Neue TTIP-Runde – Kritik wächst

Misstrauen und Widerstand – Fernseh-Hinweis auf „Die Story“
„TTIP-Investorenschutz ist Fehlentwicklung und bedarf der Korrektur“

Aktenordner mit Beschriftung TTIP und Investorenschutz

EU und USA haben am 19.10.2015 eine erneute TTIP-Verhandlungen aufgenommen. Nach mehr als zwei Jahren steht die elfte Verhandlungsrunde in Miami im Zeichen vieler Meinungsverschiedenheiten, gegenseitigen Misstrauens und öffentlichen Widerstandes. Eine Sendung der ARD hat sehr gut recherchiert – wer „die Story“ gesehen hat, versteht die Skepsis gegenüber Schiedgerichten.

Nach jahrelangen Verhandlungen hatten sich die Amerikaner erst kürzlich mit Japan, Kanada und neun anderen Ländern auf ein Freihandelsabkommen für den pazifischen Raum geeinigt. Beide Abkommen zielen auf eine breite Senkung der tarifären und nicht-tarifären Handelshemmnisse – ein vergleichsweise kleines Problem zwischen den USA und Europa: die Handelssteuern sind bereits sehr niedrig.

Doch die Ziele für ein Abkommen gehen darüber hinaus – und hier liegt das Problem. Washington will die Regeln für Handel und Investitionen des 21. Jahrhunderts schaffen. Der Fokus soll auf dem digitalen Handel, Fragen zum geistigen Eigentum und der Harmonisierung der Regulierungen für das weltweite Geschäft liegen. TTIP würde zwei riesige Wirtschaftsräume mit 850 Millionen Einwohnern miteinander verknüpfen – mit zusammen rund der Hälfte der globalen Produktionsleistung.

Anti-TTIP-Demo, Berlin – Foto © Gerhard Hofmann, Agentur Zukunft

Inzwischen hat die Anti-TTIP-Bewegung drei Millionen Unterschriften gesammelt, und der Widerstand schwächt sich keineswegs ab. Am 10.10.2015 demonstrierten in Berlin 250.000 Menschen gegen TTIP – weit mehr, als selbst die Organisatoren erwartet hatten. Auch wenn der Unionspolitiker Pfeiffer die Demonstranten kürzlich als „einfach strukturiert und leicht zu verängstigen” diffamierte: Die Bedenken der Politiker wachsen, vor allem wegen der mangelnden Transparenz der Verhandlungen und im Hinblick auf die zunahmende Zahl kritischer Wähler. „Es muss erhebliche Veränderungen an der allgemeinen Denkweise, in Bezug auf Vertrauen, Gegenseitigkeit und den Zugang zu Dokumenten geben“, sagte der französische Staatssekretär für den Außenhandel Matthias Fekl Anfang Oktober. Ansonsten könnte es „schlicht und einfach“ einen Verhandlungsstopp geben.

Die Gegner kritisieren besonders die Aufnahme des Mechanismus zum Investor-Staat-Streitschlichtungsverfahren (ISDS) in TTIP. Damit könnten Investoren Staaten vor einem transnationalen Tribunal sogar wegen erwarteter, zu entgehen drohender Gewinne gerichtlich belangen, dem sich die vertragschließenden Parteien zuvor bedingungslos unterwerfen. Dadurch haben sie Kritikern zufolge mehr Macht über Politik und lokale Gesetzgebung und damit mehr Rechte als die Bürger des betreffenden Landes. Ein ISDS-Mechanismus, wie er ursprünglich für rechtsunsichere Staaten eingeführt worden war, ist völlig unnötig – die normalen Rechtswege reichen völlig aus. „In Anbetracht der fortschrittlichen Rechtssysteme in den USA und der EU, ist ISDS ein ungerechtfertigtes Risiko für die inländische Politikgestaltung auf lokaler, bundestaatlicher und Bundesebene“, so der US-Gewerkschaftsverband AFL-CIO.

Die Story: „Konzerne klagen – Wir zahlen: Wie Schiedsgerichte den Rechtsstaat aushebeln“

Eindrucksvoll dargestellt hat dieses Problem die hervorragend recherchierte ARD-Sendung von Michael Wech „Die Story – Konzerne klagen – Wir zahlen: Wie Schiedsgerichte den Rechtsstaat aushebeln“ am Montag, 19.10.2015 um 23 Uhr. Aus dem Ankündigungstext: „Im Namen des Volkes urteilen sie nicht. Im Gegenteil: Sie tagen hinter verschlossenen Türen. Sie verurteilen Staaten zu Strafen in Milliardenhöhe. Konzerne verklagen mit ihrer Hilfe Regierungen, wenn sie ihre Geschäfte bedroht sehen. Und zahlen – müssen wir. Schiedsgerichte gelten vielen als große Bedrohung in den geplanten Freihandelsabkommen TTIP und CETA – den Verträgen der EU mit den USA und Kanada. Zu Recht? Noch sind die Abkommen nicht unterzeichnet. Doch Schiedsgerichtsverfahren sind bereits heute weltweit in tausenden Verträgen verbindlich verankert. Und kein anderes Land hat in so vielen Verträgen private Schiedsgerichte zugelassen wie Deutschland. Mit welchen Folgen? Autor Michael Wech geht in dieser Dokumentation konkreten Fällen nach und stellt fest: Von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt ist rund um die Schiedsgerichtsverfahren eine boomende, private Justizindustrie entstanden. Schiedsgerichte sind längst zu einem Geschäftsmodell geworden. Bei dem die Konzerne die Gewinner sind – und souveräne Staaten und deren Bürger die Verlierer.“

Weitere Sendetermine waren: 22.10.,20:15–21:00, 24.10.,14:15–15:00, 31.10.,09:15–10:00 – alle auf tagesschau24.

Cecilia Malmström - Foto © Gerhard Hofmann, Agentur Zukunft

Cecilia Malmström – Foto © Gerhard Hofmann, Agentur Zukunft

Die EU-Kommission hat inzwischen offenbar auf den öffentlichen ISDS-Aufschrei reagiert. Denn das allgemeine Misstrauen sei eine Barriere für den Abschluss eines Abkommens, so EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström Anfang August. Die EU-Seite schlägt deshalb als Alternative ein Investitionsgericht vor, das solche Klagen ausländischer Investoren verhandeln soll. Malmström gegenüber AFP: „Im Moment sind die Verhandlungen in der Europäischen Union sehr schwer zu verkaufen, weil sie nicht Konkretes eingebracht haben“. Und: „Wir werden alles auf den Tisch legen, sehen, wo wir stehen und wie wir vorankommen“, so Malmström.

Die Gespräche in Miami werden daher den ISDS-Mechanismus nicht behandeln. Vielmehr geht es in der elften Verhandlungsrunde um Standards der öffentlichen Auftragsvergabe, die lokale Unternehmen bevorzugen. Die Öffnung ihrer Verträge für ausländische Wettbewerber ist den US-Bundesstaaten ein Dorn im Auge. „Die Auftragsvergabe auf bundesstaatlicher Ebene in den USA ist sehr wichtig für uns“, erklärte ein Kommissionsbeamter in der vergangenen Woche.

Erst in den letzten Verhandlungsrunden wird es um landwirtschaftliche Fragen gehen – ein weiteres extrem umstrittenes Thema. Denn die EU hat erhebliche Barrieren für US-Produkte und steht einer Senkung seiner Standards ablehnend gegenüber.

„Der TTIP-Investorenschutz ist eine Fehlentwicklung und bedarf der Korrektur, nicht der weiteren Vertiefung“

„Schiedsgerichte dürfen nationale Verfahren nicht ersetzen“, schreibt der Wissenschaftler Mattias Kumm, Experte für Internationales Recht und Leiter des Center for Global Constitutionalism am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung im Berliner Tagesspiegel. Nicht jede Ermächtigung von individuellen Personen auf der internationalen Ebene und nicht jede Form der Juridifizierung internationaler Beziehungen verdiene es, als Fortschritt angepriesen zu werden.“ Es ist wichtig die progressive Konstitutionalisierung des internationalen Rechts von der rechtlichen Zementierung der Herrschaft des Kapitals kritisch unterscheiden zu können. Der in der der Energiecharta schon festgeschriebene, in CETA vorgesehene und für TTIP zur Diskussion stehende ISDS Investorenschutz ist eine konstitutionell nicht zu rechtfertigende Fehlentwicklung und bedarf der Korrektur, nicht der weiteren Vertiefung.“

Es sei „unangemessen und mit rechtsstaatlichen Grundsätzen kaum zu vereinbaren, dass ausländischen Investoren als privaten Akteuren allgemein das Recht eingeräumt wird, in einem quasi-verfassungsrechtlichen Verfahren gegen den Staat einen Richter zu benennen“. Solche Gerichte müssten von öffentlich bestellten Richtern besetzt sein. Jede strukturelle Stärkung privater Interessen durch das Privileg als Partei selbst einen Richter ernennen zu können, führe zu „einer strukturellen Verzerrung des Verfahrens“. Kumm schlägt daher vor, die EU und die USA könnten sich „einigen, die Investitionsschutzregeln einem unabhängigen und unparteiischen Gericht mit öffentlich bestellten Richtern vorzulegen und bestimmen, dass Klagen von Investoren nur nach Erschöpfung des nationalen Rechtsweges zulässig ist.“ Kumm sieht „erste Anzeichen dafür, dass die zuständige Kommissarin Cecilia Maelstroem eine Entwicklung in diese Richtung begünstigen würde“. Aus den USA ist allerdings zu hören, dass die Abneigung gegen internationale Gerichtshöfe nach wie vor sehr stark ist.

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