„Wenn wir den Weg nicht finden, müssen wir ihn machen“

„Agendakongress“ des Forschungsforums Energiewende

180 Hochschulen und 120 außeruniversitäre Institute forschen in Deutschland an Energiethemen. Wie sollte die Energieforschung in den kommenden Jahrzehnten ausgerichtet werden? Welche sind die drängendsten Fragen an die Wissenschaft und wo kann sie neue Perspektiven eröffnen? Darüber diskutierten am 14.10.2014 rund 300 Vertreter aus Wissenschaft, Wirtschaft, Zivilgesellschaft und Politik beim Agendakongress des Forschungsforums Energiewende in Berlin.

Zuhörer beim Agendakongress – Foto © Gerhard Hofmann, Agentur Zukunft

Die Veranstaltung war Teil eines breitangelegten gesellschaftlichen Dialogs im Forschungsforum Energiewende – die Bundesregierung hat unter Federführung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) einen Agendaprozess initiiert, um zentrale Forschungsthemen der Energiewende zu erarbeiten.

Wanka: „Damit das Fahrrad nicht überall parallel erfunden wird“ – fünf Großforschungsbereiche

„Die deutsche Forschung muss sich mit ihrer exzellenten Expertise in die Ausgestaltung der Energiewende mit ganzer Kraft einbringen“, so Bundesforschungsministerin Johanna Wanka in ihrer Eröffnungsrede. Ihr Motto nahm sie von Hannibal – der soll gesagt haben: „Wenn wir den Weg nicht finden, müssen wir ihn machen.“ Die Energiewende sei keine rein technische Veranstaltung. “Die Identifizierung langfristiger Forschungsthemen, die für die Energiewende von Bedeutung sind, ist aber nicht nur Aufgabe der Wissenschaft. Ich freue mich, dass sich mit dem heutigen Agendakongress auch Wirtschaft, Bürgergesellschaft und die Fachpolitik aus Bund und Ländern in den Prozess einbringen.“ Viele verschiedene Wissenschaften müssten mitmachen, alle gesellschaftlichen Bereiche einbezogen werden, vor allem der sozial- und gesellschaftspolitische Kontext sei wichtig. Ziel sei: „Wie können wir die Stellung Europas mit 25 Prozent der weltweiten wissenschaftlichen Wertschöpfung von nur 7,5 Prozent Bevölkerung erhalten?“ Wanka mahnte abschließend „Ehrlichkeit“ an: „Es können nicht alle Gewinner der Energiewende sein!“

Johanna Wanka, Klaus Töpfer und Hildegard Müller – Foto © Gerhard Hofmann, Agentur Zukunft

Müller (BDEW): „Deutschland weltweites Test- und Entwicklungslabor für exportorientierte Energieindustrie“

Für Hildegard Müller, Vorsitzende der Hauptgeschäftsführung des Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) ist die enge Verknüpfung von Forschung, Politik und Wirtschaft eine zentrale Voraussetzung für erfolgreiche Forschungsprojekte der Zukunft. Der Kongress zeige, wie fruchtbar eine solche Zusammenarbeit für das Gelingen der Energiewende sein könne: „Die Kopernikus-Großprojekte stellen die zentralen Herausforderungen der künftigen Technologieentwicklung dar.“ Die deutsche Energiewirtschaft sei bereit, ihren Beitrag in diesem Prozess zu leisten: „Dazu muss sie aber auch in der Lage sein. Ein ausuferndes regulatorisches Umfeld oder eine sich massiv verschlechternde wirtschaftliche Lage der Energieversorger wird zum Scheitern aller Pläne und Absichten führen.“

Ein ebenso kritischer Faktor sei zudem die gesellschaftliche Akzeptanz. Keine neue Technologie könne ohne die Zustimmung der Menschen erfolgreich sein. Alle müssten gemeinsam für diese Zustimmung werben – die Wissenschaft, die Akteure aus Politik und Gesellschaft und die Wirtschaft: „Hier müssen wir insbesondere den Nutzen und die Notwendigkeit der Technologieoffenheit vermitteln.“

Am Herzen lag Müller vor allem, dass „die politischen wie marktlichen Rahmenbedingungen passen“, hier „liegt noch einiges im Argen. Denn das EEG allein entfaltet keine Innovationswirkung“. Denn Innovationen nützten wenig, wenn zum Beispiel modernste Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen „durch die einseitige Privilegierung der Erneuerbaren immer kürzer am Netz laufen und große wirtschaftliche Probleme“ hätten. Laut Müller „brauchen wir natürlich weiter konventionelle Energien für die Versorgungssicherheit.“

Mit einem Seitenhieb auf den bayerischen Ministerpräsidenten fragte sie, ohne Seehofer zu nennen: „Wie sinnvoll sind smarte Netztechnologien, wenn Investitionen in neue Netze durch eine mangelhafte Anreizregulierung verunmöglicht und Netzentwicklungspläne durch wankelmütige Ministerpräsidenten einfach vom Tisch gefegt werden?“

Pro Kapazitätsmarkt

Die BDEW-Hauptgeschäftsführerin sprach sich erneut für die Einführung von Kapazitätsmärkten aus: „Um die Energiewende zu meistern, brauchen wir ein aktualisiertes Marktdesign sowie eine zeitgemäße Anreizregulierung für unsere Netze. Erst wenn wir durch einen einzuführenden Kapazitätsmarkt dafür gesorgt haben, dass der sukzessive Umstieg auf alternative Energien durch eine auch zukünftig tragfähige Finanzierung der systemrelevanten konventionellen Kraftwerke abgesichert ist, können wir uns in Ruhe gemeinsam dem weiteren Fortschritt der Energiewende widmen.“ Denn wenn die Versorgungssicherheit des Industriestandortes Deutschland in Folge von Kraftwerksstillegungen und Stromausfällen scheitere, „scheitert die gesamte Energiewende durch einen Verlust an Vertrauen und Verlässlichkeit.“

Müller stellte die Entscheidung ihres (1800 Mitgliederfirmen umfassenden) Verbandes pro Erneuerbare heraus, daraus folge „der Umbau der gesamten Geschäfts- und Technologiegrundlage der Energiebranche“. Dabei müsse der BDEW aber „kontinuierlich darauf achten und dafür kämpfen, dass unser Anrecht auf Planungssicherheit für unsere Investitionen gewahrt bleibt.“ Wenn die Erneuerbaren Energien in Zukunft den Großteil der Stromversorgung ausmachten, müssten sie aber auch am Markt wettbewerbsfähig werden, müssten sie Verantwortung für die Versorgungssicherheit des Gesamtsystems übernehmen, und: Preise und Prämien für Ökostrom dürften sich „nicht länger an den Renditeerwartungen der Anlagenbetreiber orientieren, sondern müssen sich nach dem tatsächlichen Bedarf und dem Grundsatz von Angebot und Nachfrage richten.“ Als Beispiel dafür nannte sie das Auktionsmodell.

„Immer mehr Ziele und immer weniger Überblick“

Müller forderte überprüfbare Leitlinien und Meilensteine für die Energiewende. Im Sinne eines Projekt-Controllings könnten so Aufwand, Mittel und Ertrag kontrolliert werden. Überfällig sei zudem „die intensivierte Debatte über Erreichbarkeit und konsequente Priorisierung der energiepolitischen Ziele“. Es gebe nämlich „immer mehr Ziele und immer weniger Überblick.“ Belastbare wissenschaftliche Zahlen würden hier dabei helfen, uns auf den relevanten Kern der Energiewende zu konzentrieren. Sie warnte allerdings vor Unbedachtsamkeit: „Mit Blick auf die Netze und unser Marktdesign müssen wir aufpassen, dass wir beim Versuch, unser System zu ändern, es nicht vor lauter Übereifer zu Grunde richten“ – und sie verlangte „koordiniertes Vorgehen von Wissenschaft und Wirtschaft“, „gesamtsystembezogenes Denken und das Anleiten zu integrationsfreundlichen Ergebnissen“, schließlich ein „ganzheitliches System-Update“.

Schütte: „Wer einen Elefanten essen will, muss ihn in viele kleine Scheiben schneiden“

StS Georg Schütte – Foto © Gerhard Hofmann, Agentur Zukunft

Damit leitete Forschungs-Staatssekretär Georg Schütte die Workshops und Podiumsdiskussionen ein: Die Energiewende sei zwar ein Projekt von der Größenordnung der Mondlandung, aber man müsse sie anders anlegen. Im Zusammenhang mit den Fragen der Governance sagte er: „Vormals brauchten viele Projekte eine Umweltverträglichkeitsprüfung – ich will eine Demokratieverträglichkeitsprüfung vorschlagen. Daher müssen wir viele Interessen zu Wort kommen lassen.“ Er kündigte für den 17.12.2014 eine Plenarsitzung des Forschungsforums Energiewende an, bei der die Ergebnisse der Agendakonferenz und spätere Anmerkungen reflektiert und diskutiert würden – „auch die gesellschaftlich relevanten Themen“.

Nach den einführenden Reden aus Politik und Wirtschaft fragten sich die Kongress-Teilnehmer, wo der angekündigte Wirtschafts- und Energieminister bleibe – aus der Tagesordnung war er ersatzlos verschwunden. Er habe im letzten Moment abgesagt, hörte man auf Nachfrage.  Denn gerade die beiden Ministerien für Forschung und Energie müssten beim Thema Energiewende Hand in Hand vorweg gehen. Tun sie aber allzu offensichtlich nicht. Schade.

1. Podiumsdiskussion: „Kernthemen der strategischen Forschungsagenda Energiewende“

Podiumsdiskussion – Foto © Gerhard Hofmann, Agentur Zukunft

Das Forschungsforum Energiewende erarbeitet bis Ende des Jahres in einem breit angelegten Stakeholder-Dialog eine Strategische Forschungsagenda Energiewende. Darin werden Forschungsthemen identifiziert, die mittel- bis langfristig für die Energiewende von zentraler Bedeutung sind und bereits heute mit hoher Priorität angegangen werden müssen. Diese Strategische Forschungsagenda bezieht Praxiswissen aller Akteure der Energiewende ein. Im Forschungsforum Energiewende sowie in Workshops mit Vertretern der organisierten Zivilgesellschaft, der Wirtschaft und der Bundesländer wurden Strukturen für die Strategische Forschungsagenda entworfen und in einem iterativen Prozess ihre Kernthemen herausgearbeitet. Welche dieser Themen sind für den Umbau der Energieversorgung von zentraler Bedeutung? Gibt es weitere? Welche Themen sollten vorrangig angegangen werden? Über diese und weitere Fragen diskutierten die Gäste auf dem ersten von Inge Paulini, Generalsekretärin des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen, moderierten Podium.

  • Dr. Udo Niehage (Siemens AG, Unternehmensbeauftragter für die Energiewende; Vorsitzender des BDI-Unterausschusses „Energieforschung und Energietechnologien“)
  • Prof. Dr. Robert Schlögl (Direktor des Fritz-Haber-Instituts sowie des Instituts für chemische Energiekonversion der Max-Planck-Gesellschaft, Vorsitzender des Steuerkreises des Akademienprojekts „Energiesysteme der Zukunft“)
  • Prof. Dr. Klaus Töpfer (Institute for Advanced Sustainability Studies, Exekutivdirektor)
    Moderation:
  • Dr. Inge Paulini (Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen, Generalsekretärin)
  • Dr. Franz-Georg Rips (Deutscher Mieterbund, Präsident)
  • Prof. Dr. Manfred Fischedick (Wuppertal-Institut, Vizepräsident)

Schlögl: „Energiewende ist Gemeinschaftsaufgabe

Der Initiator des Forschungsforums Energiewende und des Akademienprojekts „Energiesysteme der Zukunft“, Prof. Robert Schlögl, erläuterte in der ersten Podiumsdiskussion Ziel und Zweck der Initiativen: „Die Energiewende ist eine Gemeinschaftsaufgabe. Nun ist es nicht einfach, die Wissenschaft mit einer Stimme sprechen zu lassen: Aber wir brauchen dazu die Rechts- und Sozialwissenschaften, die Geisteswissenschaften, ebenso wie die technischen Wissenschaften, natürlich die Naturwissenschaften aller Schattierungen.“

Robert Schlögl beim Agendakongress – Foto © Gerhard Hofmann, Agentur Zukunft

Das Energiesystem habe viele Verknüpfungen – werde eine verändert, so reagierten alle. Alle Eingriffe hätten „Nebenwirkungen wie Pharmazeutika“, diese erforderten wiederum Reaktionen, was schlussendlich mit Herrschaftsverlust über das Gesamtsystem einhergehen könne. „Kaum jemand von uns versteht das Energiesystem in seiner Gesamtheit wirklich – daher kommt aus der Politik immer wieder die Feststellung: ‚Den Masterplan gibt es nicht‘! Den Masterplan, den man nur sauber abarbeiten muss, bis die Energiewende fertig ist.“

Das Energiesystem sei ein gleichzeitig flexibles und dynamisches System – daher gebe es in den acht Arbeitskreisen des Forschungsforums viele Schnittstellen. Schließlich betonte Schlögl, es sei entscheidend, dass die Wissenschaften in diesem Prozess keine Empfehlungen formulierten, sondern lediglich Handlungsoptionen gäben, mit jeweils unterschiedlichen Konsequenzen. Nach den Forschungsdesideraten werde die strategische Ausrichtung des Forschungsforums vorgenommen. Aber bei allen Projekten werde von Beginn an auf Akzeptanz geachtet, würden Wirtschaft und Gesellschaft einbezogen.

Niehage: „Längerfristig denken!

Udo Niehage, Energiewende-Beauftragter von Siemens, fragte nach den Grundlagen, die auf dem „Weg zur Marktreife“ bearbeitet werden müssten: „Wir müssen dabei längerfristig denken!“ Und: wir müssten auch ein zwischenzeitliches Scheitern tolerieren – auch Misserfolge brächten uns weiter.

Fischedick: „Energiewende kein Selbstgänger!“

Prof. Manfred Fischedick, Vizepräsident des Wuppertal-Instituts, forderte: „Die Wissenschaft muss stärker proaktiv Teil des Transformationsprozesses werden.“ Die Energiewende sei „kein Selbstgänger, nicht umsonst sei seit Kyoto der CO2-Ausstoß gestiegen. Er formulierte eine ganze Reihe von Herausforderungen:

  • die Investitions-Herausforderung
  • die Infrastruktur-Herausforderung
  • die Ressourcen-Herausforderung
  • die Stakeholder-Herausforderung
  • die gesellschaftliche Herausforerung (Teilhabe-Aspekte)
  • die Politik-Herausforderung

Klaus Töpfer – Foto © Gerhard Hofmann, Agentur Zukunft

Wie könne man in einem integrativen Gesamtansatz die unterschiedlichen Ebenen verbinden? Dazu müsse die Energieforschung adäquate Antworten sammeln. „Wir müssen nach Transformationswissen suchen, dabei treiben uns Krisen und Knappheit, auch rückläufige Geschäftsmodelle, in Richtung auf neue Zielsetzungen und Zusatznutzen, wenn die technischen Möglichkeiten bestehen, sie in den sozialen, institutionellen und kulturellen Kontext einzubetten.

Töpfer: Kreativität entsteht aus dem Dagegen – nicht aus dem Dafür

Klaus Töpfer, Exekutiv-Direktor des Mitveranstalters IASS-Potsdam, fragte: „Wie muss sich die gesellschaftliche Realität weiterentwickeln, damit relevante wissenschaftliche Erkenntnisse umgesetzt werden können? Warum sind seit Kyoto die CO2-Emissionen weiter gestiegen?“ Und bei allem dürften wir nicht am Ende fragen: „Wie kriege ich jetzt eine Akzeptanz für mein Ergebnis, sondern umgekehrt.“

2. Podiumsdiskussion: „Governance-Strukturen für die Energiewendeforschung“

Um die Transformation des Energiesystems als Gemeinschaftsprojekt umzusetzen, werden transdisziplinäre Forschungsansätze und Governance-Strukturen benötigt. Das BMBF fördert bereits zahlreiche Programme und Projekte, die diesen Anspruch umsetzen. Im Rahmen des Forschungsforums Energiewende haben wissenschaftliche und nicht-wissenschaftliche Akteure gemeinsam Vorschläge entwickelt, wie transparente und effiziente Kooperationsstrukturen in der Forschungslandschaft für die Umsetzung der Energiewende weiter ausgebaut werden können. Die Ergebnisse dieser Stakeholder-Dialoge wurden auf dem von Maja Göpel (Wuppertal-Institut) moderierten Podium vorgestellt und diskutiert.

Karl Eugen Huthmacher vom BMBF äußerte dabei Verständnis für das teils angespannte Verhältnis der Ministerien in Sachen Energiewende, es gebe halt eine Menge Einzelreferate, deren Zuordnung wiederholt gewechselt habe. Allerdings mache das BMBF keine Energiepolitik, man treffe keine Entscheidungen, mache lediglich Vorschläge. Allerdings gehe es nicht nur um die Diskussion innerhalb der Bundesregierung, sondern um die Koordinierung der bereits genannten 180 Universitäten und 120 Institute, um die „Unterstützung der Energiewende durch die Wissenschaft.“

Steffi Ober, Leiterin der Zivilgesellschaftlichen Plattform Forschungswende, beklagte die fehlende Einbeziehung der Netzwerke, welche die Energiewende aus Bürgerhand betrieben; sie kritisierte, dass zwar über „Mittel, nicht aber über Bewertungskriterien“ diskutiert werde: „Wer bewertet nach welchen Kriterien Sinn und Zweck?“

Hermann Falk, Geschäftsführer des Bundesverbandes Erneuerbare Energie, vermisste die „Wärmewende“ in den Kopernikus-Projekten, dort seien große CO2-Potenziale zu heben und Klimaschutz-Maßnahmen möglich. Falk hofft auf Bereinigung des Konflikts BMWi-BMBF.
Die bereits definierten Themenbereiche (Kopernikus-Projekte) und Querschnittsprojekte – Auszüge aus dem Strategiepapier Strategische Forschungsagenda Energiewende:

  • Im Kopernikus-Projekt „Neue Netzstrukturen“ sollen Wissenschaft und Forschung Lösungsansätze für Fragen entwickeln wie: Unter welchen Bedingungen können dezentrale, quasiautonome Netze die Herausforderungen von morgen bewältigen? Wie können hybride und multimodale Strukturen aussehen, welche die Stromnetze mit Gas, Wärme oder Wasserstoff verknüpfen? Begleitend zu den technischen Fragen werden beispielsweise die Beteiligung der Prosumer sowie die Entwicklung entsprechender Marktmodelle bzw. eines ordnungspolitischen Rahmens in den Blick genommen.
  • Ausgangspunkt des Kopernikus-Projekts „Flexiblere Nutzung erneuerbarer Energien: Power-to-X“ ist die Frage nach wirtschaftlichen Nutzungs- bzw. Speicherkonzepten für Überschussmengen von Strom aus fluktuierenden erneuerbaren Energiequellen. Der Schwerpunkt liegt auf der Erforschung und Weiterentwicklung von Verfahren zur Umwandlung von Strom in Energieträger, gasförmige Substanzen wie Wasserstoff oder Methan (Power-to-Gas) oder in flüssige Substanzen wie Kraftstoffe (Power-to-Liquid) für den Verkehr.
  • Das Projekt „Stoffkreisläufe für die Energiewende“ fokussiert den Bedarf an mineralischen Rohstoffen (z. B. Metalle und Halbleiter) für das Energiesystem. In diesem Projekt sollen u. a. Konzepte und Technologien für ein systematisches Recycling strategisch wichtiger Rohstoffe entwickelt werden, die für den Ausbau der Energieinfrastruktur (Stromnetze, erneuerbare Energieerzeugungstechnologien, Batterien etc.) benötigt werden. Dabei geht es sowohl um neue Ansätze für Produkt-Designs und Fertigungstechnologien als auch um ganzheitliche und transparente Konzepte für Stoffkreisläufe (life cycles).
  • Das Kopernikus-Projekt „Ausrichtung von Industrieprozessen auf fluktuierende Energieversorgung“ widmet sich der Frage, wie energieintensive Industrieprozesse an das zukünftige Energiesystem angepasst werden können. Ziel ist es, effiziente Technologien für industrielle Schlüsselprozesse zu entwickeln und anhand von Demonstrationsanlagen zu erproben. Dabei geht es auch um die Übertragung von Strukturen aus der Informations- und Kommunikationstechnik im Rahmen der Digitalisierung von Industrie- und Arbeitsprozessen.

Querschnittsprojekte

Im Dialog des Forschungsforums mit den oben genannten Stakeholdern haben sich fünf Querschnittsprojekte sukzessive verdichtet, die unterschiedliche Facetten des durch die Energiewende initiierten Strukturwandels erfassen, der die Gesellschaft vor neue Chancen aber auch Herausforderungen stellt. Innerhalb der oben skizzierten Matrix lassen sich Projekte in die Querschnittsfelder Systemarchitektur, Energieeffizienz sowie Transformation, Kommunikation und Beteiligung einordnen.

  • Das Querschnittsprojekt „Energiewendebedingter Strukturwandel“ soll die Voraussetzungen erforschen, unter denen unterschiedliche Bevölkerungsgruppen, Branchen und Regionen auf den Transformationsprozess der Energiewende reagieren. In diesem Kontext gilt es beispielsweise zu klären, welche Regionen in welchen Bereichen zukunftsfähig sind und wie sich Wertschöpfungsstrukturen verändern. Ferner gilt es systematisch zu untersuchen, wie Transformationserfahrungen aus der Vergangenheit auf heutige Prozesse übertragen werden können.
  • Um die aktive Unterstützung der Bevölkerung im Strukturwandel geht es im Querschnittsprojekt „Gesellschaftliche Partizipation“. Was macht die Akzeptabilität von Energiewendeprojekten und infrastrukturellen Maßnahmen aus und wie kann diese verbessert werden? Das Projekt entwickelt Modelle der Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern im Kontext der Energiewende und untersucht die Übertragbarkeit von Partizipationsformen aus dem europäischen und außereuropäischen Ausland.
  • Der Blick des Querschnittsprojekts Finanzierungsmodelle für die Transformation“ ist auf die notwendigen Investitionen in den Bereichen Energieinfrastruktur und Energieeffizienzmaßnahmen gerichtet: Wie entstehen neue Akteure im Markt, wie wandeln sich Geschäftsmodelle bzw. bilden sich neue Modelle heraus (Stichwort: Crowdfunding)? Ferner ist hier die Entwicklung neuer und innovativer Finanzierungsmodelle für die anwendungsorientierte Forschung Gegenstand der Untersuchung.
  • Im Querschnittsprojekt Nutzerverhalten im Rahmen der Energiewende“ geht es um den effizienteren Umgang mit Energie sowie um Maßnahmen zur Energieeinsparung. Neben dem Wärmebereich steckt der mobilitätsbezogene Energiebedarf ein wichtiges Forschungsfeld ab, z. B. durch die Entwicklung neuer Arbeitsmodelle sowie Konzepte zur räumlichen Bündelung von Beruf, Familie und Arbeit.
  • „Bildung, Forschung und Lehre für den Wandel“ hat sich als ein weiteres Querschnittsprojekt herauskristallisiert. Es entwickelt Konzepte für den notwendigen Wandel der Forschung in den ingenieurs-, natur- und gesellschaftswissenschaftlichen Fachrichtungen im Hinblick auf die Ausrichtung der Hochschulen, außeruniversitären Forschungsinstitutionen sowie der Fachausbildungen (z. B. gewerkeübergreifende Ausbildungen) auf die kommenden Felder der Energiewende. Darüber hinaus spielt die Entwicklung von Konzepten zur Wissensvermittlung in allen Bereichen und Lebensphasen – vom Kindergarten bis zum berufsbegleitenden lebenslangen Lernen – sowie die Förderung von Technologiemündigkeit eine Rolle.

Zusammenfassung der Workshops:

In den Workshops wurden Vorschläge des Akademienprojekts „Energiesysteme der Zukunft“ für die technologischen Schlüsselbereiche der Energieforschung diskutiert; sie erfordern einen systemischen und interdisziplinären Ansatz. Die Workshops sollten die Projektvorschläge mit Blick auf Umsetzung, Meilensteine, Abbruch- und Evaluationskriterien sowie Governance-Strukturen und Beteiligte weiterentwickeln.

Workshop A: Neue Netzstrukturen – Intelligentere Netze für Strom, Gas und Wärme

Die dezentrale und fluktuierende Einspeisung aus Wind und Photovoltaik verändert die Anforderungen an deutsche und europäische Netzstrukturen. Der Projektvorschlag soll Lösungen für die Flexibilisierung von Verteilnetzen, Übertragungsnetzen und der Netzbetriebsführung entwickeln. Wie können dezentrale, intelligente und quasi-autonome Netze die Energieversorgung von morgen sichern? Welche technischen Konzepte gibt es für großräumige Netzstrukturen in Verbindung mit anderen Energieträgernetzen wie Gas, Wärme oder Wasserstoff? Anhand dieser und weiterer Fragestellungen wurde das Projektkonzept „Neue Netzstrukturen – Intelligentere Netze für Strom, Gas und Wärme“ diskutiert.

Ergebnis: Bei den Forschungsgegenständen nehmen Dynamik und Unsicherheiten zu; trotzdem müssen wir uns entscheiden, Akzeptanz und gesellschaftliche Partizipation (selbst Forschungsgegenstand) herstellen, obwohl die Prozesse immer komplexer werden – das erfordere mehr Kommunikation zwischen den Akteuren. Der Fokus liegt auf Betriebsführung und Netzbetrieb. Notwendig seien Verknüpfung mit anderen Energieträgernetzen (Strom, Gas, Wärme, etc.) und neuen Marktmodellen mit weiter entwickelter Regulierung – auch auf europäischer Ebene. Dabei müsste Interaktion zwischen den Großforschungsvorhaben (Kopernikus) angestrebt werden, um einen Wettbewerb der Ideen zu etablieren – aber nicht nur Großforschung, sondern auch kleinere Akteure (wie Pilotanlagen als Beispiele).

Workshop B: Flexiblere Nutzung erneuerbarer Ressourcen: Power-to-X – Kraftstoffe und Wärme aus sauberem Strom

„Power-to-X“ umfasst unterschiedliche Ansätze, Strom aus erneuerbaren Energien in Gas, Wärme, flüssige Kraftstoffe oder Basis-Chemikalien umzuwandeln. Mit wachsendem Anteil erneuerbarer Energien gelten diese Technologien als Speicherlösungen der Zukunft, die vor verschiedenen Herausforderungen stehen: Wie können in Zukunft kostengünstige und effiziente Nutzungspfade für Überschussstrom erschlossen werden? Wie können erneuerbare Energien durch eine flexible Umwandlung in Wasserstoff oder Methan (Power-to-Gas), Kraftstoffe (Power-to-Liquid), industrielle Basis-Chemikalien (Power-to-Chemicals) oder Wärme (Power-to-Heat) in das gesamte Energiesystem integriert werden?

Ergebnis: Der Fokus muss auf der Flexibilisierung des Stromsystems liegen, sowie der Dekarbonisierung auch anderer Sektoren. „Power-to-X“ soll seinerseits keinen weiteren Bedarf zur Flexibilisierung induzieren. Was „x“ sein soll, blieb offen. Priorisierung solle aber auf Wirtschaftlichkeit, Klimaneutralität, Systemkonformität liegen. Breites Portfolio inklusive Systemanalyse sei sinnvoll. Wasserstoff wird an erster Stelle genannt. Am Anfang müsse eine Systemanalyse, dann eine Metaanalyse stehen. Dabei komme die Industrie nur ins Boot mit einem geeigneten Geschäftsmodell. Weitere Stichworte waren: Projekt versus Prozess? und: Abruchkultur oder Evolution?

Workshop C: Stoffkreisläufe für die Energiewende: Recycling von mineralischen Rohstoffen – Metalle für das Energiesystem der Zukunft

Der Ausbau erneuerbarer Energien reduziert die Abhängigkeit von fossilen Energieträgern und erhöht den Bedarf an metallischen und mineralischen Rohstoffen. Durch Recycling strategisch wichtiger Rohstoffe lassen sich die Ressourcen-Quellen für Energietechnologien diversifizieren und damit die Abhängigkeit von Rohstoff liefernden Ländern reduzieren. Der Workshop thematisiert folgende Fragen: Welche neuen Ansätze fürs Produkt-Design und für ressourceneffiziente Fertigungstechnologien sind zukünftig notwendig? Wie können große Bestände an mineralischen Rohstoffen wiedergewonnen werden, die durch den Ausbau der Infrastruktur (Netze, Solaranlagen, Speicher etc.) entstehen?

Ergebnis: Zuerst soll der Rohstoffbedarf analysiert werden; dann braucht es eine Recyclingstrategie für Hightech-Materialien. Wirtschaftliche Aspekte sind dabei zu berücksichtigen, wie etwa innovative Geschäfts- und Logistikmodelle. Auch im Recyclingbereich muss Akzeptanz hergestellt werden – also gesellschaftliche und wirtschaftliche Fragestellungen. Für alles soll ein ganzheitlicher Ansatz gelten: eine Analyse der gesamten Prozesskette von der Nutzungsdauer über Mengenanalyse bis zu den bestehenden technischen Möglichkeiten des Recycling. Dazu ministerienübergreifende Kooperation von BMBF und BMWi, BMUB, von NGOs, Prosumern, Wirtschafts- und Versorgungsunternehmen und schießlich der Wissenschaft

Workshop D: Ausrichtung von Industrieprozessen auf fluktuierende Energieversorgung – Energiewende und die Industrie von morgen

Rund ein Drittel des Endenergieverbrauchs in Deutschland entfällt auf Industrieanlagen. Mit flexiblen Prozessen kann die energieintensive Industrie in Deutschland einen Beitrag zum Lastmanagement leisten und sich zugleich Wettbewerbsvorteile auf dem Weltmarkt sichern. In dem Workshop ging es um die Frage, wie Industrieprozesse an fluktuierende Stromerzeugung angepasst werden und effizienter ablaufen können. Können beispielsweise Wärmeprozesse oder die Verwendung von Wasserstoff dazu beitragen, Industrieprozesse auf ein transformiertes Energiesystem einzustellen? Inwieweit ist die Übertragung von Strukturen und Instrumenten aus der Informations- und Kommunikationstechnik sinnvoll, Stichwort „Industrie 4.0“?

Ergebnis: Auch hier unterschiedliche Anforderungen in den unterschiedlichen Industriezweigen/Branchen, auch hier die Wirtschaftlichkeit – KMU einbeziehen – dynamische Regulatorien – nicht nur Strom, auch Wärme (Power-to-Heat). Die Produktionsprozesse müssen besser verstanden werden, damit sie gewinnbringend effizient unter Nutzung von IKT-Schnittstellen optimiert werden können. Großer Bildungsbedarf: Energie als Schwerpunkt in Studiengänge einbringen: Weiter wichtig: Personalmanagement – Struktur für Gesamt-Evaluierung auch der Anwendungskontexte. Forschung auch an Tarifstrukturen und Arbeitsmodellen. Als Kriterien für die Priorisierung sollen die leicht zu hebenden Potenziale gelten.

Workshop E: Schlüsseltechnologien für die Energieerzeugung

Dieser Workshop war offen für die Diskussion weiterer Energietechnologien und ihrer Potenziale als technologische Großprojekte im Rahmen der Strategischen Forschungsagenda.

Ergebnis: Schwerpunkt muss auf Integration der Erneuerbaren ins Energiesystem liegen. Dabei Kopplung verschiedener Methoden. Eine Schlüsseltechnologie definieren. Kombination verschiedener Technologien nach Relevanz vor Ort, Exportierbarkeit, Marktchancen. Die Kriterien zentral – dezentral untersuchen.

Huthmacher: „Großprojekte treten nicht an die Stelle der Forschungsförderung der Bundesregierung“

Karl Eugen Huthmacher, BMBF – Foto © Gerhard Hofmann, Agentur Zukunft

Karl Eugen Huthmacher bekräftigte in einer kurzen Schlussbemerkung noch einmal, dass das Forschungsforum Energiewende sich nicht auf Technologiefragen beschränke – von entscheidender Bedeutung seien zudem ökonomische, ökologische und gesellschaftspolitische Fragestellungen. Er begrüßte, dass die europäische Ausrichtung immer wieder diskutiert worden sei – ohne dabei den deutschen Anspruch aus den Augen zu verlieren, ein Stück weit Vorreiter zu sein. Huthmacher verwies auf Frankreich: Dort sollen bis 2025 22 AKW abgeschaltet werden. „Da ist Dynamik drin.“

Governance-Fragen spielten eine große Rolle – über die finanzielle Ausstattung werde „später zu reden sein“.

Wie gehe es weiter? Jetzt folge eine intensive Auswertung – es seien sehr wertvolle Beiträge zur Forschungsagenda eingegangen. Daneben werde sich das BMBF damit beschäftigen, wie künftige Governance-Strukturen aussehen werden und sollen. Dann werde man bald versuchen, Ausschreibungen zu den Projekten zu initieren, damit enige bereits 2016 starten könnten.

Die Ergebnisse des Agendakongresses fließen in die „Strategische Forschungsagenda Energiewende“ ein. Sie steht am Ende eines breit angelegten Dialogprozesses, in dem Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft gemeinsam langfristige Leitplanken und Schwerpunkte einer konsequent auf die Energiewende ausgerichteten Forschung formulieren. Im Ergebnis soll die Strategische Forschungsagenda zur Weiterentwicklung des Energieforschungsprogramms der Bundesregierung beitragen.

„Einmalig ist vor allem die Offenheit und Transparenz des Prozesses: Die Strategische Forschungsagenda ist das Ergebnis einer intensiven Diskussion. Auf diese Weise erreichen wir eine Energiewendeforschung, die langfristig trägt und auch von allen getragen wird“, erklärt Klaus Töpfer, Exekutivdirektor des IASS – Institute for Sustainability Studies in Potsdam. Er begleitet die Strategische Forschungsagenda als Mitglied im Leitungskollegium des Forschungsforums Energiewende. Die vom BMBF initiierte Plattform hat die Federführung für die Strategische Forschungsagenda übernommen und wird sie Ende dieses Jahres verabschieden.

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