Kohleausstieg ist möglich

Fachgespräch von Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen: „Wie lässt sich der Kohleausstieg einleiten?“

Rauchfahne des Kraftwerks Reuter West Berlin (laut UBA 2,9 Mio. Tonnen CO2 pro Jahr) – Foto © Gerhard Hofmann_Agentur Zukunft

Der Einstieg in eine kohlenstoffarme Wirtschaft ist möglich – eine Voraussetzung dazu ist der Ausstieg aus der Kohleverstromung. Greenpeace hat schon 2008 ein Kohleausstiegsgesetz vorgelegt, das bis 2040 den Ausstieg vorsah.

Die Linke brachte im Januar 2013 einen entsprechenden Entwurf in den Bundestag ein. Die Grünen forderten im November 2012 den Kohleausstieg bis 2030. Am 26.05.2014 erörterte ein Fachgespräch die Möglichkeiten eines Kohleausstiegs.

Studie bestätigt rechtliche Möglichkeiten

Ergebnis einer im grünen Auftrag von der Rechtsanwältin Cornelia Ziehm erstellten Studie: eine CO2-Steuer (in Form einer Verbrauchssteuer auf Emissionsrechtezertifikate) stößt ebensowenig auf rechtliche Probleme wie CO2-Emissionsstandards, Mindestwirkungsgrade oder Grenzwerte (spezifische oder Gesamtmengen) – allerdings müsste § 5, Abs. 1 des deutschen Bundes-Immissionsschutz-Gesetzes gestrichen werden; am besten wäre eine Einführung auf europäischer Ebene, damit die Kohleverstromung nicht zu den niedrigsten Standards ausweicht.

Der Weltklimarat IPCC hat mit seinen jüngsten Berichten deutlich gemacht: Die Treibhausgas-Emissionen steigen und der Klimawandel schreitet voran. Auch in Deutschland erleben wir seit zwei Jahren einen Anstieg der CO2-Emissionen. Verantwortlich dafür ist in erster Linie die zunehmende klimaschädliche Kohleverstromung.

Nationaler Kohleausstiegsplan?

Vattenfall-Kraftwerk Berlin-Wilmersdorf – Foto © Gerhard Hofmann_Agentur Zukunft

In einem Interview in der Wochenzeitung „Die Zeit“ vom 24.04.2014 hat der Vorsitzende des Sachverständigenrates für Umweltfragen Prof. Martin Faulstich für einen nationalen Kohleausstiegsplan geworben. Es sieht die Politik in der Pflicht, dafür zu sorgen, „dass wir weniger Kohle für die Stromerzeugung verwenden. Wer das versäumt, vollzieht nur die halbe Energiewende“. Der Sachverständigenrat für Umweltfragen hat sich in zwei Sondergutachten im Jahre 2011 und 2013 kritisch mit der Kohleverstromung als Hindernis für einen Übergang zu einer vollständig erneuerbaren Stromversorgung auseinandergesetzt.

Dringend: Emissionshandel reformieren

Um die Klimaschutzziele erreichen zu können, ist es höchste Zeit, Instrumente und Maßnahmen ins Visier zu nehmen, die ergänzend zum momentan am Boden liegenden Emissionshandel für eine Lenkungswirkung in Richtung CO2-armer Energieerzeugung sorgen. Auch energiewirtschaftlich ist dies geboten. Denn die niedrigen CO2-Preise gefährden mehr und mehr den rentablen Betrieb von Gaskraftwerken. Dabei sind gerade sie es, die aufgrund ihrer geringen CO2-Emissionen und ihrer Flexibilität den Übergang unseres Energieversorgungssystems hin zu 100 Prozent erneuerbaren Energien erleichtern können.

Das Fachgespräch und die Studie

Im Rahmen des Fachgesprächs wurden die rechtlichen Grundlagen für neue Vorgaben für den Betrieb und den Bau von Kohlekraftwerken auf nationaler Ebene erörtert und verschiedene Steuerungsinstrumente hinsichtlich ihrer politischen Umsetzbarkeit diskutiert. Hauptaugenmerk wurde dabei auf den Bereich CO2-Grenzwerte gelegt. Im Rahmen der Kommentierung der im Auftrag der Bundestagsfraktion von Cornelia Ziehm erstellten Studie wurden zudem weitere Ansätze wie ein Kohleausstiegsgesetz erörtert.

Fachgespräch Kohleausstieg, v.l. Dominik Schäuble (IASS), Cornelia Ziehm (Autorin der Studie), Annalena Baerbock (MdB Grüne), Matthias Dümpelmann (8KU), Christiain Hey (SRU), Tobias Münchmeyer (Greenpeace) – Foto © Gerhard Hofmann/Agentur Zukunft

Die Studie in der Zusammenfassung

Trotz oder wegen des (nicht funktionierenden) Emissionshandels ETS) sei die Stromzeugung in den vergangenen Jahren in Deutschland durch den zunehmenden Einsatz von Kohle klimaschädlicher geworden. Das Bundesimmissionsschutzgesetz (BlmSchG) schließe zwar die Festlegung von nationalen CO2-Emissionsstandards und/oder Mindestwirkungsgraden für Kohlekraftwerke aus (weil sie dem ETS unterliegen). Damit gehe das deutsche Recht jedoch über die Anforderungen des europäischen Rechts hinaus. Denn es gebe keinen europarechtlich zwingenden Ausschluss nationaler CO2-Emissionsstandards oder Mindestwirkungsgrade – auch keinen Vorrang des Emissionshandels vor ordnungsrechtlichen Instrumenten.

Diese seien vielmehr europarechtlich zulässig, wenn nicht sogar zur Bekämpfung des Klimawandels geboten. „Ein unwirksames System kann nicht über seine eigene Wirkungslosigkeit hinaus auch noch das Ergreifen wirksamer Maßnahmen verbieten. Die Richtlinie über Industrieemissionen (lE-Richtlinie) stellt dementsprechend in ihren Erwägungsgründen explizit klar, dass die Mitgliedstaaten verstärkte Schutzmaßnahmen im Hinblick auf Treibhausgasemissionen ergreifen können.“ Die Emissionshandels-Richtlinie verweise auch auf die Möglichkeit zusätzlicher nationaler Maßnahmen.

Die Möglichkeiten

CO2-Emissionsstandards könnten national festgelegt werden in Form

  • spezifischer CO2-Grenzwerte pro erzeugter Strommenge (g/kW) oder
  • absolut durch Festsetzung einer zulässigen CO2-Gesamtmenge pro Jahr, das heißt als maximale CO2-Jahresfracht pro MW Kapazität.

Die zweite Möglichkeit gilt seit vergangenen Dezember in Großbritannien – unwidersprochen von der EU-Kommission.

Wie?

CO2-Emissionsstandards und Mindestwirkungsgrade könnten über nachträgliche Anordnungen auch gegenüber Bestandsanlagen durchgesetzt werden, „selbst dann, wenn die Festsetzung eines spezifischen CO2-Grenzwertes oder eines Mindestwirkungsgrades im Rahmen einer nachträglichen Anordnung faktisch einem Entzug der Betriebsgenehmigung für ein Kohlekraftwerk gleichkäme“. Die Erwägungen im Zusammenhang mit den Atomausstiegen von 2002 und 2011 gelten entsprechend. Für noch nicht abgeschriebene Bestandsanlagen wären angemessene Übergangsfristen und gegebenenfalls Entschädigungen vorzusehen.

Für die nachträgliche Durchsetzung energiewirtschaftsrechtlicher Anforderungen bei Bestandsanlagen brauche es eine Eingriffsermächtigung. Die Verordnungsermächtigung im Energiewirtschaftsgesetz (EnWG) wäre deshalb zunächst auf bestehende Anlagen zu erweitern. Sodannmüsste das Bundeswirtschaftsministerium auf dieser Grundlage eine Verordnung auch mit Nachrüstanforderungen im Hinblick auf die Flexibilität von Energieanlagen erlassen.

Genauso wie in schon existierenden Verordnungen auf Basis des EnWG verhältnismäßige Nachrüstanforderunqen gegenüber den Betreibern Erneuerbarer­ Energien-Anlagen zulässig waren, wären sie es selbstverständlich auch gegenüber den Betreibern fossiler Kraftwerke.

Im Rahmen der den Mitgliedstaaten zustehenden Steuerhoheit kann ein Mitgliedstaat in seinem Hoheitsgebiet flankierend zum Emissionshandel fiskalische Maßnahmen ergreifen. Die Emissionshandels-Richtlinie sieht im Gegenteil in ihren Erwägungsgründen ausdrücklich die Möglichkeit einer Kombination des Emissionshandels mit anderen, gerade auch steuerpolitischen, Instrumenten vor. Auf mitgliedstaatlicher Ebene kann mithin ein CO2-Mindestpreis festgesetzt werden. Von dieser Möglichkeit hat Großbritannien ebenfalls Gebrauch gemacht. Seit April 2013 wird dort pro emittierter Tonne CO2 einen Zuschlag auf den CO2-Zertifikatepreis erhoben.

Deutschland: CO2-Steuer für Kraftwerke finanzverfassungsrechtlich zunächst unwahrscheinlich – Finanzverfassungsänderung nötig

Die Aurorin Cornelia Ziehm – Foto © Gerhard Hofmann, Agentur Zukunft

In Deutschland dürfte allerdings eine CO2-Steuer, die an den CO2-Ausstoß von Kraftwerken anknüpft, aufgrund der mehrheitlichen Verneinung eines Steuererfindungsrechts finanzverfassungsrechtlich ausscheiden, so das Gutachten. „Danach sind nämlich nur diejenigen Steuertypen zulässig, die in Art. 106 GG aufgezählt sind. Eine CO2-Steuer ließe sich aber kaum als Verbrauchssteuer im Sinne von Art. 106 GG qualifizieren. Die anderen Steuertypen kommen von vornherein nicht in Betracht. Das wiederum bedeutet, eine CO2-Steuer müsste erst durch eine Finanzverfassngsänderung als neuartiger Steuertypus eingeführt werden.“

Es könnte aber an die Emissionsrechtezertifikate angeknüpft werden: „Ein CO2-Mindestpreis würde durch eine Steuer auf Emissionsrechtezertifikate umgesetzt werden, die bei niedrigen CO2-Preisen die Differenz zwischen dem Börsenpreis und dem Mindestpreis ausgliche“. Dem Emissionshandelssystem sei immanent, dass Zertifikate gekauft und in Anspruch genommen und somit „verbraucht“ würden. „Damit dürften die an eine Verbrauchssteuer zu stellenden Voraussetzungen gegeben sein. Ein nationaler CO2– Mindestpreis könnte demnach auf Grundlage von Art. 106 Abs. 1 Nr. 2 GG eingeführt und durch ein Gesetz des Deutschen Bundestages beschlossen werden“.
->Quelle: gruene-bundestag.de; Studie „Wie lässt sich der Kohleausstieg einleiten (Druckausgabe); greenpeace.de