„Die analoge Revolution“

Wenn Mensch, Natur und Technik verschmelzen

Schwägerl - Die analoge Revolution - TitelChristian Schwägerl beschreibt konkrete Gefahren, wenn die analoge Welt von Mensch und Natur durch die falschen Kräfte kontrolliert wird. Die „digitale Revolution“ hat in jüngster Zeit ihre dunkle Seite gezeigt. Droht eine Zukunft, in der jeder lückenlos von Geheimdiensten, Google und Facebook überwacht wird, in der Maschinen die Natur ersetzen und Online-Konsum die Umweltzerstörung anfacht? Vor allem aber entwickelt Schwägerl in seinem neuen Buch Auswege und eröffnet neue Perspektiven.

Der FAZ-Kritikerin Manuela Lenzen, wird bei dem, was Schwägerl ausmalt, mulmig zu Mute: In „Googlonien“, regiert von einer kleinen Gruppe von IT-Oligarchen, werden von Algorithmen bewertete Menschen gezwungen, ständig Google-Brillen zu tragen, über die sie mit den neuesten Produkten, aber auch Therapieformen gegen Zweifel am System versorgt werden. Lenzen folgt dem Autor zwar,  wenn er zunächst die Fortschritte der IT nachzeichnet, schließlich aber darüber sinniert, was die Transformation für die Natur bedeutet: Sinnvoll genutzt werden könne die Entwicklung, wenn der Mensch beginne, ein tieferes Verständnis von Mensch, Natur und Technik zu erlangen und eine Symbiose zu schaffen – allerdings kommt der Rezensentin hier Buch etwas „esoterisch“ vor. Denn auch eine „tobende Party vibrierender Materie“ ist nicht unbedingt das, was sich die Kritikerin für die Zukunft wünscht. Recht gibt sie ihm am Ende, wenn er sagte: Unser Wirtschaftssystem ziele nicht auf Zufriedenheit, sondern heize Unzufriedenheit an, um den Konsum zu befördern. Und weil wir uns von ein paar elektronischen Gadgets blenden ließen, seiendwir drauf und dran, unsere Demokratie und unsere Zukunft ein paar Konzernen zu überlassen. Der Autor fasst es diplomatisch, so Lenzen: „Was diese für gut und richtig halten, muss nicht das sein, was dem Gemeinwohl dient. In der Tat. Vielleicht brauchen wir wirklich ein neues Selbstverständnis, um nicht schon bald in Googlonien aufzuwachen“.(zit. n. Perlentaucher.de)

Schwägerls Hauptthese: „Die Gefahr ist real, dass sich zentralisierte Machtgebilde mit Hilfe eines kalten Systems künstlicher Intelligenz der gewachsenen, vielfältigen Verbindungen bemächtigen und den Erdbewohnern eine globale, repressive Monokultur aufzwingen, ohne Rücksicht auf katastrophale Folgen, ob nun für die Kultur oder das Weltklima. Doch zugleich besteht die in der Evolutionsgeschichte bisher einmalige Chance, das wachsende Netz der analogen und digitalen Verbindungen in den Dienst von demokratischen, humanistischen und ökologischen Idealen zu stellen.Technologie würde dabei zum Mittel, um menschliches Bewusstsein in die Lebens- und Langzeitzyklen des Erdsystems zu weben. Wissenschaft wäre ein Weg, mit den vitalen materiellen Kräften – vom Atom bis zur Erde als Ganzem – in Kommunikation zu treten. Demokratie wäre eine Plattform, um auch die Interessen anderer Erdbewohner – der Tiere, Pflanzen und geophysikalischen Systeme – in Entscheidungen einfließen zu lassen.“

Johano Strasser in Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte: „In seinem vor vier Jahren erschienenen Buch Menschenzeit entwickelt Christian Schwägerl die großflächige Vision einer Überwindung der ökologischen Krise durch die bionische Wissenschaft und eine von ihr inspirierte Technologie, die mit der Biosphäre verschmilzt und das Erdklima und die Lebensräume gezielt nach den ökologischen Erfordernissen gestaltet. Dass der Mensch mit Hilfe von Wissenschaft und Technik immer tiefer in die – außermenschliche und menschliche – Natur eingreift, so Schwägerl in diesem Buch, sei ein durch nichts aufzuhaltender und daher auch nicht kritikwürdiger Prozess. In diesem Sinn unterstützt er den Vorschlag des holländischen Meteorologen und Nobelpreisträgers für Atmosphärenchemie Paul Crutzen, dem gegenwärtigen Erdzeitalter den Namen ‚Anthropozän‘ zu geben. In Schwägerls soeben erschienenen neuen Buch wird dieselbe Botschaft verkündet, allerdings ist sein Technikoptimsmus ein wenig abgemildert.“

Strasser attestiert Schwägerls Buch etwas herablassend „eine kuriose Mischung aus nüchterner Wissenschaftsprosa und schwärmerischer New-Age-Lyrik, wobei die Letztere allzu offensichtlich die Aufgabe hat, die Widersprüche in seinem Menschenbild zu kaschieren“. Denn er plädiere dafür, Bewusstsein als ein Phänomen anzusehen, das der ganzen Natur, Menschen, Tieren, Pflanzen und Dingen zukomme. Genau das aber sieht Strasser anders. Dennoch: Ein gerade jetzt notwendiges Buch.

Christian Schwägerl, geb. 1968, schreibt als Journalist über wissenschaftliche und ökologische Umbrüche sowie ihre Folgen für Politik und Gesellschaft. Der Biologe hat in seiner Laufbahn für führende Medien (GEO, Berliner Zeitung, FAZ, SPIEGEL) gearbeitet. Für seine Publikationen hat er den „Georg von Holtzbrinck Preis für Wissenschaftsjournalismus“ sowie den „Econsense“-Journalistenpreis der Deutschen Wirtschaft e.V. erhalten. 2010 erschien im Riemann Verlag sein erstes Buch „Menschenzeit“.

Christian Schwägerl: Die analoge Revolution. Wenn Technik lebendig wird und die Natur mit dem Internet verschmilzt.
Riemann, München 2014, 320 S., 22,99 €.

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