Desertec – die Wüste lebt (weiter)

Architektur einer lebensfähigen Welt für zehn Milliarden Menschen

Gerhard Knies – Foto © Gerhard Hofmann, AgenturZukunft – 20110519

Gastbeitrag von Gerhard Knies, Desertec-Gründer und Deutsche Gesellschaft Club of Rome

0. Totgesagte…

Im Rahmen der 5. Jahreskonferenz der Desertec Industrie Initiative Dii GmbH im Oktober 2014 haben die 17 Shareholder die Studiengesellschaft in ein Beratungs- und Netzwerkunternehmen umgewandelt mit den – zunächst – drei Gesellschaftern RWE (Deutschland), ACWA POWER (Saudi-Arabien) und der staatlichen State Grid Corporation of China. Die Desertec Foundation hatte sich schon zuvor ab­gewandt. Ist das jetzt das Ende von Desertec, vom sauberen Strom aus den Wüsten? Manche befürch­ten das, andere bejubeln das, weitere bezweifeln das. Meine Ein­schätzung: Wenn wir die Erde in den kommenden 40-50 Jahren für die nächste Generation der Menschheit mit zehn Milliarden Menschen vorbereiten wollen, wird die Option Desertec dringender denn je gebraucht.

Was kann Desertec der Menschheit bieten? Nach der Konzeption der Vision im Jahr 2003, die Energie der Wüsten für globale Energie- und Klimasicherheit und für gerechte Entwicklung zu erschließen, wurde in einer Studie am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) in den Jahren 2004-2007 die technische Machbarkeit überprüft. Ergebnis von „Desertec 1.0“: Technologie und Ressourcen sind für mehr sauberen Strom vorhanden, als die Menschheit je brauchen wird. Von 2010 bis 2013 hat dann die von Industrie und Desertec Foundation gegründete Studiengesellschaft Dii GmbH die politische und ökonomische Machbarkeit mit aktuellen Daten untersucht. Ergebnis von „Desertec 2.0“: Die großmaßstäbliche Verwirklichung ist für Nordafrika, den Mittleren Osten und auch für einen Beitrag zur Versorgung Europas (EUMENA-Region) wirtschaftlich vorteilhaft. Also ist der nächste logische Schritt die Implementierung. Für deren Unterstützung wurde jetzt die Dii GmbH, quasi als „Desertec 3.0“, wie oben erwähnt für den EUMENA-Asia-Raum neu aufgestellt.

1. Wie viele Menschen können auf der Erde dauerhaft leben?

Das ist eine drängende Zukunftsfrage. So wie jetzt konnten bis zu fünf Milliarden Menschen auf dem Planeten Erde dauerhaft leben. Die folgende Grafik zeigt dazu Geschichte und erwartete Zukunft des ökologischen Fußabdrucks der Menschheit. Expan­sion war das Kennzeichen ihrer Entwicklung.

Ökologischer Fußabdruck der Menschheit, in Einheiten der Biokapazität der Erde. 2015 braucht sie 1,6 Erden. Daten bis 2007. Ab 2008 Projektion des World Business Council for Sustainable Development, in ‘Vision 2050’

Durch fossile Energienut­zung ist die Expansion um 1980 an einen Punkt gekommen, wo sie in die Zerstö­rung der natürlichen Lebensgrundlagen umschlug. Es gibt nicht mehr genügend biolo­gisch aktive Flächen für die dauerhafte Absorption der CO2-Emissionen. Das ist eine Zäsur, welche die gegenwärtige Organisation der Menschheit als sou­veräne Nationalstaaten in Frage stellt. Darauf muss die Menschheit reagieren – aber wie? Man sieht in der Figur auch: ohne CO2-Emissio­nen könnten zehn Milliarden Menschen mit hohem Zivilisations­grad und Wohlstand auf der Erde leben. Also muss die Menschheit heraus aus der fossilen Energienut­zung – und das ist möglich.

Die nächste dramatische Botschaft der Grafik ist: bei einem Weiter so wird schon in 25 Jahren die Bio­produktivität der Erde nur noch für die Hälfte der Weltbevölkerung reichen. Entweder jeder zweite Mensch oder die fossile Energie­nut­zung muss verschwinden, wenn die Menschheit dauerhaft auf der Erde leben will. Sie muss wieder mit einer Erde auskom­men können. Sie muss wieder mit  einer Erde auskom­men können. Dazu gehören mindestens:

  1. sie muss sich so versorgen, dass sie dabei die Biosphäre nicht zer­stört;
  2. das globale Bevölkerungswachstum muss aufhören, und
  3. die Staaten müssen die Erde zum Lebens­raum für zehn Milliarden Menschen umbauen.

Zur Verkleinerung des ökologischen Fußabdrucks kommt eine wei­tere Bedingung: die Aufrecht­erhaltung der globalen Biokapazität. Wenn diese als Folge von Übernut­zung und Klimawandel sinkt, steigt die Zahl der erforderlichen Erden entsprechend schneller an, als in der Grafik gezeigt. Um nicht den Eintritt in einen selbst lau­fenden Klimawandel zu riskieren, fordern Klimawissenschaftler die Begrenzung der globalen Temperaturerhöhung auf weniger als 2°C.

Rauch-Wasserdampf-Fahnen: Kraftwerk Reuter-West und Müllverbrennungsanlage Ruhleben, Berlin – Foto © Gerhard Hofmann, Agentur Zukunft

Dazu müssen die Emissionen auf weniger als 10% der jetzigen 36 Gigatonnen pro Jahr (Gt/a) sinken – und das bei einem möglicherweise auf das Dreifache steigenden globa­len Strombedarf – und es dürfen nur noch ca. 550 Gt CO2 über das dauer­haft verdauliche Maß hinaus in die Atmosphäre kommen. Die sind bei den jetzigen Emissionen in 16 Jah­ren erreicht, und bei einer gleichmäßigen Verminderung in 32 Jah­ren. Dementsprechend müssen zum Ersatz 32 Jahre lang jeden Tag saubere Kraftwerke mit einer durchschnittlichen Gesamtkapazität von 4 Gigawatt (GW) installiert wer­den. Ein solches Programm zur Stabilisie­rung unserer natürlichen Lebensgrundlagen ist eine Herkules­auf­gabe. Aber das ist machbar, wenn ALLE technischen, logis­tischen und finanziellen Register gezogen werden, und wenn (fast) alle Staa­ten hierfür mit höch­ster Priorität zusammen arbeiten. Die Erde könnte dann tatsäch­lich zehn Milliarden Menschen aushal­ten.

Es geht hier nicht darum, eine detaillierte Blaupause für diesen Übergang zu erstellen. Doch müssen wir ein Bild davon haben, wo wir hin wollen, also: wie eine lebensfähige Welt für zehn Milliar­den aussehen könnte, wenn wir eine aufbauen wollen. Wir haben jetzt keine. Die Fußabdruck-Grafik zeigt, dass die Menschheit um ca. 1980 begonnen hat, die Biokapazität der Erde zu überziehen. Damit endete faktisch die Unabhängigkeit von Staaten, denn seitdem wirkt jeder Mensch mit seinen CO2-Emissionen auf die Lebensbedingun­gen aller anderen jetzigen und künftigen Menschen in allen anderen Staaten ein, ohne dass diese das abwehren können. In manchen Ländern wird der Klima­wandel verheerende und nicht beherrschbare Folgen haben. Dieses Ende der Unabhängigkeit von Nationen hat bei einer Weltbevölkerung von ca. 4,5 Milliar­den begon­nen. Sie wächst seitdem wei­ter, um ca. 1% pro Jahr. Die Ansprü­che der Menschen wach­sen zusätzlich, erkennbar am Anstieg des „zivilisato­ri­schen Barometers“, den CO2-Emis­sionen in die Atmos­phäre, mit Stei­gerungen um 3% (1 Gt) pro Jahr. Wie weit kann man einen Luftballon aufbla­sen? Wenn der Treibhauseffekt selbstlau­fend wird, dann gibt es kein Zu­rück (siehe Figur Kippschalter). Dann wird die Bewohn­bar­keit des Planeten Erde unkontrollierbar verändert. Für die Lebensfähigkeit einer übervollen Welt muss der kollektive Schutz der natürlichen Lebensgrundla­gen einen höheren Rang haben als die Sicherheit und Souveränität einzelner Staaten.

Kippschalter: Nicht rückholbare Veränderungen im Erdsystem (nach Edenhofer, Schellnhuber et.al.)

2. Klimaschutz – ein Fall für die Sicherheitspolitik

Globale Erwärmung und Versauerung der Meere sind die folgenschwersten von Menschen gemach­ten Veränderungen auf der Erde. Sie verändern und vermindern die Bewohnbarkeit – für Mensch und Tier – einer bereits über­füllten und über­nutzten Erde, zu Lande, in der Luft und im Meer. Mit jetzt sieben, und bald mit neun bis zehn Milliarden Men­schen, wird der Klimawandel immer schneller voran schreiten: Stürme, Dürren, Überflutungen, Hit­zewellen, Versaue­rung der Meere und Anstieg des Meeresspie­gels um bis zu 70 Meter, stehen auf dem Programm. Der Klimawandel ist die größte Gefahr für die Menschheit auf einem überfüllten Planeten. Er läuft schneller als lebenswichtige Biosysteme folgen können. Die Menschheit braucht jetzt prioritär eine globale Sicherheitspolitik und eine Lebensraum-Sicherungsstrategie, um die lang­fristige Bewohn­barkeit des Planeten für ca. zehn Milliarden Men­schen herzustellen. Das ist die große sicher­heitspoliti­sche Herausforderung für die Menschheit im 21. Jahr­hun­dert. Das ist auch eines der wichtigsten Ziele des Kooperationsmodells Desertec.

Noch ist ein galoppierender Klimawandel nicht unser unentrinnbares Schicksal, aber ein angemesse­nes globales Emissionsmanagement, ein organisiertes Emissions-Bremsmanöver, das mit einem restli­chen Volumen von 550 Gt CO2 auskommt, gibt es auch noch nicht. Es gibt die zu Diskussionsfo­ren ver­kommenen Kli­makonferenzen der UNO, und einige völlig unzureichende nationale Pläne. Doch um einen Klimacrash noch zu vermeiden, ist ein globales Sicherheits­konzept für die Menschheit erforder­lich. Das ist wichtiger als die jetzigen Anstren­gungen für „200“ na­tionale militärische Sicherheiten, welche in der Realität die­ Sicherheit eher gefährden als ver­bessern. Eine Umkehr durch Lernen aus Ver­such und Irrtum ist angesichts des kurzen verblie­benen Brems­wegs von 32 Jahren hochris­kant. Die Sicher­heit der natür­lichen Lebensgrundlagen ist bei Finanzspekulanten, Öl- und Waffenlobbyisten in den falschen Hän­den. Wir brauchen ein Lösungskon­zept, denn es gibt ein Zu­ spät.

3. Architektur einer lebensfähigen Welt mit zehn Milliarden Menschen

Die drei tragenden Säulen einer lebensfähigen Welt:

Die drei Säulen einer lebensfähigen Welt – Grafik © Knies

  1. Unerschöpfliche und emissionsfreie Energien für globale Energiesicherheit und Klimastabilität
  2. Wohlstand für alle Menschen:   Beendigung des weltweiten Bevöl­kerungswachstums und Entwick­lungsgerechtigkeit
  3. Neue Weltsicht: Planet Erde als Lebensraum der Menschen statt Kampfplatz der Nationen

Das Drei-Säulen-Modell ist realisierbar, und alle weiteren Probleme können innerhalb dieser Architek­tur gelöst werden. Innerhalb einer untauglichen Architektur lassen sich die kleinen und die großen Probleme nicht lösen, wie die UN-Klimakonferenzen seit 20 Jahren demonstrieren. Die hier vorge­schlagene tragende Architektur ist mit bekannten und erprobten Bausteinen realisierbar.

Säule 1: Unerschöpfliche und emissions­freie Energien für Energie­sicherheit in aller Welt und für Klimastabilität

Windgenerator im Bau plus Sonne, Sachsen-Anhalt – Foto © Gerhard Hofmann

Einer der Energieträger des von der Dii und Desertec vorgeschlagenen Energie-Mixes: Wind – Foto © Gerhard Hofmann, Energie Zukunft

Hybrid-CSDP-Kraftwerk Kuraymat, Ägypten – Foto © Gerhard Hofmann, Agentur Zukunft 20111104

Eine Menschheit mit mehr Menschen und höherem Zivilisationsgrad als jetzt braucht mehr Energie, vielleicht das Dreifa­che. Zugleich müssen die energiebedingten Treibhausgas-Emissionen auf ca. 10% des jetzigen Niveaus gesenkt werden. Lediglich noch 3% der Energieer­zeugung dürfen dann also noch mit CO2-Emis­sionen verbunden sein. Damit scheiden die fossilen Energieträger fast voll­ständig für alle Zukunft aus. Sie wirken wie Chemiewaffen gegen die Lebensbe­dingungen späterer Generationen und sollten des­halb geächtet werden. Sie können durch erneuerbare Energien zeitgerecht ersetzt wer­den, insbe­sondere wenn man die Ener­gie der Wüsten nutzt. Etwa 80 PWh/Jahr Elektrizität (1 Petawatt = 1 Million GW) würden völlig aus­reichen. Die Sonnenenergie in brauchbaren Wüs­ten allein bietet ein Potenzial für 3000 PWh/Jahr. Zudem gibt es noch ähnlich große Potenziale an Windenergie, und eine ganze Reihe anderer Quellen mit geringe­ren aber nutzbaren Volu­men, sowie das große Potenzial der Effizienzsteigerung. Bis auf den Antrieb von Flugzeugen – Piccards Solarflugzeug kann den Luftverkehr noch lange nicht bedienen – können alle anderen Energie­dienstleistungen grundsätzlich aus emis­si­onsfrei erzeugter elektrischer Energie gewonnen werden. Das ha­ben viele Studien quantita­tiv bestätigt. Das erfordert aber eben 32 Jahre lang die tägliche Installa­tion von 4 GW an ertragrei­chen Standorten. Da an die 50% der Menschen im asiatisch-pazifischen Raum leben werden, ist die saubere Versorgung dieser Regionen entscheidend für die globale Klimastabilität. Eine der 2°C-Grenze gemäße Bereitstellung von genügend emissionsfreier Ener­gie ist realisierbar. Desertec kann jeden erforderlichen Beitrag leisten.

CSP als dritte Technologie im Energie-Mix: Hybrid-CSP-Gas-Kraftwerk Kuraymat, Ägypten – Foto © Gerhard Hofmann, Agentur Zukunft

Säule 2: Weltweiter Wohl­stand für Entwicklungsgerechtigkeit und Beendigung des globa­len Bevölkerungswachstums

Das Bevölkerungswachstum hört überall dort auf oder wird gar rückläufig, wo der Zivilisations­grad bzw. der von der Bevölkerung geschaffene Wohlstand über ein Bruttosozialprodukt von ca. 15.000 €/Person steigt. Wohlstand für jeden ist also von fundamentaler Wichtigkeit für die Sicherheit der Menschheit. Etwa eine Milliarde Menschen in den Industrieländern ist schon auf diesem Niveau, und fast alle anderen streben dort hin. Mit einer geeigneten Nord-Süd-Koo­peration kön­nten auch die „Least Developed Countries” (LDC) in 30 Jahren auf das erforderliche Wohlstandsniveau kommen. Da sie alle guten Zugang zu Wüstenre­gionen haben,  kann Desertec dort der Menschheit einen gro­ßen Dienst erweisen. Beispiele für die erforderliche schnelle Entwicklung sind u.a. Süd-Korea, China und Marokko.

Säule 3: Neue Weltsicht: Erde als Lebensraum für Menschen statt Kampf­platz für Nationen

Die größte Herausforderung liegt aber darin, dass von den bekannten im Boden befindlichen fos­silen Energieträgern nur noch etwa ein Sechstel gehoben und verbrannt werden dürfen, wenn die 2°C-Grenze nicht überschritten werden soll. Fünf Sechstel müssen im Boden bleiben. Um das zu regeln, brauchen wir eine Weltinnenpolitik und eine neue Global Governance. Die wiederum erfordert eine neue Weltsicht. Denn wenn sich Nationalstaaten weiterhin durch vor­sorgli­che Bewaffnung auf internationale Gewaltfähigkeit und –tätigkeit einstellen und die Erde weiterhin als Kampfplatz an­se­hen, werden zwi­schenstaatliche und auch nichtstaatliche Konflikte weiterhin auf die militä­ri­sche Ebene eska­lieren.

Soll die Erde aber ein Lebens­raum für zehn Milliarden Menschen wer­den, dann müssen weitere zwei bis drei Milliarden Menschen auf einem bereits übernutzten Planeten Platz finden. Deren soziale und biosphärische Integration erfordert eine nicht-destruktive, auf Konsens gebaute globale Governance und eine zivilisierte Weltgesell­schaft. Die Menschheit könnte dazu als ein Kondominium der Völker or­ganisiert werden, wie ein Haus mit Regeln des Zusammenlebens statt mit Gewalt­tätigkeit zwischen Miet­parteien bzw. Woh­nungseigentü­mern. Nur bei rein inneren Angelegenheiten bestimmt ein Staat noch alles selbst – und diese Angelegenheiten sind rückläufig. Was an Wirkungen nach außen dringt, unter­liegt Grenzwerten, und was die Wohn­anlage als Ganzes sowie alle Be­wohner betrifft, unterliegt der Hausordnung, der Hausverwal­tung und einem Bewohner-Beirat.

Das Kon­domi­nium-Modell schafft die nationale Souveränität nicht ab, sondern reagiert nur auf deren fortschreitende Begrenzung durch die täglich wachsende öko­nomische und kommunikative Vernet­zung und ressour­cenmäßige und ökosphärische Verkopplung der Welt über Ländergrenzen hinweg. Eine entsprechende Anpas­sung des Umfangs der nationalen Souveränität ist Bedingung  für ein Management der Lebensfä­higkeit des Organismus Menschheit auf einem übernutzten Planeten.

4. Kondominium als Governance Modell für eine lebensfähige Welt?

Das Drei-Säulen-Modellist ein Modell für eine lebensfähige Welt. Vielleicht gibt es einfachere. Doch ich halte jede der drei genannten Säulen für unverzichtbar und sie zusam­men auch für ausreichend. Möglicherweise sind aber weitergehende Elemente erforderlich. Das müssen konkretere Entwürfe zeigen.

Zur Herstellung einer lebensfähigen Welt für zehn Milliarden Menschen hat die Menschheit die Option, jetzt diese drei Prozesse im optimierten Zusammenspiel vor­anzutreiben. Agieren die Staaten weiter­hin ohne hinrei­chende Abstimmung oder gar gegeneinander, können sie keines der globalen ökologischen und sozialen Probleme kontrol­liert und rechtzeitig lösen. Betreiben sie lediglich einen der Prozesse allein ohne die beiden anderen, verhindern die dabei verbleibenden oder entstehenden Pro­b­leme das Weiterkommen zum Ziel. Die Erfolglosigkeit der Klimakonfe­ren­zen be­legt: Als politische und ökonomische Gegenspieler schaffen die Staaten keinen Klima-Konsens. Da liegt der Strickfehler der Klimakonferenzen. Wenn Armutslän­der arm blei­ben, gibt es kein Ende des Bevölkerungswach­stums. Positionskämpfe um globale Vorherr­schaft be­hindern die rechtzeitige Beendigung der Nut­zung fos­siler Ener­gien. Agieren Staaten aber wie Bewohner eines Kon­do­miniums, und orientieren sie ihre natio­nale Außen­poli­tik an den Notwendigkeiten einer Weltin­nenpolitik, haben sie die Chance, das Projekt „lebensfähige Welt für zehn Milliarden Menschen“ zu realisie­ren: Ende der globalen Er­wärmung durch sau­bere Energien und Ende des Bevöl­kerungs­wach­stums durch Wohl­stand für jeden.

Anachronismus: Menschheit wächst zusammen – Staaten rüsten gegeneinander auf. Das Kondominium-Konzept ist ein Weg zur Herstellung der Lebensfähigkeit der Menschheit – aber ist es auch eine weltfremde Illusion? Nein, es ist eine machbare Innovation, denn die EU probiert es aus! Mehrere frühere Erz-Feinde geben sich dort eine Hausordnung, eine Hausver­waltung und sitzen gemein­sam in einem Bewohner-Beirat. Die EU möbliert ihren Binnenraum um: vom Schlachtfeld zum Lebensraum. Im Inneren ist die EU tatsächlich wie ein Testlauf für ein globales Kon­dominium, ohne militärische Gewaltoptionen der Mitglieder gegeneinander. Sie wird zu einem koo­perativen integrierten Wirtschafts- und Sicherheitsraum, bisher ohne eigene Gewaltfä­higkeit nach außen. Sie begann mit  6 Nationen. Jetzt sind es 28, und weitere warten – sogar außer­halb Europas. Marokko, Algerien, Tunesien, Ägypten und Jordanien haben Assoziierungsab­kommen mit der EU. Warum kann z.B. die EU nicht mit allen klimaschutzwilligen Ländern Klimaschutz-Allianzen abschließen? Dann würde die EU zum Kern einer GCA – einer Glo­bal Climate Alliance, nachdem sie selbst einmal mit einer Allianz für Kohle und Stahl angefangen hat. Wir brauchen keinen Welt­staat, aber eine Welt im Kondominium-Modus. Denn die zentrale Erkenntnis ist: Die Erde kann zehn Milliarden Menschen aushalten, aber nicht in Form gewaltbereiter Nationen.

Im Kondominium-Modus könnten sie mit den gegenwärtigen finanziellen Mitteln für Waffen von einem Tag pro Wo­che den Aufbau der sauberen und kostengünstigen Energie-Infrast­ruktur für eine lebensfähige Mensch­heit finanzieren. Aber gewaltbereite und auf Unabhängigkeit fixierte Nationen wür­den das nicht mitma­chen. Auch die Öl- und Waf­fenlobby hätten etwas dagegen. Das Verharren im Kampf­platz-Modus ist eine große Dumm­heit, denn dabei verlie­ren schließlich alle – durch klimabe­dingte Zerstö­rung der zivi­len Infra­st­ruktur und der natürlichen Le­bens­grundlagen. Ein tödli­cher Preis, den die Menschheit für die Fortsetzung der Fiktion von der Unabhängigkeit von Staa­ten zahlen wird.

Nur wer die Menschheit als Einheit sieht, kann die Welt als Lebensraum organisieren. – Die Menschheit ist mehr als die Summe der Menschen oder der Staaten. Sie ist wie ein zusammen hängender und agierender Organismus. Die überzogene Spaltung in unabhängige Nationalstaaten lähmt ihre globale Hand­lungs­fähig­keit. Notwendigkeiten und Muster für globales Handeln sind da. Ein Viable-World Design Team könnte das Kondominium-Konzept detaillierter ausarbeiten. Der UNO ist das durch ihre absolute Respektierung der Sou­veränität der Mitgliedsstaaten nicht erlaubt. Albert Einstein hat einmal festges­tellt: Man kann Probleme nicht mit den gleichen Denkweisen lösen, mit denen sie herbeige­führt wur­den. Also sind jetzt die Zivilgesellschaf­ten, erkenn­tnisfähige Menschen und auch die National­staaten selbst gefor­dert, die Welt als Ganzes zu sehen und zu denken: als Lebensraum einer Menschheit. Die Welt als Ganzes zu sehen, war auch von Anfang an der Grundgedanke bei Desertec. So können die Völker koope­rieren, um die Erde zu ihrem Lebensraum umzubauen.

5. Erste Schritte zum Umbau der Erde als Lebensraum der Menschheit

Der Aufbau des Zehn-Milliarden Kondominiums kann mit wenigen Akteuren beginnen, z.B. mit einem Kern von Klima­schutz-Willigen. Auch Kommunen können dabei mitmachen. Z.B. könnte ein Netzwerk von Küstenstädten gegen den Meeresspiegel-Anstieg die jeweiligen Regierungen zum Handeln bringen. Das Kon­dominium muss nicht einmal territorial zusammenhängend sein. Es impliziert aber

  • Beendigung der Gewaltbe­reit­schaft ihrer Mitglieder gegeneinander
  • Regeln für den Umgang der Mitglieder unter einander, d.h. Begrenzung ihrer nationalen Souveränität: souverän nach innen, regelorientiert nach außen
  • Unterstellung von Aktionen die  in an­dere Staaten hinein wirken unter eine  Hausordnung; und schließlich
  • gemein­sam organisierte Anstren­gungen zum Schutz der natür­lichen Lebensgrundlagen .

G20-„Familienfoto“ in Brisbane – Foto © g20.org 2014-11-15

Endziel ist ein glo­bales Kondo­minium mit Regelwerk. Ist das möglich? Zumindest ist es denkbar, und Ansätze sind schon sich­tbar: G7, G8, G20, ein Steuer-“Kondominium“ von 51 Staaten, und Wirtschaftskondominien wie Freihandelszonen.

Warum keine Gruppen „G200“ zur Lösung bestimmter globaler Probleme? Warum nicht…:

  1. G200_WSLA, eine World Sea Level Alliance, beginnend mit einigen vom Meeres­spiegel Anstieg bedroh­ten Regionen und Kommunen.
  2. G200_WCPA, eine World Clean Prosperity Alliance, beginnend mit Entwick­lungsallian­zen hoch- und gering entwickelter Länder für den schnellen Aufbau  von nachhaltigem Wohlstand durch smarte Technologien und Knzepte, sowie saubere Energien.
  3. G200_GIGA, eine Global Inter-Generation Alliance, beginnend mit zivilgesell­schaftli­chen Grup­pen, denen die Welt ihrer Kinder genau so wichtig ist wie ihr eigenes Wohlergehen.
  4. G200_VWCM, eine Viable World Construction  Movement, beginnend mit Staaten, die Mit­tel wie mindestens 10% ihres Mili­tä­retats für einen gemeinsam organisierten Auf­bau globaler Struktu­ren für eine zivilisierte Menschheit und lebensfähige Welt ver­wenden.
  5. G200_GCA, eine Global Climate Alliance, beginnend mit einigen Willigen, die unverzüg­lich anfan­gen, zwingende Maßnahmen für die 2°C-Grenze anzupacken und andere animieren, sich einzuklinken, anstatt auf die Bremser zu war­ten. Zuviel läuft schon aus dem Ruder, weil die Poli­tik der Nationalstaaten den Welt-Problemen nur hinterher hinkt, statt die Lebensfähigkeit der Menschheit pro-aktiv zu gestalten.

Staaten in so genannten „G“ Gruppen – Karte © https://de.wikipedia.org/wiki/G8, 2014-11-22

Weitere G200 Kristallisationspunkte sind möglich. Eine Archtiektur für deren Zusammenspiel  für eine lebensfähige Welt mit zehn Milliarden Menschen ist mit dem Drei-Säulen-Modell vorgelegt.  Jetzt sind Abstimmung mit schon laufenden Ansätzen, und dann Organisation des globalen Umbaus innerhalb von 32 Jahren dran. Alle erfor­derlichen Maßnahmen und Schritte sind realisierbar, sobald die neue „G200“-Sicht auf Menschheit und Erde beginnt, politisch wirksam zu werden.

Gerhard Knies, promovierter Physiker, arbeitete von 1964 bis 2001 in Hamburg, Genf und Berkeley als Ele­mentarteilchenforscher. Seit dem Tschernobyl-Unfall denkt er über den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen und die Nutzung der erneuerbaren Energien in den Wüsten nach. Enge Zusammenarbeit mit  dem Club of Rome, mit dessen ehemaligen Welt-Präsi­denten Prinz Hassan von Jordanien sowie mit dem jetzigen Ko-Präsidenten Ernst-Ulrich von Weizsäcker. Initiierte und koordinierte von 2003 bis 2007 die internationale NGO „Trans-Mediterranean Renewable Energy Cooperation (TREC)“, welche die Grundlagen des späteren Desertec-Konzepts entwickelte, und die später in die Desertec Foundation überging. 2006 prägte er den Begriff Desertec, der heute weltweit in Gebrauch ist. 2008/09 war er Mitinitiator der Desertec Industrie Ini­tiative Dii GmbH. Jetzt sucht er mit Querdenkern  nach Lösungen für eine Welt mit zehn Milliarden Menschen.

Dieser Artikel ist zum ersten Mal in gekürzter Form in bizzenergy today erschienen.