künftiger Standards – im Rahmen der so genannten Regulatorischen Kooperation – ohne Infragestellung der demokratischen legislativen Entscheidungsprozesse
- Außergerichtliche Schiedsstellen gehörten auf den Müllhaufen, auch alte Abkommen müssten überprüft werden (dazu europäische Gesetzgebung von 2012)
- Wichtig seien die Arbeitnehmerrechte; wenn wir Globalisierung gestalten wollten, wenn wir eine faie Ebene einziehen wollten, dass Wettbewerb auf Grundlage von Qualität und Effizienz stattfinde, dann dürfe Sozial- und Umweltdumping nicht möglich sein. Das hätten wir gegenüber Korea, Kolumbien und Peru eingefordert, er sehe keine Notwendigkeit, im Fall der USA davon abzurücken.
Gegenseitige Anerkennung sei unmöglich bei fundamentalen Unterschieden in der Frage gentechnischer Lebens- und Futtermittel. Hier gebe es eine klare restriktive europäische Gesetzgebung, und er sehe keine Veranlassung, diese durch ein Freihandelsabkommen in Frage stellen zu lassen.
Cecilia Malmström bestätigte das. Man werde das Vorsichtsprinzip nicht außer Acht lassen. „Das wird nichts durch die Hintertür reingelassen“.
reingelassen“.
Gabriel fügte an, das sei auch bei CETA nicht möglich – es sei „ein sich nachhaltig haltendes Gerücht, dass die Freihandelsabkommen ermöglichen würden, dass gentechnisch veränderte Futter- oder Nahrungsmittel nach Europa kommen, die heute hier verboten sind, oder dass, noch viel weitergehend, Monsanto seine Vorstellung, dass man sogar intellektuelles Eigentum an Gencodes besitzen kann, und dass das dann nach Europa komme – beides ist ausgeschlossen. Beim bestehenden Handelsabkommen mit Kanada kann man es nachlesen – bei TTIP kann es auch gar nicht anders sein, weil beide Freihandelsabkommen uns nicht dazu zwingen können, geltende Gesetze in Europa oder Deutschland zu verändern.“ Das sei ein nachhaltig in der Öffentlichkeit existierendes Gerücht, „das richtig falsch ist“.
Malmström – hat bei Amtsantritt mehr Transparenz versprochen – sagte, es sei bereits viel veröffentlicht worden. Es war der Rat, der sich zunächst weigerte; die Kommission könne das, wenn 28 Minister übereinstimmen, beschließen. Es habe einige Zeit gedauert. Die Kommission habe vorgeschlagen, es online zu veröffentlichen, es habe aber zuerst nicht geklappt. Viele Dinge seien jetzt aber online: „Die Rechtsvorschläge, Positionspapiere, Hintergrundinformationen, viele Fakten, wir haben kilometerlange Papierschlangen auf unseren Webseiten veröffentlicht, und mehr wird kommen. Aber es gibt natürlich bestimmte sensible Phasen, wo man nicht vor den TV-Kameras diskutieren kann.“ Doch die meisten Dinge seien öffentlich einsehbar. Auch das EU-Parlament werde sorgfältig unterrichtet. Wenn es einen Vertragstext gebe, sei auch der einzusehen. Bei CETA sei alles öffentlich, 1600 Seiten.
Schulz sieht auch Antiamerikanismus
Der Präsident des EU-Parlaments ging auf die Ängste und Sorgen der Demonstranten und Kritiker ein und fragte sich zu Beginn, wie die verschiedenen „Ansätze miteinander zu versöhnen“ seien. Wenn die zwei demokratischen Wirtschaftsblöcke sich zusammenschlössen, sei das zunächst eine gute Sache, aber „dann höre ich manchmal Töne, die das Demokratiemodell der Vereinigten Staaten von Amerika infrage stellen“, das sei „plumper Antiamerikanismus, und ich will den an dieser Stelle einmal zurückweisen, weil der uns überhaupt nicht hilft“. Beide Blöcke zusammen machten aber nur zehn Prozent der Erdbevölkerung aus. Die andern 90 Prozent wollten auch am Wirtschaftsprozess teilhaben. Europa habe bald nur noch 4 Prozent an der Weltbevölkerung und nur noch zehn Prozent am Weltbruttosozialprodukt. Man könne das auch Globalisierung nennen.
Wir brauchten in dieser Globalisierung Regeln. Wenn sich beide großen Blöcke demokratisch auf Regeln einigen, müsse man das Freihandelsabkommen dafür nutzen, durch die ökonomische Kraft Europas hohe Standards in der Ökologie, bei den Arbeitnehmerrechten, beim Konsumentenschutz für die Zukunft zu bewahren, weil die von anderer Seite unter Druck gerieten. „Man darf diese Instrumentalisierung nicht zulassen, zugleich aber den Mut besitzen, zu sagen, wir kriegen diese Standards so gestaltet, dass wir unsere bewahren, gegebenenfalls sogar ausbauen können.
Hat die Kommission sie noch alle?
Es gebe US-Standards, die deutlich höher seien als in der EU: „Wenn uns die Kanadier sagen, dass die von uns jetzt für CETA geforderten Verbesserungen die ursprünglichen Vorschläge der Kanadier waren, dann muss man die Kommission fragen, ob die sie eigentlich noch alle haben!“
„Für mich stellt das Handelsabkommen eine Chance dar“
Schulz schloss sich Gabriel an, und sagte: „Für mich stellt das Handelsabkommen eine Chance dar“. „Aber diese Chance habe einige Risiken:
- Die Transparenz sei ein großes Problem; „bei vielen wecken die Verhandlungen großes Misstrauen, weil sie als eine Art Geheimverhandlungen empfunden werden“. Aber Cecilia Malmström habe sich große Mühe gegeben. Die Zusammenarbeit mit dem EU-Parlament sei wesentlich besser geworden; die EU-Abgeordneten könnten jetzt eine ganze Menge geheimer Dokumente einsehen. Cecilia Malmström habe einen interessanten Hinweis gegeben. Es sei „weder die Kommission, noch das Parlament gewesen, das dieses ‚Intransparenz-Gedöns‘ organisiert hat, sondern die Regierungen der Mitgliedsstaaten der EU, nicht alle, aber ein großer Teil“. Die Transparenz in Brüssel sei manchmal größer als in mancher nationalen Hauptstadt. Aber man könne nicht jede Verhandlung öffentlich führen, man könne nicht Verbesserungen wollen und vorab mitteilen, mit welcher Strategie man in die Verhandlungen gehe. Ein ausgewogenes Maß müsse gefunden werden.
- Es seien jetzt schon Fortschritte erreicht worden. Das Papier der Sozialdemokraten vom Wochenende. Parlament werde Druck ausüben: Denn CETA sei noch nicht unterschrieben; ein nicht unterzeichnetes Abkommen könne noch verbessert werden – vor allem bei den Schiedsverfahren. Insofern widersprach er Malmström, dass sie den Eindruck erweckt habe, da gebe es nichts mehr zu verhandeln. Es gebe „sehr wohl“ noch etwas zu verhandeln.
- Die regulatorische Zusammenarbeit, und die hierbei fehlende Transparenz, „da muss nachgebessert werden“. Er habe jeden Tag in Brüssel mit Politikern zu tun, deren Ziel es sei, dem Parlament Befugnisse wegzunehmen. Das Demokratiedefizit in Europa habe damit zu tun. „Deswegen sage ich: Ich werde nicht zulassen, dass mir meine parlamentarischen Rechte durch ein internationales Abkommen beschnitten werden. Das gilt für die Schiedsgerichte ebenso wie für die regulatorische Zusammenarbeit. Die Hoheit des Gesetzgebers und das Recht zur Regulierung sind Ecksteine der Demokratie auf beiden Seiten des Atlantiks.“
- Die Standards – hart erkämpfte Rechte sollen nicht aufgeweicht werden. Diese große Furcht müsse man ernst nehmen Die Waffengleichheit von Kapital und Arbeit sei in Europa im nationalen Rahmen erkämpft worden, es seien nationale Rechte, aber seit Jahrzehnten organisiere sich die Kapitalseite international. Die nationalen Rechte, die Waffengleichheit seien aber nicht auf die europäische Ebene angehoben worden. „Das führt dazu, dass die Kapitalisten Ferrari fahren und die Arbeitnehmer häufig mit dem Fahrrad hinterher.“ Da müssten wir nachholen – die Union müsse in den Verhandlungen Standards stärken, nicht schwächen. Das sei sein Ziel, und das werde man in der Detailarbeit fraktionsübergreifend sorgfältig prüfen: „Chancen vertiefen – Risiken minimieren!“
Schulz verwies auf das inzwischen gewachsene Selbstbewusstsein des Europäischen Parlaments: Das Bankendatenübertragungsgesetz SWIFT sei wegen mangelnder Rechtsstaatlichkeit vom EU-Parlament abgelehnt worden. Auch ACTA sei im EU-Parlament abgelehnt worden. Daher sagte Schulz an die Adresse der Kommission, wenn sie CETA zustimmungsfähig machen wolle: „Beherzigt das, was in dieser Konferenz gesagt worden ist!“
->Quellen und weitere Informationen zur SPD-Konferenz:
- Fotos © Gerhard Hofmann, Agentur Zukunft
- spdfraktion.de
- spd.de/ttip_ceta
- 129Iinvestitionsschutzverträge